VISION 20006/2024
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Kinderreichtum ist ein Segen

Artikel drucken Plädoyer für Großfamilien in einer kinderarmen Zeit (Michael K. Hagenböck)

Großfamilien sind in Europa fast „ausgestorben“. Wer mehr als drei Kinder hat, fällt heute schon aus dem Rahmen. Im Folgenden ein Beitrag, der sich mit diesem Phänomen auseinandersetzt und die Vorteile der kinderreichen Familie in die Auslage stellt.

 
Großfamilien: Ein Lebensmodell, das im Aussterben begriffen ist,
im christlichen Milieu aber wieder aufersteht
 

Ein Lob auf das Einzelkind konnte man Anfang des Jahres in der Welt lesen. Sandra Winkler fragte sich: ,,Müssen wir unbedingt ein zweites Kind kriegen?“ Zwar habe geschwisterloser Nachwuchs ein 50 Prozent höheres Risiko für Übergewicht, dafür werde aber in der Regel „unter Brüdern und Schwestern gepetzt, gehauen und gestritten“. Einzelkinder würden von Natur aus lieber teilen, weil ihnen „das Gerangel um Liebe, Zuneigung oder das letzte Fischstäbchen auf dem Teller fremd ist,“ so hieß es dort.
Obwohl der Text fast nur aus Erklärungen besteht, wieso Einzelkinder über eine hohe Sozialkompetenz verfügen, möchte die Autorin eigentlich gegen den „subtilen Zwang“ des Zweitgebärens Stellung beziehen. Doch ist Frau Winkler wirklich im 21. Jahrhundert angekommen, wenn sie meint, „Einmal-Mütter“ vor Diskriminierung schützen zu müssen?
Die heutige Lebenswirklichkeit ist eine andere, denn jedes dritte Kind in Deutschland wird alleine großgezogen und ist damit keine absonderliche Ausnahme, auf die man mit dem Finger zeigt. Wenn Frauen hierzulande einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sind, dann jene mit einem VW-Bus voller Kinder. Es kann hier nicht darum gehen, nun den Spieß herumzudrehen und auf Einzelkinder herabzuschauen, um die Mehrkindfamilie aufzuwerten. Jedes Kind ist wertvoll, und jedes Elternpaar, das sich für ein Kind entscheidet, verdient erst einmal Anerkennung.
Was macht den Reichtum einer Familie aus? Während die Autorin in ihrer Argumentation vor allem um die Persönlich­keits­entwicklung von Einzelkindern kreist, sind die realen Beweggründe für den Wunsch, kein oder nur ein Kind zu bekommen, oft weit weniger altruistisch:
Unumwunden geben 70 Prozent der Erstgebärenden in der Schweiz zu, ein zweites Kind stehe ihrer beruflichen Laufbahn im Weg. Macht Sandra Winkler den Egoismus von Kindern zum Gegenstand ihrer Erörterung, um den Egoismus der Eltern geflissentlich unter den Tisch fallen zu lassen?
In Westeuropa gehört das Einzelkind zum Lebensentwurf vieler „Dual-Career Couples". Zwei hohe Einkommen können weder durch Steuervorteile noch durch staatliche Leistungen wettgemacht werden, egal wie viel ein alleinverdienender Papa nach Hause bringt. Wenn nach Abzug aller Fixkosten das verfügbare Budget durch sieben oder mehr Köpfe geteilt werden muss, bleibt für kinderreiche Eltern allenfalls ein Taschengeld, während Doppelverdiener-Haushalten oft mehrere 1000 Euro pro Monat frei zur Verfügung stehen. Das geschwisterlose Wunschkind erleichtert die Synchronisation von Finanz- und Familienplanung.
Wer sich nicht durch materielle Statussymbole definiert, betrachtet natürlicherweise seine Kinder als Reichtum. In der Blüte der römischen Republik verwies Cornelia, Tochter des Hannibal-Bezwingers Scipio Africanus und verwitwete Mutter der Gracchen, als sie nach ihrem Schmuck gefragt wurde, auf ihre beiden Söhne: „Haec ornamenta mea" (Das ist meine Zierde).
