Kirchenpolitik
Die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind offenbar entschlossen, einem einseitig vom Papst ernannten neuen Kölner Erzbischof die Abnahme des Eides zu verweigern. Der Mainzer Regierungssprecher Schreiner sagte der "Welt": "Ich gehe nicht davon aus, daß bei einem Durchmarsch von Rom alles unterschrieben werden wird." Die Ministerpräsidenten Rau (SPD) und Vogel (CDU) seien sich "bis in die Nuancen einig". Es liege jetzt am Apostolischen Nuntius, Erzbischof Josip Uhac´, den Termin für ein weiteres Treffen mit Rau und Vogel zu nennen.
("Die Welt vom 24.11.88)
Macht die weltliche Autorität wieder Kirchenpolitik? Ist es nicht an der Zeit, die letzten Reste institutioneller Abhängigkeit gerade in einer so säkularisierten Welt, wie wir sie heute erleben, aufzulösen?
Wechselwähler
Die Grünen würden zweitstärkste Partei, wenn jetzt gewählt würde - zumindest wenn es nach dem Willen österreichischer Journalisten ginge. Hätten alleine die Kollegen im ORF zu entscheiden, würde die Gruppe um Freda Meissner-Blau mit 29 Prozent noch vor SPÖ und ÖVP gar stimmenstärkste Partei. Und dem erfolgsverwöhnten Jörg Haider würden Österreichs Journalisten eher noch die KPÖ vorziehen. Ein schwacher Trost für die etablierten Parteien: 82 Prozent aller Journalisten deklarieren sich als Wechselwähler...
("Der österreichische Journalist", Okt/Nov 88)
Das Meinungsspektrum in den Medien unterscheidet sich deutlich von dem der Bevölkerung. Journalisten verstehen sich primär als Kritiker (95% ) und als "Vermittler neuer Ideen" (82%). Daher das Interesse für die Grünen. Dieses Selbstverständnis hat Folgen für die Auswahl und die Art der Behandlung von Themen. Ähnlich wird es wohl um die christlichen Medienmacher stehen: Interesse an Kritik und an Neuerungen. Daher hat es das Lehramt so schwer, die zeitlos gültige Wahrheit an den Mann zu bringen.
Lebensstile
Ich schlage den Jungen drei Schlüssel für ihre Zukunft vor. Erstens: lernen, um die eigene Intelligenz, die eigene Seele zu bilden, um besser zu werden, um mehr zu können und Freude und Zufriedenheit in den einfachsten Dingen zu finden. Zweitens: den Sinn des eigenen Lebens zu finden. Dazu darf man seine Jugend nicht verschleudern, seine Liebesfähigkeit nicht in flüchtigen Begegnung verbrauchen. Vielmehr gilt es, die Zeit zu nützen, um sich auf den Empfang jenes Menschen vorzubereiten, den Gott uns über den Weg führen wird - aber dann für das ganze Leben. Macht euch klar, daß euch die Welt braucht, daß das Leben einen Sinn hat: die anderen Menschen! Und dann drittens: im Tun und im Denken treu bleiben, Tag für Tag, selbst wenn es schwer fällt. Das Glück hängt nicht von der Zahl angesammelter Scheine, sondern von der Liebe und der Freude ab, die man anderen vermittelt.
(Der Krebsforscher Henri Joyeux in einem Interview zu seinem Buch "Choisissez de vivre, aliments et cancer", in dem er über Lebensstile spricht, die Krebs vermeiden helfen. Aus "La Croix" vom 20.11.1988)
Kein Applaus
Die Katholische Kirche macht eine schwierige Zeit durch. Gegenüber der Zahl und der Heftigkeit kritischer Kommentare, die seit mehr als zwei Monaten ihre Stellungnahmen begleiten, fühlen sich die Bischöfe von einem jener antiklerikalen Fieberstöße, die das Land in regelmäßigen Abständen heimsuchen, bedroht. Dieses Fieber begann mit dem Protest der Erzbischöfe von Paris und Lyon gegen den Film von Scorsese. Seither ist die Temperatur gestiegen, und zwar mit den öffentlich kritisierten Stellungnahmen in Sachen Religionsunterricht, Abtreibungspille (RU 486) und Kondome. "Die Bischöfe übertreiben", schreibt die Zeitschrift "Canard enchaine" genüßlich auf seiner Titelseite...
Wir erleben eine spektakuläre Umkehrung der Beziehungen zwischen Kirche und öffentlicher Meinung. Früher waren alle kirchlichen Stellungnahmen in Fragen der Rüstung, des Privateigentums, der sozialen Gerechtigkeit und der internationalen Moral suspekt. Man verwies die Kirche, sich an die Familie, die Caritas, die Solidarität, an die Rechte Gottes und nicht an die des Menschen zu halten.
Heute ist es umgekehrt. Man erträgt, daß die Kirche vom Frieden, von der nuklearen Abschreckung, den Menschenrechten... spricht, aber man verträgt es immer weniger, daß sie sich in das Privatleben der Menschen mischt und sich als Lehrmeisterin der Ethik aufspielt.
("Le Monde" vom 22.11.88)
Man ist an die österreichische Situation erinnert. Sobald die Bischöfe dezidierte Stellungnahmen abgeben, die gegen die Zeitströmung stehen, ernten sie Kritik. Wer prophetisch spricht, kann nicht mit Applaus rechnen. Daß man der Kirche heute zubilligt, Fragen der öffentlichen Ordnung anzuschneiden, sich hier kritisch zu äußern, hat sicher damit zu tun, daß sie hier im Medientrend liegt: Rüstung, Umwelt, Diskriminierung sind "in"-Themen. Die kirchlichen Äußerungen zur Lebensgestaltung des einzelnen stehen im Widerspruch zur "Lehrmeinung” der Medien. Diese setzen immer noch auf Liberalisierung und Emanzipation.
Weltrekord
Nach der jüngsten Media-Analyse (1988) lesen rund 70% der Österreicher Tageszeitung. Vor 20 Jahren waren es nur 50% (wobei sich die Prozentzahlen jeweils auf die über 14jährige Bevölkerung beziehen). Von den 15 Tageszeitungen sind 8 unabhängig und nur 3 haben eine bundesweite Verbreitung: "Presse", "Kurier", "Krone". Insgesamt drucken die Tageszeitungen täglich rund 2,8 Millionen Exemplare. Davon entfallen 40% auf die "Krone", 18% auf den "Kurier" und 10% auf die "Kleine Zeitung", die Marktleader in Kärnten und in der Steiermark ist.
Gelesen wird die "Krone" von 2,6 Millionen Österreichern, ein Weltrekord an Reichweite in einem Land! Den "Kurier" nehmen rund eine Million und die "Kleine Zeitung" 630.000 Österreicher täglich zur Hand.
Ebenfalls phänomenal ist der Erfolg von "Die ganze Woche". In nur 3,5 Jahren hat diese Wochenzeitung ein Stammpublikum von 2,3 Millionen Lesern aufgebaut. Auch das ist Weltrekord.
(Zusammengefaßt aus "Management-Club-Report 9/1988)
In Österreich gibt es eine international einmalige Medienkonzentration, die durch die Beteiligung des westdeutschen "WAZ"-Konzerns an "Krone" und "Kurier" und den damit verbundenen Möglichkeiten noch verschärft worden ist. Welche Vereinheitlichung der Meinungen, wenn alle dasselbe vorgesetzt bekommen!
Die Alternative: Vision 2000.