Wieviele Anstrengungen gehen für die Absicherung unseres Daseins, unseres Wohlstandes auf! Wieviel Sorge ist damit verbunden! Im folgenden ein Versuch, Armut als Antwort auf diese Zeitkrankheit zu deuten.
Ich glaube, daß es ein positives Zeichen der Zeit ist, daß man sich gerade von seiten der Kirche ganz ernsthaft mit der Armut auseinanderzusetzen beginnt. Die letzte Enzyklika von Johannes Paul II. sprach eine klare Option für die Armen aus. Arm im biblischen Sinne muß umfassend verstanden werden. Der Zusatz bei Matthäus "arm vor Gott" kann uns dem rechten Verständnis von Armut ein wenig näherbringen. Arm vor Gott ist der, der keine Ansprüche vor Gott erhebt; der, der weiß, daß er ganz auf die Liebe Gottes angewiesen ist.
Unsere Gesellschaft verherrlicht den unabhängigen und selbständigen Menschen. Sich etwas schenken lassen zu müssen, ist ein Zeichen von Schwäche und von - sagen wir es ruhig - Armut. Wenn ich darauf angewiesen bin, mir etwas schenken zu lassen, bedeutet das ja, daß ich unfähig bin, mir dies selbst zu verschaffen.
Wer arm wird vor Gott, der weiß sich abhängig von der Liebe Gottes. Diese Abhängigkeit ist aber nichts Erdrückendes, nichts, was mich unfrei macht. Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt: Ich könnte ohne dich nicht glücklich sein, dann macht ihn diese Abhängigkeit von seiner Frau offensichtlich nicht unglücklich oder unfrei.
Wir könnten in diesem Sinne auch sagen, arm ist der, der in einem tiefen Vertrauen alles von Gott erwartet, ohne daß er durch diese Abhängigkeit unfrei würde. Das Reich Gottes kann nur als Geschenk empfangen werden. Darum gehört es denen, die arm sind vor Gott.
Diese Sicht der Armut ist ganz wichtig als Grundlage, damit man sich nicht in der Sackgasse der materiellen Armut festfährt. Aber die Armut im Sinne des Evangeliums muß sich in unserer Lebenshaltung sehr konkret ausdrücken. Sie muß vor allem im Leben der christlichen Gemeinden einen konkreten und zeichenhaften Ausdruck finden, auch als materielle und nicht nur als vergeistigte Armut.
Wenn man von der konkreten Armut zu sprechen beginnt, zucken viele gute Christen zusammen und fragen gleich, wieviel sie hergeben oder spenden müssen und wieviel sie besitzen dürfen, um noch im Sinne des Evangeliums als Arme zu gelten. Wer sich aber auf die Nachfolge Jesu einläßt, darf nicht mehr fragen: Herr, wieviel muß ich dir geben; Jesus will nämlich alles. Das erscheint aber vielen als unsinnig und als unverantwortlich. Ich habe ja schließlich Beruf und Familie. Wie kann ich Gott alles übergeben? Das klingt sehr vernünftig und ist dennoch ein Ausdruck meines tiefen Mißtrauens Gott gegenüber. Ich traue Gott nicht zu, daß er Bescheid weiß um meine familiäre oder berufliche Verantwortung. Sonst könnte ich Ihm ohne Bedenken meinen ganzen materiellen Besitz, meine Beziehungen, meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten radikal übergeben. Die Armut wird so zu einem wichtigen und leuchtenden Merkmal der christlichen Gemeinde und damit zum Merkmal des Gottesvolkes ..."Niemand kann zwei Herren dienen ... Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon" (Mt 6,24).
Manchmal liest man Berichte von Drogensüchtigen. Diese Süchtigen werden durch ihr Verlangen, sich ständig neuen Stoff (= Drogen) zu beschaffen, zu Kriminalität und Prostitution getrieben. In uns aber herrscht eine noch viel schlimmere Sucht, die Habsucht. Die Droge heißt Haben. Und für dieses Haben sind wir bereit, nicht nur uns selbst, sondern auch unsere eigenen Lebensgrundlagen und vor allem die der kommenden Generationen zu zerstören.
Das Geld, der Mammon regiert alles. Wir würden erschrecken, wenn wir sehen könnten, wie stark unser Leben wirklich vom Mammon bestimmt ist. Viele Menschen suchen nach einem Ansatz zu einer Änderung. Viele protestieren z.B. gegen die allzu leichtfertige Zerstörung der Natur durch gigantische Kraftwerksbauten. Aber wenn dann die Politiker und die Experten uns mit einer Erhöhung des Strompreises um ein paar Groschen drohen, dann verläßt uns der Mut zum Umweltschutz sehr schnell, und wir unterwerfen uns wieder bedingungslos.
Sicherlich fragen viele Christen: Was sollen wir denn tun; Wie sollen wir diesen Zwangsmechanismen entgehen? Ich sehe in dieser bedrängten Situation eine Chance und einen gewaltigen Auftrag der Kirche, die wahre Alternative zu präsentieren und modellhaft vorzuleben:
Jesus fordert klar und unmißverständlich: "Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon"...
Der erste Schritt, um den wir nicht herumkommen, ist der schwierigste: die Umkehr des Herzens. Wer sich diesen Schritt ersparen will, der wird bald wieder in Dumpfheit, Betäubung und Resignation versinken. Die Umkehr des Herzens führt mich zur Erkenntnis, daß Gott unser Vater ist und daß er es gut mit uns meint. Er will uns heilen, retten und erlösen. Von Ihm dürfen und sollen wir alles erwarten. Dazu braucht es einen kindlichen Geist. Gescheiten, erwachsenen, vernünftigen Geistern kommt das zu primitiv und infantil vor. Wenn ich mich aber einmal auf Gottes Liebe eingelassen habe, dann wird mir bewußt, daß Gott längst am Werk ist, um uns aus unserer verfahrenen Situation zu retten. Hat er uns nicht seinen Sohn gesandt, der sogar für uns in den Tod gegangen ist?
Jetzt erfahre ich mich als einer, der von der Liebe Gottes betroffen und reich beschenkt ist und der durch diese Liebe seinen eigentlichen Wert besitzt. Und jetzt erst habe ich die Voraussetzungen, daß ich für die Machtmethoden und Mechanismen des Materialismus unerreichbar werde. Wenn wir in dieser Weise umzudenken beginnen - eigentlich müßten wir sagen: "umherzen", denn wir erhalten ein neues Herz! -, dann wächst, vom einzelnen ausgehend, eine neue Gesinnung, die von Gott geschenkt und gewirkt ist.
P. Franz Edlinger
Auszug aus "Ihr werdet mein Volk sein, und Ich werde euer Gott sein" (Edition Tau, Mattersburg 1989). Sehr empfehlenswert.