Selbst in China vermochte das Amt für Bevölkerungskontrolle es trotz drakonischer Maßnahmen wie Arbeitsplatzverlust und Zwangssterilisation nicht, die Fertilitätsrate in den 1980er und 90er Jahren unter zwei Kinder pro Frau zu drücken. Erst mit steigender Prosperität fiel nach dem Ende der offiziellen Ein-Kind-Politik im Jahr 2016 die Geburtenrate auf ein Niveau unter das der Bundesrepublik Deutschland.
Analog verhält es sich mit der mageren Reproduktionsrate jener, denen in Deutschland seit der Kita beigebracht wurde, welchen Stellenwert die Selbstverwirklichung hat und dass einem nichts näher liegt als der eigene Geldbeutel. Nicht äußerer Zwang, sondern hedonistischer Individualismus machte Deutschland zur „Rollator-Republik".
Bevor wir darüber nachdenken, welcher Segen mit Kindern verbunden ist, gilt es festzuhalten, dass sie nicht geplant werden können, sondern ein Geschenk sind. Ungewollt ohne Nachwuchs zu bleiben, ist ein großer Schmerz. Etwa zehn Prozent der deutschen Paare teilen dieses Schicksal. Gerade auch Mehrfachmütter machen irgendwann die Erfahrung, dass man Kinder nicht „machen“ kann. Laut dem medizinischen Merck Manual (MSD) enden „bis zu 25 Prozent aller Schwangerschaften in einer Fehlgeburt während der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft“.
Mit zunehmendem Alter wird es wahrscheinlicher, dass Komplikationen auftreten. Nach dem ersten Kind abzuwarten, ist also nicht unbedingt zu empfehlen. Etliche Eltern mussten die bittere Erfahrung machen, dass der weitere Kinderwunsch unerfüllt blieb, als der ideale Augenblick gekommen schien.
Über Töchter und Söhne freuen sich nicht nur Mama und Papa, auch die Großeltern erleben einen zweiten Frühling. Sie sind ein Gewinn für die Gesellschaft und ein Glück für Schwestern und Brüder. Kinderreiche Familien begünstigen die Solidarität zwischen Jung und Alt und sind Grundlage für nachhaltiges Denken: Man will ja seinen Kindern nicht nur ein Erbe, sondern auch eine lebenswerte Welt hinterlassen, wozu auch der gelebte Glaube und tradierte Werte gehören.
In Familien wächst Gemeinsinn; sie sind das beste Rezept gegen Monotonie und Langeweile. Mit ihren Kindern erleben Eltern erfüllende Momente und Ablenkung vom Beruf. Durch ihren Nachwuchs bleiben Eltern jung, setzen sich in den Sandkas­ten, lesen Bücher vor, machen Brettspiele, holen das Lego wieder aus dem Keller, schauen Filme, die zur Herzensbildung beitragen und werden selber wie Kinder.
Tiere werden angeschafft, es entsteht Geborgenheit, Freundschaften mit anderen Eltern werden geschlossen. Liebe multipliziert sich. Was ist ein größeres Geschenk als glückliche Kinderaugen? Großfamilien strotzen vor Energie. Eltern aus solchen Settings sind verlässliche Arbeitnehmer und eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Der Datenreport 2021 des deutschen Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung nennt den entscheidenden Faktor für die desaströse Demographie unseres Volkes: ,,Zwei Drittel des Rückgangs der durchschnittlichen Kinderzahl zwischen dem Jahrgang 1933 und 1968 [ist] auf die geringere Zahl kinderreicher Frauen zurückzuführen.“
Geschwister unterstützen sich emotional, sie können sich gegenseitig ermutigen und ein lebenslanges Netzwerk bilden, welches Sicherheit und Halt durch Zugehörigkeit bietet. Einerseits tauschen sie Erfahrungen aus, arbeiten als Team zusammen und sehen, dass man gemeinsam einiges auf die Beine stellen kann. Andererseits muss jeder selbst lernen, sich Gehör zu verschaffen, wodurch Kompromissbereitschaft und Rücksichtnahme ebenso gestärkt werden wie Frustrationstoleranz und Resilienz. Miteinander reflektieren sie die Erziehung ihrer Eltern, können deren Eigenheiten besser einordnen.
