VISION 20001/1988
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Ich selbst habe abgetrieben

Artikel drucken Susan Stanford: Erfahrungen mit der Schuldbewältigung

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie mit Frauen gemacht, die abgetrieben haben?

Susan Stanford: Wenn man über Abtreibung spricht, so geht es dabei nicht nur um ein wehrloses ungeborenes Kind, das getötet wird. Man muß genauso über die Frau sprechen, die davon betroffen ist und die schwer darunter zu leiden hat. Die Abtreibung ist ein traumatisches Erlebnis, vom Gefühl eines schweren Verlustes und von Trauer begleitet. Das Schlimmste dabei ist, daß sie ihr Leid nicht zeigen darf, da sie ja selbst zur Abtreibung gegangen ist.

Frage: Wie reagieren die Frauen dann?

Stanford: Die Antwort darauf ist zumeist das Verdrängen der Trauer und des Verlusterlebnisses, mit dem sie nach und nach auch alle anderen Gefühle unterdrückt. Ich weiß, wovon ich spreche, da ich vor einigen Jahren selbst die schlimmste Entscheidung meines Lebens getroffen habe, ein Kind abzutreiben. Damals habe ich die Erfahrung gemacht, daß alle jene die Unwahrheit sagen, die behaupten, eine Abtreibung sei keine schlimme Sache.

Frage: Wie soll man einer Frau helfen, die abgetrieben hat?

Stanford: Zunächst einmal muß man sie im Gespräch ihre Gefühle aussprechen lassen. Die Trauer und Scham über diese Entscheidung, die Tränen und die Wut, alle verdrängten Gefühle müssen heraus. Sie muß sich selbst erlauben, das Verlusterlebnis als solches zu erkennen und anzunehmen. In meinen Gesprächen frage ich sie dann, ob sie an Gott glaubt. Ich frage sie nicht, ob sie Katholikin oder Jüdin ist, sondern spreche von Gott, wie ich ihn erfahren habe: den Gott der Liebe, der uns alles verzeiht, wenn wir unser Unrecht einsehen und ihn darum bitten. Ich selbst habe nach meiner Abtreibung erst bei Gott Verzeihung gefunden und bin durch seine liebende Berührung von meiner Schuld geheilt worden. Ich frage die Frau, ob wir gemeinsam ein Gebet sprechen könnten und erzähle ihr dann, daß ihr Kind nicht tot ist, sondern bei Gott lebt. Erst wenn sie die Verzeihung Gottes und seine Liebe erfährt, wird sie sich auch selbst vergeben können.

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