Wie die Zeugen Jehovas
Etwas verspätet fiel mir nun die Papst-Nr. (6 von 1994) von VISION 2000 in die Hände. Dabei kamen mir einige Assoziationen: Ich habe ein Buch über Zeugen Jehovas geschrieben („Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas. Der unbelehrbare Prophet"). Bei den Zeugen Jehovas habe ich eine ähnliche Haltung gefunden: Der ZJ soll dem, was ihm im Wachtturm vorgesetzt wird, glauben, und soll seine eigene Meinung zurückstellen.
Diese Haltung finde ich auch in Ihrer Zeitschrift, wenngleich auf ein anderes Objekt bezogen: Was für den Zeugen Jehovas seine leitende Körperschaft. das ist für Sie der Papst. Damit sind die geglaubten Inhalte sicherlich verschieden, die Glaubenshaltung - „ich vertraue blind auf xy" - ist vergleichbar. Ich gebe konkrete Belege an:
S. 7, 3. Spalte unten - Ignatius: „Was meinen Augen weiß erscheint, halte ich für schwarz, wenn die hierarchische Kirche so bestimmt ..."
S. 11, 2. Spalte unten - Newman: „....auf jeden Fall muß man ihm gehorchen."
Ein Problem unserer Zeit ist die Vermehrung von Sekten, von Gruppen, die blinden Gehorsam fordern. Sie tun Ihren Lesern keinen guten Dienst, wenn Sie Ihre Leser in einer ähnlichen Haltung erziehen...
Gerade im röm.kath. Glauben spielt doch das Rationale eine große Rolle - die Meinung also, daß unser Verstand (sicherlich mit Gottes Hilfe) in der Lage ist, zwischen falsch und richtig zu unterscheiden. Wie sollte ein Mensch erkennen können, daß der Anspruch des Papstes stimmt, wenn seine eigenen Urteile völlig unzuverlässig sind?
Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, A-1190 Wien
Es geht nicht um das Ausschalten der Ratio, sondern um ein gesundes Mißtrauen gegenüber scheinrationalen Argumentationen, wie sie uns heute vielfach von modernen Theologen vorgesetzt werden. Der heilige Ignatius und Kardinal Newman (er trat im vorigen Jahrhundert als Theologe von der anglikanischen in die Katholische Kirche über) sind gerade Beispiele dafür, daß nüchterne Überlegung zu einem unbedingten Gehorsam dem kirchlichen Lehramt gegenüber führen.