Die Vielfalt verschiedener Persönlichkeiten bereichert, weil sich Sichtweisen ergänzen und unterschiedliche Temperamente wahrgenommen werden. Sie fördert den Einzelnen darin, sich durch individuelle Stärken abzuheben. Familie ist der Bildungsort Nummer eins. Ältere Geschwister gehen sanfter durch die Pubertät, wenn sie Geschwister im Kleinkindalter haben, sie lernen Verantwortung zu übernehmen, wachsen in die Haushaltsführung hinein, stehen im realen Lebensvollzug, der eben nicht nur aus der Peergroup mit ihrer Jugendkultur besteht, sondern aus vielen Jahrgängen. Geschwister können miteinander spielen, spenden sich gegenseitig Trost, teilen gemeinsame Erinnerungen, sind also einander vertraut. Erlebnisse wie Urlaube und Familienfeiern schaffen Verbundenheit und lebenslange Bindung.
In einer Gesellschaft aus Ein-Kind-Familien hingegen wird es leiser. Hätte niemand Geschwister, gäbe es weder Cousins noch Cousinen, auch keine Onkel oder Tanten, niemals Familienfeiern, sondern nur die Einsamkeit mit den Eltern. Die Kindheit wäre eine Art Isolationshaft, wo man artig Erwachsenengesprächen beiwohnen müsste und wenn sich Vater und Mutter einmal in die Haare kommen, hätte man das Gefühl, völlig alleine in der Welt zu sein, was spätestens dann auch stimmt, wenn diese beiden das Zeitliche gesegnet haben. Im Übrigen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einzelkind nur einen Erziehungsberechtigten hat, sehr groß, denn von sämtlichen geschiedenen Paaren hatten 49,5 Prozent lediglich ein Kind. Die Trennungsrate bei drei oder mehr Kindern liegt dagegen bei 11 Prozent.
Jedes Kind ist ein Segen. In einer Familie ab sechs Kindern, in der neben den Geburts- und Tauftagen auch die Namenstage begangen werden, findet durchschnittlich ein Fest pro Woche statt. In der Großfamilie reihen sich Taufen, Erstkommunionen und Firmungen aneinander, Hochzeiten und Taufen der nächsten Generation, vielleicht auch eine Priesterweihe, und natürlich auch Beerdigungen. Alle Phasen des Lebens sind dauernd präsent:
Man beschäftigt sich ebenso selbstverständlich mit dem quirligen Kleinkind wie mit der gebrechlichen Oma, freut sich über Abschlüsse und Eheschließungen, erlebt aber auch Krankheit, übt Mitleid und schöpft aus einer kontinuierlichen Quelle der Dankbarkeit.
Freilich ist Familie nicht Friede, Freude, Eierkuchen - aber in ihr lernt man, zu verzeihen und sich zu entschuldigen, hier kennt man die Eigentümlichkeiten der anderen, und die anderen wissen um die eigenen Schwächen, in diesem geschützten Rahmen arrangiert und reflektiert man sich und ist für seine Nächsten ein Wegbereiter der Heiligkeit. Mit Großherzigkeit seinen Nachwuchs anzunehmen, lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Die Psalmen versichern uns: ,,Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk.“ Sowie: ,,Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein Lob bereitet.“ Gemäß dem Propheten Maleachi ist der Zweck der Ehe „Nachkommenschaft von Gott“, denn Sein Wunsch ist: ,,Seid fruchtbar und mehrt euch." (Gen 1,28)
Paulus sagt über die Mutter: ,,Sie wird aber selig werden durch Kinderzeugen, so sie bleiben im Glauben und in der Liebe.“ (1Tim 2, 15) Deswegen dürfen die Eltern das Wort Jesu auch auf sich beziehen: „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Got­tes.“ (Mk 10, 14).

Lebe 165/2024




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