VISION 20005/2024
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Der Friede, den die Welt nicht geben kann

Artikel drucken Sanftmut kennzeichnet Gottes Frieden (Von Papst Franziskus)

Anlässlich der Generalaudienz in der Karwoche 2022, als der Krieg in der Ukraine bereits gewütet hat, kam Papst Fran­ziskus auf das Thema Frieden zu sprechen. Im Folgenden seine Gedanken über die Besonderheiten des Friedens, den allein Gott schenken kann.

Am vergangenen Sonntag haben wir Christus feierlich in Jerusalem einziehen sehen, freudig als Messias angenommen: Und für ihn werden Kleider auf dem Weg ausgebreitet (vgl. Lk  19,36) und Zweige auf den Weg gestreut (vgl. Mt  21,8). Die jubelnde Menge preist mit lauter Stimme den „König, der kommt“ und ruft: „Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!“ (Lk  19,38). Jene Menschen dort feiern, weil sie im Einzug Jesu die Ankunft eines neuen Königs sehen, der Friede und Ehre bringen würde.
Das war der Friede, den die Menschen erwarteten: ein ehrenvoller Friede, Frucht eines königlichen Eingreifens, das eines mächtigen Messias, der Jerusalem von der Besatzung durch die Römer befreien würde. Andere träumten wohl von der Erneuerung eines sozialen Friedens und sahen in Jesus den idealen König, der die Menge mit Brot satt machen würde, wie er es bereits getan hatte, der große Wunder wirken und so mehr Gerechtigkeit in die Welt bringen würde.
Aber Jesus spricht nie davon. Er hat ein anderes Pascha vor Augen, kein triumphales Pascha. Das Einzige, das Ihm wichtig ist, um Seinen Einzug in Jerusalem vorzubereiten, ist „ein Fohlen“ zu reiten, das „angebunden“ gefunden wird und „auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat“ (V. 30). So bringt Christus den Frieden in die Welt: Durch Milde und Sanftmut, symbolisiert von jenem angebundenen Fohlen, auf das nie jemand gestiegen war. Niemand, denn Gottes Art zu handeln ist anders als die der Welt.
Denn Jesus erklärt kurz vor dem Pascha den Jüngern: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“ (Joh  14,27). Es sind zwei verschiedene Arten: eine Art, wie die Welt uns den Frieden gibt, und eine Art, wie Gott uns den Frieden gibt. Sie sind verschieden.
Der Friede, den Jesus uns an Ostern gibt, ist nicht der Friede, der den Strategien der Welt folgt, die glaubt, ihn mit Gewalt, durch Eroberungen und mit verschiedenen Zwangsmaßnahmen erlangen zu können. Ein solcher Friede ist in Wirklichkeit nur eine Zwischenzeit zwischen den Kriegen: Das wissen wir gut.
Der Friede des Herrn folgt dem Weg der Sanftmut und des Kreuzes: Er bedeutet, sich der anderen anzunehmen. Denn Christus hat unser Übel, unsere Sünde und unseren Tod auf sich genommen. Er hat all das auf sich genommen. So hat Er uns befreit. Er hat für uns bezahlt. Sein Friede ist nicht Frucht irgendeines Kompromisses, sondern er entsteht aus der Selbsthingabe.
Dieser sanftmütige und mutige Friede ist jedoch schwierig anzunehmen. Denn die Menge, die Jesus zujubelte, ist dieselbe, die wenige Tage später ruft: „Kreuzige Ihn!“, und die furchtsam und enttäuscht keinen Finger für ihn rührt.
In diesem Zusammenhang ist eine große Erzählung von Dostojewski, die sogenannte Legende vom Großinquisitor, immer noch zeitgemäß. Sie erzählt von Jesus, der nach mehreren Jahrhunderten auf die Erde zurückkehrt. Sofort wird er von der freudigen Menge empfangen, die ihn erkennt und ihm zujubelt.„Ach, du bist zurückgekehrt! Komm, komm mit uns!“
