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Die Ikone der Dreifaltigkeit

Artikel drucken Ein Werk von Marie Czernin (Katharina Achammer)
 
   

Dem Buch "Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rublëv" liegt die Doktorarbeit von Marie Czernin an der Sapienzia Università in Rom zugrunde. Diese Arbeit hat ihre Schwester Monika Czernin, die Herausgeberin des Buches, am Krankenbett im Spital kurz vor dem Tod der Kunsthistorikerin und Journalistin (am 28. Oktober 2022) gelesen. In ihrer Begeisterung über die Fähigkeit der Autorin, die umfassende Thematik der wissenschaftlichen Arbeit mit so einer Leichtigkeit darzulegen, versprach Monika, diese in Buchform herauszugeben.
Weil dieses Thema ein fast lebenslanges der geliebten Schwes­ter war und natürlich auch, weil diese so bekannte Dreifaltigkeits-Ikone bei den Betrachtern eine Sehnsucht bewirkt: das übernatürliche Leben, in das unser menschliches eingebettet ist, kennenzulernen und einzutreten in den Raum, wo Himmel und Erde sich berühren. Marie Czernin hat diese Sehnsucht nie verloren und wiederholt, auch durch Wallfahrten nach Medjugorie, stillen können.
Das Buch gliedert sich in 5 Teile und hat ein Geleitwort von Chris­toph Kardinal Schönborn. Es wurde vom „Be&Be Verlag“ wunderschön gestaltet, inklusive eines ausdrucksstarken Bildteiles auf den letzten Seiten.
Die Dreifaltigkeits-Ikone, auf Russisch „Troica“ genannt, ist ein wunderbares Beispiel für die Offenbarung einer anderen Realität, die wie ein Licht durch ein Fenster (die Ikone) in unsere Welt hineinscheint. Rublëv (oft auch Rubljow geschrieben) war, wie jeder Ikonenmaler, kein Künstler, sondern ein Handwerker, der „Fensterputzer“ dieses Fensters. Er bekam zwischen 1411 und 1525 den Auftrag, einen Teil der Ikonostase der Dreifaltigkeits-Kathedrale im Dreifaltigkeits-Kloster von Sergijew Possad zu gestalten.
988 war die russische Bekehrung zum Christentum erfolgt. 300 Jahre später entstanden die ersten Malschulen, und aus der Schule von Moskau ging dieser größte aller russischen „Ikonografen“ hervor: Andrej Rublëv.
Seit dem 16. Jahrhundert bis 1905 war die im Buch vorgestellte Dreifaltigkeits-Ikone mit einer Metallabdeckung aus Gold und Silber geschützt; man konnte nur die Hände und Gesichter der drei Personen sehen. Bei der Restaurierung 1904 wurde das „Metallgewand“ entfernt. Die Farbenpracht überraschte, und die Ikone regte im Dreifaltigkeits-Kloster zu einigen wissenschaftlichen Werken an. Besonders der Universalgelehrte Pavel Florenskij, der die Troica vor der Zerstörung in der russischen Revolution gerettet hat, beeinflusste durch seine, vom orthodoxen Glauben geprägte Ästhetik die späteren Ikonenforscher. Er ging so weit zu sagen: „Es gibt die Troica Andrej Rublëv, folglich gibt es Gott.“
Ikonenkunst wird ja auch als eine Form von Gottesdienst bezeichnet; die Ikone ist gemaltes Gebet, lebendiger Bestandteil des liturgischen Geschehens in der Kirche. Der Maler bereitet sich durch Fasten, Gebet und Einkehr auf sein Werk vor. Auf Ikonen dürfen nur die, von Gott offenbarten, Wahrheiten dargestellt werden. Die Trinität soll angebetet, aber nicht ergründet werden; gleichsam ein Verbot, „vom Baum der Erkenntnis zu essen“.
Als ungefähr 1850 die Ikonenmalerei als wichtiges Zeitdokument erkannt wurde, begann die wissenschaftliche Ikonenforschung. Die Arbeit der Autorin beschreibt unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse, ist aber trotz mancher Details für Laien gut zu lesen.
Die Problematik der Interpretation der Dreifaltigkeits-Ikone beginnt schon bei der Uneinigkeit der Deutung von Genesis 18, dem biblischen Text zum Besuch der drei Männer/Engel bei Abraham und seiner Frau Sara. Es geht hier um die über­irdisch erscheinende Harmonie des innertrinitarischen Gesprächs.
Marie Czernin war voller Hoffnung, dass „die Ikone ihren stillen Beitrag zu einer Annäherung und Verständigung unter den getrennten Christen“ zu leisten imstande wäre. Monika Czernin beschreibt ihre Schwester als West- und Ostchristin in einer Person, zweieinig also. Ich würde Marie Czernin analog zu ihrer geliebten Ikone sogar dreieinig sehen: dem Westen und Osten darf man durchaus die vertikale Achse hinzufügen: stets war die Autorin fest mit dem Himmel verbunden.

Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rublëv. Mit einem Geleitwort von Christoph Kardinal Schönborn. Von Marie Czernin, Be&Be-Verlag, Heiligenkreuz 2024, 215 Seiten, 29,90€.

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