VISION 20005/2000
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Wer ist ein Märtyrer?

Artikel drucken (Laurent Sentis)

Bis vor nicht allzu langer Zeit verehrte die Kirche als Märtyrer nur jene, die im Haß gegen den Glauben ihr Leben lassen mußten.

Aber seit den Anfängen zählte man zu den Märtyrerinnen auch Frauen, die getötet wurden, weil sie ihre Keuschheit bewahren wollten. Ein leuchtendes Beispiel diesbezüglich wurde uns im 20. Jahrhundert in der Person von Maria Goretti geschenkt. Bekanntlich hatte dieses 12jährige Mädchen den Mut, dem Drängen des Angreifers aus Treue zum Gesetz Gottes zu widerstehen. Sie wurde erstochen. Ähnlich ist Gianna Beretta Molla zu sehen, die den Tod einer Abtreibung vorzog.

Den Wert dieses frei aus Treue zu Gott gewählten Todes hat Johannes Paul II. in seiner Enzyklika “Splendor veritatis" hervorgehoben: Es gehe darum, das Zeugnis anzunehmen, das für die geoffenbarte, aber auch für die in den Herzen eingeschriebene moralische Wahrheit abgelegt wird.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat auch das Zeugnis der nicht katholischen Christen anerkannt: Durch Seine Gaben und Gnaden wirke der Heilige Geist auch bei den nicht katholischen Christen sein heilbringendes Werk, und manchen von ihnen gäbe er die Kraft, bis zum Blutvergießen zu gehen. ( siehe Lumen gentium 15)

Die Heiligsprechung von Maximilian Kolbe als Märtyrer macht ebenfalls etwas Wesentliches deutlich. Nach den üblichen Normen wurde er nicht aus Haß gegen den Glauben getötet: Die großzügige Hingabe seines Lebens war nicht mit einem öffentlich Glaubensbekenntnis verbunden. Obwohl sie prophetisch war, hätte seine Tat auch als Protest gegen die Nazi-Ideologie aufgefaßt werden können. Dennoch hat die Kirche von einem Martyrium der Liebe gesprochen.

Durch all das hindurch können wir alle Dimensionen des Martyriums erkennen. Die Erweiterungen des Begriffs ändern jedenfalls nichts an seinem Wesenskern. Es geht immer um ein Zeugnis für die Wahrheit. Wir sind zwar nicht alle dazu berufen, unser Blut zu vergießen, aber wir alle begegnen eines Tages der unabweislichen Einladung, Demütigung und Leiden anzunehmen, um nicht die Wahrheit, die im gedemütigten und leidenden Gesicht Christi zum Ausdruck kommt, zu verraten.

Laurent Sentis

Der Autor ist Professor für Moraltheologie am Seminar in Toulon, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Artikel in “Les Martyrs semence de Chrétiens" (Les Cahiers d'Edifa 10)

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