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Annalena Tonelli

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Elmar Lübbers-Paal)
 
Annalena Tonelli  

Vor 20 Jahren wurde die gebürtige Italienerin Annalena Tonelli in der Wüste von Somalia ermordet. Obwohl sie Laie war, wirkte sie wie eine zweite Mutter Teresa unermüdlich für die Kranken und Sterbenden in einem der ärmsten Länder der Welt. Ihre Mission war das Ablegen ihres Zeugnisses von der Liebe Gottes durch ihren karitativen Einsatz. Viele sterbenden Somalier hielt sie in ihren letzten Stunden tröstend die Hand.
„Mutter Teresa von Somalia“ so nennen die Einheimischen Somalier Annalena Tonelli, die sich schon in jungen Jahren dazu entschlossen hatte unverheiratet zu leben - um der Liebe Christi willen. Die engagierte Christin sieht „Christus in den Armen und die Armen in Christus“. Sie lebt diese Armut, soweit es einem westlich aufgewachsenen Menschen nur möglich ist, mitten unter den Ärmsten der Armen. Dabei dient sie den Armen, ohne die Sicherheit durch einen Orden zu haben. Keine Organisation hat Annalena im Rücken, kein Einkommen, keine Rente, keine gesicherte Zukunft vor sich. Sie ergibt sich ganz im Vertrauen auf die Fügung Gottes.
Am 2. April 1943 kommt die kleine Annalena in Forli in der italienischen Emilia-Romagna zur Welt. Ihre Mutter ist Hausfrau und später Mutter von fünf Kindern. Der Familienvater ist Ökonom und Direktor einer Kooperative. Um den Vater zu beeindrucken studiert Annalena Rechtswissenschaften. Mit 19 Jahren nimmt sie ein Auslandsstipendium für Amerika an. Wäh­rend dieser Ausbildungs- und Reifezeit spürt sie, dass sie sich sozial schwachen Menschen widmen soll. Als sie wieder in ihrer italienischen Heimat ist, nutzt sie ihre Freizeit, um von der Gesellschaft ausgeschlossene, am Rande der Stadt lebende Mitmenschen, zu besuchen und ihnen Wohltaten zukommen zu lassen. Unter ihnen sind Alkoholiker, Prostituierte, psychisch Kranke und mehrfach behinderte Menschen. In Annalena kommt der Wunsch auf, nach Indien zu gehen, um den wirklich Ärmsten der Armen dienen zu können.
Ihrer Familie missfällt dieser Gedanke. Um den Familienstreit zu mildern, lenkt sie ihren Blick nach Afrika. Da sie nach wie vor meint, nur in einem ärmeren Land wirklich Mitmenschen dienstbar sein zu können, geht sie mit einer Freundin nach Kenia. Im Nordosten dieses Landes kommen sie an und wirken in den muslimischen Nomadenstämmen in der Wüste von Wajir. Dort unterrichten sie Kinder und kümmern sich liebevoll um Kranke und Pflegebedürftige. Um immer mehr Menschen helfen zu können, bauen die Frauen Zeltunterkünfte, die sie ständig aufstocken. Sie beginnen mit 40 Zelten, haben jedoch in kürzester Zeit mehr als 200 Zelte unter ihrer Betreuung. Wo sonst in diesem trostlosen Landstrich gibt es kostenlose Pflegestützpunkte, die sich sehr bemüht um Alte und Kranke kümmern?
In diese Zeit fällt auch eine massive Ausbreitung der allgegenwärtigen Tuberkulose, die viele Menschen dahinrafft. Auch Lepra ist stark verbreitet. Dies ist für Annalena der Anstoß für ein Medizinstudium. In Kenia kämpft sie nun gegen die TB. Inzwischen hat sie in Tropenmedizin und Gemeindemedizin in England und Spanien ihr ärztliches Diplom bekommen. Mit deutschen Augenärzten gelingt es ihr 3.700 Patienten vom „Grauen Star“ zu befreien.
