VISION 20002/1990
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Vom Um-denken zum Um-herzen

Artikel drucken Befreiung von der Droge Habsucht (P. Franz Edlinger)

Wieviele An­strengungen gehen für die Absicherung unseres Daseins, unseres Wohl­standes auf! Wieviel Sorge ist damit verbunden! Im folgenden ein Versuch, Armut als Antwort auf diese Zeitkrankheit zu deuten.

Ich glaube, daß es ein positives Zeichen der Zeit ist, daß man sich gerade von seiten der Kirche ganz ernsthaft mit der Armut auseinanderzusetzen beginnt. Die letzte Enzyklika von Johannes Paul II. sprach eine klare Option für die Armen aus. Arm im biblischen Sinne muß umfassend verstanden werden. Der Zusatz bei Matthäus "arm vor Gott" kann uns dem rechten Verständnis von Armut ein we­nig näherbringen. Arm vor Gott ist der, der keine Ansprüche vor Gott erhebt; der, der weiß, daß er ganz auf die Liebe Gottes angewiesen ist.

Unsere Gesellschaft verherrlicht den unabhängigen und selbstän­digen Menschen. Sich etwas schenken lassen zu müssen, ist ein Zeichen von Schwäche und von - sagen wir es ruhig - Armut. Wenn ich darauf angewiesen bin, mir etwas schenken zu lassen, bedeutet das ja, daß ich unfähig bin, mir dies selbst zu verschaf­fen.

Wer arm wird vor Gott, der weiß sich abhängig von der Liebe Gottes. Diese Abhängigkeit ist aber nichts Erdrückendes, nichts, was mich unfrei macht. Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt: Ich könnte ohne dich nicht glücklich sein, dann macht ihn diese Ab­hängigkeit von seiner Frau offen­sichtlich nicht unglücklich oder unfrei.

Wir könnten in diesem Sinne auch sagen, arm ist der, der in einem tiefen Vertrauen alles von Gott erwartet, ohne daß er durch diese Abhängigkeit unfrei wür­de. Das Reich Gottes kann nur als Geschenk empfangen werden. Darum gehört es denen, die arm sind vor Gott.

Diese Sicht der Armut ist ganz wichtig als Grundlage, damit man sich nicht in der Sackgasse der materiellen Armut festfährt. Aber die Armut im Sinne des Evangeliums muß sich in unserer Lebenshaltung sehr konkret aus­drücken. Sie muß vor allem im Leben der christlichen Gemein­den einen konkreten und zei­chenhaften Ausdruck finden, auch als materielle und nicht nur als vergeistigte Armut.

Wenn man von der kon­kreten Armut zu spre­chen beginnt, zucken viele gute Christen zusammen und fragen gleich, wieviel sie hergeben oder spen­den müssen und wieviel sie besit­zen dürfen, um noch im Sinne des Evangeliums als Arme zu gelten. Wer sich aber auf die Nachfolge Jesu einläßt, darf nicht mehr fra­gen: Herr, wieviel muß ich dir geben; Jesus will nämlich alles. Das erscheint aber vielen als unsinnig und als unverantwort­lich. Ich habe ja schließlich Beruf und Familie. Wie kann ich Gott alles übergeben? Das klingt sehr vernünftig und ist dennoch ein Ausdruck meines tiefen Miß­trauens Gott gegenüber. Ich traue Gott nicht zu, daß er Bescheid weiß um meine familiäre oder berufliche Verantwortung. Sonst könnte ich Ihm ohne Bedenken meinen ganzen materiellen Be­sitz, meine Beziehungen, meine körperlichen und geistigen Fä­higkeiten radikal übergeben. Die Armut wird so zu einem wichtigen und leuchtenden Merkmal der christlichen Ge­meinde und damit zum Merkmal des Gottesvolkes ..."Niemand kann zwei Herren dienen ... Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon" (Mt 6,24).

Manchmal liest man Berichte von Drogensüchtigen. Diese Süchtigen werden durch ihr Ver­langen, sich ständig neuen Stoff (= Drogen) zu beschaffen, zu Kriminalität und Prostitution ge­trieben. In uns aber herrscht eine noch viel schlimmere Sucht, die Habsucht. Die Droge heißt Ha­ben. Und für dieses Haben sind wir bereit, nicht nur uns selbst, sondern auch unsere eigenen Lebensgrundlagen und vor allem die der kommenden Generatio­nen zu zerstören.

Das Geld, der Mammon regiert alles. Wir würden erschrecken, wenn wir sehen könnten, wie stark unser Leben wirklich vom Mammon bestimmt ist. Viele Menschen suchen nach einem Ansatz zu einer Änderung. Viele protestieren z.B. gegen die allzu leichtfertige Zerstörung der Na­tur durch gigantische Kraft­werksbauten. Aber wenn dann die Politiker und die Experten uns mit einer Erhöhung des Strompreises um ein paar Gro­schen drohen, dann verläßt uns der Mut zum Umweltschutz sehr schnell, und wir unterwerfen uns wieder bedingungslos.

Sicherlich fragen viele Christen: Was sollen wir denn tun; Wie sollen wir diesen Zwangsme­chanismen entgehen? Ich sehe in dieser bedrängten Situation eine Chance und einen gewaltigen Auftrag der Kirche, die wahre Alternative zu präsentieren und modellhaft vorzuleben:

Jesus fordert klar und un­mißverständlich: "Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon"...

Der erste Schritt, um den wir nicht herumkommen, ist der schwierigste: die Umkehr des Herzens. Wer sich diesen Schritt ersparen will, der wird bald wie­der in Dumpfheit, Betäubung und Resignation versinken. Die Umkehr des Herzens führt mich zur Erkenntnis, daß Gott unser Vater ist und daß er es gut mit uns meint. Er will uns heilen, retten und erlösen. Von Ihm dür­fen und sollen wir alles erwarten. Dazu braucht es einen kindlichen Geist. Gescheiten, erwachsenen, vernünftigen Geistern kommt das zu primitiv und infantil vor. Wenn ich mich aber einmal auf Gottes Liebe eingelassen habe, dann wird mir bewußt, daß Gott längst am Werk ist, um uns aus unserer verfahrenen Situation zu retten. Hat er uns nicht seinen Sohn gesandt, der sogar für uns in den Tod gegangen ist?

Jetzt erfahre ich mich als einer, der von der Liebe Gottes betrof­fen und reich beschenkt ist und der durch diese Liebe seinen eigentlichen Wert besitzt. Und jetzt erst habe ich die Vorausset­zungen, daß ich für die Macht­methoden und Mechanismen des Materialismus unerreichbar wer­de. Wenn wir in dieser Weise umzudenken beginnen - eigent­lich müßten wir sagen: "umher­zen", denn wir erhalten ein neues Herz! -, dann wächst, vom ein­zelnen ausgehend, eine neue Gesinnung, die von Gott ge­schenkt und gewirkt ist.

P. Franz Edlinger

Auszug aus "Ihr werdet mein Volk sein, und Ich werde euer Gott sein" (Edition Tau, Mattersburg 1989). Sehr empfehlenswert.

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