VISION 20005/2024
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Der Friede Gottes: Geschenk und Auftrag

Artikel drucken Zur Abgrenzung von einer Allerwelt-Freundlichkeit (Anna Diouf)

Wahren Frieden stiften und eine friedvolle Athmosphäre verbreiten, können wohl nur jene, die diesen Frieden im eigenen Herzen tragen. Diesen Frieden will Gott jedem schenken, damit er sich im Umfeld der Beschenkten ausbreite.

 
Friedensgruß in der Hl. Messe: Im Gefolge der
Corona-Maßnahmen vielfach problematisiert
 

Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung“, sagt der Priester. Ich wende mich meiner Banknachbarin zu, um den Friedensgruß auszutauschen und weiterzugeben. Doch meine ausgereckte Hand wir ignoriert, und ein missmutiger, abweisender Blick belehrt mich eines Besseren – ich wende mich zur anderen Seite, und versuche es dort. Erst ärgere ich mich ein wenig, doch dann muss ich schmunzeln: Ich kenne viele Katholiken, die genervt sind vom Friedensgruß. Ist es nicht absurd, dass ausgerechnet er bisweilen zum „Zankapfel“ gerät? Zugegeben: Ich verstehe sehr gut, wenn Menschen mit dem Friedensgruß in der Messe wenig anfangen können. Die Art und Weise, wie er oftmals ausgetauscht wird, zeigt, dass viele Katholiken keinerlei Gespür dafür haben, dass sie hier an einer liturgischen Handlung teilhaben – da wir der Freund umarmt, der Unbekannte bekommt einen Handschlag; Liebespaare tauschen ein Küsschen aus, dem Fremden wird lediglich knapp zugenickt. Mitunter nimmt dieser Augenblick der Eucharistiefeier tumultartige Züge an, weil jeder versucht, jeden zu grüßen. Auch die Platzierung innerhalb der Liturgie empfinden manche Gläubige als problematisch, wollen sie doch bereits in die persönliche Vorbereitung der Kommunion eintreten, und betrachten es zurecht als unangemessen, dass das folgende Agnus Dei in dem allgemeinen Trubel aus dem Blick gerät. All das ist nachvollziehbar, und doch ist es schade, wenn durch derlei Unleidlichkeiten die Friedensbitte, die wir kurz nach dem Friedensgruß an das Lamm Gottes richten, so demonstrativ konterkariert wird.
Denn Friede, das ist keine Nebensache – weder liturgisch, noch im alltäglichen Leben eines Christen. Friede ist ein zentraler Begriff der Heiligen Schrift, der eng verbunden ist mit dem Heil, das Gott uns schenken will: Friede ist eine Frucht der Versöhnung mit Gott: „Denn ich weiß, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht des Unheils, um euch eine Zukunft und eine Hoffnung zu geben.“ (Jer 29,11, Schlachter), so heißt es bei dem Propheten Jeremia. Eine Aussage, die ihre Erfüllung in Jesu Vermächtnis findet: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ (Joh 14,27). Und mit diesen Worten bekommen wir den Frieden in jeder Messfeier zugesprochen. Was machen wir aus diesem Geschenk? Betätigen wir uns als Friedensboten? Nehmen wir diesen Auftrag ernst? Oder sind wir bereits abgestumpft, und haben uns an diese Worte so sehr gewöhnt, dass wir ihre gewaltige Bedeutung gar nicht mehr so recht wahrnehmen?
Mir scheint, dass sich hier zuweilen gerade auch in gläubigen Kreisen ein gewisses Defizit auftut. Das liegt unter anderem daran, dass das Wort „Friede“ von einem politisierten, „links“ verorteten Christentum gekapert und verflacht wurde. So, als sei damit vor allem ein innerweltlicher, sozialer und politischer Friede gemeint: Wer im Eine-Welt-Laden einkauft, sich an Friedensdemos beteiligt, die Kreuzzüge verurteilt, sich in Hippie-Manier gegen Krieg und im weiteren Sinne gegen jegliche Aggression ausspricht, kurz: Wer einfach immer und zu allen „nett“ ist, der verwirkliche den Anspruch Jesu. Wenn der Friedensgruß in der heiligen Messe zum sozialen Happening verkommt, wird er zum Ausdruck solch einen verweltlichten Verständnisses.
Dem jüdisch-christlichen Menschen- und Weltbild gemäß ist es hingegen vor allem ein innerer Friede, der wiederhergestellt werden muss: Im Herzen und in der Seele des Menschen. Das ist der Friede, wie ihn die Welt eben nicht geben kann, sondern nur Gott. Dies kann keine weltliche Friedensordnung, keine noch so große Anstrengung des Menschen allein bewirken. Diese Erkenntnis bedeutet jedoch keinesfalls eine rigorose Trennung von Innenleben und Außenwelt. Sicher: Viele Heiligenviten vermitteln uns, dass der Friede Christi im Herzen eines Menschen auch inmitten größten Unfriedens bestehen bleiben, und dem Menschen eine gnadenvolle Ruhe und Festigkeit inmitten der Trübsal zu geben vermag.
Dennoch wird eine rein verinnerlichte Definition von Frieden dem biblischen Anspruch nicht gerecht: Denn es entspricht der Natur der gefallenen Welt, dass dort, wo in unserem unbußfertigen Herzen Hass, Neid und Gier blühen, letztlich auch Gewalt entsteht. Äußerer Unfriede geht aus innerem Unfrieden hervor, und es ist durchaus unsere Aufgabe als Christen, ganz praktisch den Frieden, den Christus in unser Herz legt, auch nach außen hin fruchtbar werden zu lassen. Aus unseren umgewandelten Herzen sollen Gottes Liebe und sein Friede hervortreten, und die Welt zu einem friedvolleren, heilsameren Ort machen. Als die Engel die Geburt Christi verkünden, da verkünden sie nicht bloß inneren Frieden, sondern eben durchaus „Frieden auf Erden“! Freilich darf dies eben nicht zu utopischen Fehlvorstellungen führen: Ein irdisches Paradies wird es nicht geben. Aber das Reich Gottes kann unter uns bereits anbrechen, wenn wir das, was wir geschenkt bekommen, weitergeben: Wenn wir wirklich üben, gerade auch im Alltag Versöhnung zu stiften – und zwar ohne Konflikte unter den Teppich zu kehren und in Heuchelei oder Frömmelei abzugleiten. Das ist keine einfache Aufgabe!
So gesehen ist es vielleicht verständlich, dass der Friedensgruß an so zentraler Stelle kurz vor dem Empfang der Kommunion steht: Als Vergegenwärtigung der Tatsache, dass wir Christus nicht nur für uns selbst empfangen. Vielleicht können wir dem Friedensgruß in diesem Bewusstsein neu und intensiver begegnen; als liturgische Handlung, die uns dazu einlädt, bewusst anzunehmen, dass Christus uns mit seinem Frieden ausrüstet, um uns auszusenden: Wo und in welcher Weise darf ich heute Friedensbote sein?
Anna Diouf



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