Die Jungen sind auf der Suche nach glaubwürdigen Zeugen. Sie halten nicht Ausschau nach Idolen, die so perfekt und unerreichbar sind, daß man ihnen nie gleichkommen kann. Sie suchen eher Vorbilder, Leute, deren Zerbrechlichkeit man erkennt, die man aber so bewundert, daß man sich mit ihnen identifiziert. In unserer Welt, in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche gibt es einen argen Mangel an solchen Vorbildern. Die Familienmitglieder stehen nach wie vor an der ersten Stelle, wenn es um die Vertrauenswürdigkeit von Personen geht.
Zwischen elf und 15 erwarten Junge auch, daß man sich mit ihnen in Gespräche einläßt. Ihnen zuzuhören, das bedeutet, ihren Erfahrungen, diesem Ort der Menschwerdung, den ihr persönliches Leben darstellt, besondere Bedeutung beizumessen.
Von den Erwachsenen erwarten sie, daß sie sich Zeit nehmen, vor allem dann, wenn sie sagen: “Weißt Du ... das war genial!" oder: “Wenn Du mich nur verstehen könntest!" Wer es den Jungen ermöglicht, von ihren Erlebnissen zu sprechen, vermittelt ihnen die Erfahrung, ernstgenommen zu werden.
So können sie in den Blick nehmen und betrachten, wo sie gerade stehen, woher sie kommen, sie können sich aber auch vorstellen, wohin ihr Weg führen könnte. Eine Vorstellung davon zu entwickeln, wohin man unterwegs ist, ist Ausdruck dafür, daß das Leben einen Sinn haben könnte. Und wenn etwas Sinn macht, ergibt das einen Grund, um zu leben. ...
Die 11- bis 15jährigen wollen ebenso wenig wie auch ältere Jugendliche, daß man ihnen den Glauben aufdrängt. Sie wollen in ihren Entscheidungen frei sein. Tatsächlich ist der Glaube ja auch ein Angebot, und er ist eine Antwort. Die freie Antwort eines Menschen auf die Frohe Botschaft, seine freie Antwort auf die persönliche Begegnung mit dem Gott Jesu Christi. Der Glaube wird daher nicht einfach wie ein Stafetten-Stab weitergegeben, sondern allen angeboten, die bereit sind, mit uns den Wanderstab des Pilgers zu ergreifen, um auf dem Weg der Gottesbegegnung voranzukommen. Das setzt aber voraus, daß die Erwachsenen, die diesen Glauben anbieten, auch als Pilger und Zeugen erkennbar und als solche anerkannt werden.
Die 11- bis 15jährigen erwarten auch, daß man ihnen Vertrauen entgegenbringt. Die Weitergabe des Glaubens wird einfach nicht stattfinden, wenn die Jungen nicht erkennen, daß ihnen die Erwachsenen vertrauen. “Die Zukunft unserer Kirche wird von unserem Mut abhängen, das Evangelium der Jugend anzuvertrauen, damit es zu ihrem Evangelium wird... Von den Erwachsenen unterstützt und ermutigt, sind die Jungen imstande, Kirche zu bilden und neue Formen der Verantwortung zu entwickeln." Diese Worte des Bischofs von Evry, Herbulot, anläßlich der ersten Diözesansynode bringen zum Ausdruck, wie wesentlich es ist, der Jugend zu vertrauen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sie ihren Glauben nicht mit denselben Rhythmen, denselben Noten, denselben Worten ausdrücken wie wir. Den Jungen den Glauben anzubieten, heißt gewissermaßen, ihnen das Evangelium anzuvertrauen, und zwar so wie wir es empfangen haben, aber auch angereichert durch unsere Art, es zu lesen, durch unsere Geschichte, durch unsere Glaubenserfahrungen.
Den Jungen das Evangelium anzuvertrauen, bedeutet aber auch, das Risiko einzugehen, es anders wiederzuentdecken und uns überraschen zu lassen von ihrer Art, es zu lesen, es aufzunehmen und zu leben. So sind wir aufgerufen, die Frohe Botschaft mitten in unserer Welt zu leben, einer durch die Frische der Jugend erneuerten Welt.
Der Jugend den Glauben anzubieten, bedeutet an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, uns mit ihnen auf ihren Emmausweg zu machen, auf die Gefahr hin, daß dieser unseren Weg kreuze.
P. Benoît Gschwind ist Jugendseelsorger in Frankreich, sein Beitrag ein Auszug aus“Portrait d'une génération en marche - les 11-15 ans", Les Cahiers d'Edifa, Herbst 99