VISION 20005/2024
« zum Inhalt Zeichen der Zeit

Was Christen über die prägenden Entwicklungen der Gegenwart wissen sollten

Artikel drucken (Von Charles J. Chaput, OFMCap)

Im Rahmen seines Vortrags zählte Erzbischof Charles Chaput einige für unsere Zeit wichtige Merkmale und Tendenzen auf, deren sich Christen bewusst sein sollten, um in dieser Zeit bestehen zu können. Im Folgenden einige dieser Merkmale:

• Bevölkerung und Nationen ändern sich permanent. Veränderung ist etwas Natürliches und so lange gesund, als sie sich organisch aus dem Vergangenen entwickelt und in einem Tempo erfolgt, das die Leute verdauen und aufnehmen können. Die Art und das Tempo der Veränderungen, wie wir sie derzeit in unserer Gesellschaft vorfinden, hat es noch nie jemals zuvor gegeben.
Diese Veränderungen erfolgen außergewöhnlich schnell und werden auch immer schneller. Für die meisten Menschen sind diese Veränderungen  zu radikal, um sie leicht in ihren Alltag integrieren zu können.

• All dies führt zu einem Gefühl von Unstetigkeit und Verwirrung. Die letzten 60 Jahre waren gekennzeichnet durch eine Reihe von Brüchen bezüglich dessen, was „Amerika“ und „Amerikaner sein“ bedeutet.

• Es gibt eine Vielzahl an Gründen für diese Verwirrung. Aber zu den wichtigsten zählen Veränderungen – und nicht nur „Veränderungen“, sondern Umwandlungen – in unserer Rechtsphilosophie, unseren sexuellen Sitten, unserer Demografie, unserem Weltbild bezüglich Erziehung sowie Veränderungen in Wirtschaft und Technik.

• Wir können nicht in die guten alten Zeiten zurückkehren. Das ist zum Teil, weil uns die Nostalgie immer in die Irre führt – schließlich hatten die guten alten Zeiten auch genügend Schattenseiten – und teilweise, weil die Kluft zwischen der amerikanischen Kultur im Jahr 1957 und der im Jahr 2017 zu groß und zu tief ist, als dass sie überbrückt werden könnte.
Die Welt und unser Land sind heute gänzlich andere Orte als wir ältere Generation sie in unserer Erinnerung haben. Amerika ist heute eine deutlich weniger biblisch beeinflusste, eine deutlich stärker säkularisierte Nation, als sie das zur Zeit ihrer Gründung war. Und unsere moralische Sicht davon, wer wir sind und was unser Leben bedeutet, ist wesentlich bruchstückhafter.

• Die Antibabypille und die Trennung der Sexualität von der Fortpflanzung haben die grundlegende Bedeutung der Sexualität verändert. Hier ist anzumerken, dass der gleichgeschlechtliche Aktivismus nun weiterläuft auf einem moralischen Engagement für Lesben- und Schwulenrechte und deren sozialer Akzeptanz. Dabei geht es nicht nur um Akzeptanz, sondern um Zustimmung. Aus biblischer Sicht ist dieses Engagement ein Fehler. Die Argumente für religiöse Freiheit und erotische Freiheit leiten sich ab von zwei sehr unterschiedlichen Ideen davon, wer die menschliche Person ist und was unsere Sexualität bedeutet. Aber eine moralische Leidenschaft, auch wenn sie falsch ist, ist immer sehr mächtig. Daher sind Zugeständnisse an die nominelle Gleichstellung von Homosexuellen nicht mehr genug. Das ist der Grund, warum der Leiter und Finanzier der Bewegung „Rechte für die Homosexuellen“, Tim Gill, jetzt darauf besteht, „die Bösen zu bestrafen“ – d.h. dich und mich.

• Demokratie treibt Gleichheit voran, indem Ungerechtigkeiten und soziale Ungleichheiten abgeflacht werden. Aber es geht viel weiter als das. Sie tendiert auch dazu, Unterschiede und Hierarchien jeder Art abzuflachen. Wenn die Demokratie ohne religiösen Glauben angeführt wird, verflacht sie auch den menschlichen Geist, weil jede Art von göttlicher Transzendenz oder hervorragender menschlicher Qualität auch eine Art Ungleichheit mit einschließt. (…)

• Demokratie ist dazu da, um die Freiheit des Individuums sicherzustellen. Das ist eine gute Sache. Aber die Demokratie kann sehr leicht feindlich gesinnt sein gegenüber jeglicher Verpflichtung, die die Individuen nicht aus sich heraus eingehen oder auswählen. Als Christen erfinden wir nicht unsere eigenen Geschichten. Wir sind Teil einer viel größeren, heiligen Geschichte, die uns mit der Gemeinschaft der Heiligen über alle Zeiten und Kontinente hinweg verbindet. Und das schafft ein politisches Problem. Familien, Gemeinden, Kirchen – sie alle erlegen dem Einzelnen prä-existente, aus der christlichen Glaubenslehre stammende Pflichten auf. Verpflichtungen, die ihre Freiheit beschränken und lenken. Deshalb sind diese Leute – die Christen – verdächtig und können schließlich attackiert werden.

• Die Technik bringt – trotz all ihrer Vorteile – auch etliche ernsthafte Probleme mit sich. Wir benützen sie als Werkzeuge, aber unsere Werkzeuge benützen auch uns. Sie formen die Art, wie wir denken, die Art, wie wir handeln und die Art, wie wir die Welt sehen. Der technische Mensch betrachtet die Welt nicht als ein Geschenk Gottes – mit  eigenem Zweck und eigener Bedeutung, um geschätzt und verwaltet zu werden – sondern als eine Sammlung an leblosem Material, das organisiert werden muss und benützt werden kann. Und dieses „Nützlichkeitsdenken“ wirkt sich auch auf die Art aus, wie wir die Umwelt, andere Lebewesen, andere Menschen, unseren eigenen Körper sowie uns selbst behandeln.
Derzeit gibt es große Anstrengungen in Unternehmen und im medizinischen Bereich, um Fortschritte bei künstlicher Intelligenz und Gen-Spleißen zu erzielen. Facebook erforscht gerade – und das ist kein Witz – wie man mit Telepathie seine Freunde benachrichtigen und seine News-Feed aktualisieren kann. Und China hat nun eine landesweite Kampagne gestartet, die alle seine Bürger mit Gesichtserkennungs-Technologie aufzeichnen und verfolgen soll, um deren Verhalten besser verstehen und beeinflussen zu können.
Wenn unsere Schlagzeilen behaupten, dass „Intelligente Maschinen uns befreien werden“ und „Die Gene-Editoren gerade gestartet werden“, sollten wir vorsichtig sein. (…)

• Die Wirklichkeit ist viel größer und reichhaltiger als wir mit unseren Instrumenten messen und mit unseren Sinnen erfassen können. Aber wir üben uns darin, nicht an die Wirklichkeit von etwas zu glauben, das sich jenseits unserer Instrumente und Sinne befindet.
 Das bedeutet, dass Wissenschaft und Technik niemals wirklich neutral sind. Sie beginnen immer mit dem unausgesprochenem Vorurteil, dass die Welt, die sie messen und beweisen können, die einzig wahre Welt ist, deren wir uns sicher sein können. Das führt dazu, dass andere wichtige Arten des Lernens und der Weisheit, wie die Geisteswissenschaften, als irgendwie weniger sachlich und glaubwürdig herabgesetzt werden. Und damit beginnt der menschliche Geist, langsam zu verhungern.
Charles J. Chaput, OFMCap



© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11