Während einer kriegerischen Auseinandersetzung mit hunderten Toten in Kenia steht sie mit ihrem Team den Verletzten und Sterbenden bei. Verwundete und Bedrohte schafft sie mit ihren Helferinnen in ihre Hilfsunterkünfte, auch wenn sie dafür Landesgrenzen übertreten muss. Während humanitäre Organisationen Kenia verlassen, bleibt sie im Land, um zu helfen. Manches scheint aussichtslos, doch letztlich rettet Annalena, unter ständigem Einsatz ihres Lebens, abertausenden Einheimischen das Leben.
Daraufhin weist Kenia sie aus und sie muss zunächst nach Italien zurückkehren. Ihr Herz ruft sie erneut nach Afrika, wo sie ihre Arbeit zwangsweise hatte unterbrechen müssen. In Mogadischu, der Hauptstadt Somalias kümmert sie sichab da um die durch den Krieg Vertriebenen. In der Stadt lebt man, gerade als westlicher Ausländer, gefährlich. Tatsächlich wird Annalena ausgeraubt und entführt. Als man ihr das Auto gestohlen hat, besorgt sie sich einen Esel, um  Essen zu den Armen bringen zu können. Ihr Tatendrang ist ungebrochen. Flüchtlingen bietet sie Schutz und Unterkunft. Sie sammelt Tote von der Straße auf und sorgt für deren würdige Bestattung, Kranke verarztet sie nach bestem Können.
Als sie als Ärztin im Caritas-Krankenhaus von Merka (Hafenstadt in Südsomalia) angestellt wird, hat sie bereits ein länder­übergreifendes Netzwerk von Spendern, mit deren Geld sie die Armen weiterhin versorgen kann. Machthabern vor Ort ist die stets hilfsbereite Ausländerin ein Dorn im Auge. Annalena ist sich bewusst, dass man ihr nach dem Leben trachtet. Doch aufhören und die Armen im Stich zu lassen, kommt ihr nicht in den Sinn.
Angehörige in Italien beobachten die immer bedohlicher werdende Lage im Land und fordern Annalena auf, nach Hause zu kommen. Zu ihrem Schutz zieht sie daraufhin nach Borama. Dort baut sie mit finanzieller Unterstützung aus Italien ein Krankenhaus auf. Im Laufe der Zeit wächst die Personenzahl von Ärzten und Pflegekräften auf 75 an. Dabei gibt sie sich aber nicht als Managerin der Heilanstalt, sondern verbringt viel Zeit mit ihren Patienten und arbeitet fast rund um die Uhr. Sich selbst gönnt sie gerade mal vier Stunden Schlaf.
Ihre eigene freiwillige Armut ist beispielhaft: Sie besitzt nur zwei Tuniken. Das einzige Paar Sandalen, das sie besitzt, gibt sie einem bedürftigen Menschen weiter. Ihre kärglichen Mahlzeiten bestehen aus Reis und Bohnen. Um den Patienten, kleinen und großen, lesen und schreiben beizubringen, gründet Annalena auch eine Schule. Blinde und anderweitig behinderte Kinder erhalten eine spezielle Förderung. Jedem schenkt sie ein aufrichtendes Wort, für jeden hat sie eine Umarmung.
Neben ihrem Kampf gegen TB hat sie sich besonders dem Kampf gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung verschrieben. Trotz Drohungen und Angriffen bleibt sie standhaft – für die Würde der Frau. Ihre lebensfreundlichen Worte und Taten sind für sie jedoch lebensgefährlich. Seit Jahren ist Annalena Tonelli aber schon bereit, für ihr Werk auch ihr Leben zu geben.
Am 5. Oktober 2003, am folgenden Tag soll der neu errichtete Flügel des Spitals für Tuberkulosepatienten eröffnet werden, wird Annalena mit zwei Genickschüssen hingerichtet. Die „somalische Mutter Teresa“ lebte ihr christliches Lebens-Ideal, das sie selbst so beschrieb: „Das Leben hat nur eine Bedeutung, wenn man liebt. Nichts hat außerhalb der Liebe Sinn.“
Annalena Tonelli wusste, das Gott die Liebe ist.    

Elmar Lübbers-Paal



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