Aber dann wird Er vom Inquisitor verhaftet, der für die weltliche Logik steht. Dieser verhört ihn und kritisiert ihn heftig. Der endgültige Vorwurf lautet, dass Christus, obwohl er es gekonnt hätte, nie Cäsar werden wollte, der größte König dieser Welt, und er dem Menschen lieber die Freiheit gelassen hat statt ihn zu unterwerfen und seine Probleme mit Gewalt zu lösen.
Er hätte den Frieden in der Welt herstellen können, indem er das freie, aber wankelmütige Herz des Menschen kraft einer höheren Macht gebeugt hätte, aber er wollte es nicht: Er hat unsere Freiheit geachtet. Der Inquisitor sagt zu Jesus „Hättest Du das Reich und den Purpur Cäsars damals angenommen, so würdest Du das Weltenreich gegründet und der Welt ewigen Frieden gegeben haben.“ Schließlich fällt er ein hartes Urteil: „Wenn jemand lebt, der mehr als jeder andere unseren Scheiterhaufen verdient, so bist Du es“ (vgl. Der Großinquisitor, Leipzig 914). Das ist die Täuschung, die sich in der Geschichte wiederholt, die Versuchung eines falschen Friedens, der auf der Macht gründet, die dann zum Hass und zum Verrat Gottes und zu viel Bitterkeit in der Seele führt.
Am Ende möchte der Inquisitor dieser Erzählung zufolge, dass Jesus „ihm ein Wort nur sagte, ein stolzes meinetwegen, ein furchtbares“. Christus reagiert jedoch mit einer sanften und konkreten Geste: Er „tritt an den Greis heran und küsst ihn sanft auf dessen blutlose Lippen“. Der Friede Jesu erhebt sich nicht über die anderen, ist nie ein bewaffneter Friede: nie!
Die Waffen des Evangeliums sind das Gebet, die Zärtlichkeit, die Vergebung und die unentgeltliche Liebe zum Nächsten, die Liebe zu jedem Nächsten. So bringt man den Frieden Gottes in die Welt. Daher ist der bewaffnete Angriff dieser Tage, wie jeder Krieg, eine Beleidigung Gottes, ein gotteslästerlicher Verrat am Herrn des Pascha; er bedeutet, Seinem sanften Antlitz das des falschen Gottes dieser Welt vorzuziehen. Immer ist der Krieg ein menschliches Handeln, das zum Götzendienst der Macht führen soll.
Vor Seinem letzten Pascha sagte Jesus zu den Seinen: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh  14,27). Ja, denn während die weltliche Macht nur Zerstörung und Tod hinterlässt – das haben wir in diesen Tagen gesehen –, baut Sein Friede die Geschichte auf, ausgehend vom Herzen eines jeden Menschen, der ihn annimmt. Ostern ist also das wahre Fest Gottes und des Menschen, denn der Friede, den Christus am Kreuz in der Selbsthingabe erobert hat, wird an uns verteilt. Daher erscheint der Auferstandene am Ostertag den Jüngern – und wie begrüßt Er sie? „Friede sei mit euch!“ (Joh  20, 19.21). Das ist der Gruß des siegreichen Christus, des auferstandenen Christus.
Brüder, Schwestern, Pascha bedeutet „Übergang“. Es ist vor allem in diesem Jahr die gesegnete Gelegenheit, vom weltlichen zum christlichen Gott überzugehen, von der Habgier, die wir in uns tragen, zur Liebe, die uns frei macht, von der Erwartung eines mit Gewalt gebrachten Friedens zum Bemühen, den Frieden Jesu konkret zu bezeugen. Brüder und Schwestern, stellen wir uns vor den Gekreuzigten, Quell unseres Friedens, und bitten wir Ihn um den Frieden des Herzens und den Frieden in der Welt.
Papst Franziskus
Generalaudienz am 13.4.22



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