Eine warme Stimme und dunkle, strahlende Augen - das sah ich sogleich vor mir, als ich in der Zeitung einen Leserbrief von Irmgard Hagspiel fand. “Ich lebe seit Jahren mit Menschen mit unbeschreiblichen Nöten,” schrieb sie. "Da geht es immer um Hilfe ohne Schuldzuweisung, aber niemals auf Kosten der Gebote.”
Ich kannte Irmgard Hagspiel aus der Schule, wo sie Aufklärungsunterricht erteilt hatte, und hatte sie seit Jahren nicht gesehen. Nun benützte ich die Gelegenheit, ihr für ihre Zeilen zu danken, und wir verabredeten uns.
Sie erzählt mir aus ihrem Leben. Als junge Hauswirtschaftslehrerin hatte sie bald nach dem Krieg eine Ärztin aus Salzburg kennengelernt, deren christlich fundierte und medizinisch auf letztem Stand gehaltene Vorträge über Sexualerziehung sie betroffen machten. “Man könnte Eltern und Schülern viel helfen, wenn man ein solches Fachwissen hätte”, war ihre Überlegung. In der Folge begleitete sie nun jene Ärztin auf Fachtagungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Es war sozusagen ein Privatstudium neben dem Beruf. 1955 begann sie selber mit ihrer Vortragstätigkeit: vor Lehrern, bei Elternabenden und vor Schülern. Bald wurde sie teilweise, und schließlich ganz für diese Arbeit freigestellt. Im Laufe von 27 Jahren hat sie vor rund 85 000 Menschen über dieses Thema gesprochen.
Durch ihre Arbeit erfuhr sie immer wieder von Mädchen, die durch eine Schwangerschaft in seelische und materielle Not geraten waren. “Nachdem ich in jedem Vortrag gegen Abtreibung sprach, war die normale Folge, daß ich diesen Mädchen half und sie in meine Wohnung aufnahm”, erzählt Frau Hagspiel. So kam es, daß nach und nach insgesamt 39 schwangere Mädchen für einige Zeit bei ihr - in der Dreizimmerwohnung in Feldkirch - ein Heim fanden.
Haben alle Mädchen ihr Kind wirklich zur Welt gebracht, möchte ich gerne wissen? “Zur Welt gebracht schon,” erzählt sie, “aber manche wurden dann zur Adoption freigegeben.” Dieses Thema liegt ihr am Herzen: “Ich bin empört über die Ansicht, daß eine Frau, die ihr Kind zur Adoption freigibt, eine Rabenmutter sei; und wer es im Mutterleib zerstückeln läßt, soll keine Rabenmutter sein. Es gehört von allen Kanzeln gesagt, daß Adoption eine gute Lösung ist!” Wenn ein junger Mensch sich außerstande sieht, das Kind in Geborgenheit aufwachsen zu lassen, sei es ein Zeichen von größerer Liebe, ihm die Chance zu geben, in einer guten Familie aufzuwachsen. “Es braucht innere Größe, eine ledige Schwangerschaft auf sich zu nehmen und dann ein Leben lang auf das Kind zu verzichten”, weiß Irmgard Hagspiel aus Erfahrung.“Ich habe dieses Leid miterlebt. Aber es ist ein gesegnetes Leid. Ich habe auch die Qualen von Mädchen miterlebt, die man zur Abtreibung gedrängt hatte. Ich bin nächtelang an ihren Betten gesessen und habe versucht, ihre Verzweiflung zu mäßigen; aber dieses Leid ist uferlos."
Irmgard Hagspiel ist heute eine quicklebendigen Frau von 68 Jahren, die keine Minute verlieren will, um zu helfen, und die sehr geschickt auch alle praktischen Möglichkeiten der Hilfe auszuschöpfen weiß. Zartes Mitgefühl und entschlossene Tatkraft, Humor und Sinn für das, was die Situation gerade verlangt, findet man bei ihr harmonisch vereinigt. Dazu kommt der reiche Schatz an Erfahrung und Weisheit, die ein solch engagiertes Leben mit sich bringen. So steht sie täglich Menschen zur Seite, die am Rande der Verzweiflung oder gar des Selbstmordes sind, damit “das geknickte Rohr nicht zerbricht”.
Sie besinnt sich: "Wenn ich jetzt die Bilder der 39 Kinder anschaue - das älteste besucht nun die Universität, das jüngste ist fünf Jahre alt - kann ich sagen: es war ein reiches Leben, ein kinderreiches Leben mit viel Mühen, Sorgen und mit vielen Freuden.” Was hatte das Übergewicht, möchte ich wissen? “Ganz sicher die Freude!”, antwortet sie, “Den Ärger, den es natürlich auch gab, vergißt man mit der Zeit. Er ist auf einmal nicht mehr wichtig. Und das mit Gott getragene Leid schafft auch wieder die Freude.” Mit Gott getragen - sie hat viele Nachtstunden vor dem Tabernakel verbracht, flehend und ringend beim eucharistischen Herm und Erlöser, der Weg, Wahrheit und Leben ist...
Eigentlich möchte sie lieber nicht in der Zeitung stehen, wendet Irmgard Hagspiel ein. Ich finde es aber wichtig, den Vorwurf zu entkräftigen, wir Christen würden nur ein Verbot der Abtreibung fordern und keine Hilfen anbieten. “Die Menschen sollen eure guten Werke sehen und dafür den Vater im Himmel preisen”, sagte Jesus. Ihr Leben ist ein wichtiges Zeichen, gerade für unsere Zeit.
Sylvia Albrecht