owohl im Matthäus- wie im Lukasevangelium werden die Verfolgten selig gepriesen, ja ausdrücklich aufgefordert, sich zu freuen. Ist das eine überzogene Forderung?
Bei oberflächlicher Lektüre könnte der Eindruck entstehen, diese Seligpreisung gehe uns nicht ebenso an wie die übrigen, setzt sie doch eine besondere Situation voraus. Sie scheint weniger Aktualitätsbezug als die anderen zu haben, die sich eher auf allgemeine Zustände und Haltungen beziehen: die Armut, die Sanftmut, das Leiden, das Unrecht, die Barmherzigkeit, die Reinheit, der Friede.
Wer aber näher hinsieht, erkennt, daß die letzte Seligpreisung für den Evangelisten und seine Adressaten wahrscheinlich die wichtigste ist, ja sogar den Höhepunkt darstellt, auf den die anderen zustreben.
... Auch ist die Seligpreisung der Verfolgten die einzige, die mit einem Kommentar versehen ist, der die dargestellte Prüfung unterstreicht: “Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt. Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt."
Die Seligpreisung der Verfolgten ist auch deswegen bedeutsam, weil sie uns das geschichtliche Umfeld, in dem die Apostel und die Adressaten ihrer Schreiben in der Nachfolge Christi gelebt haben, vor Augen führt: eine Situation der Verfolgung Christi. Außerdem ist diese Seligpreisung von allgemeiner Bedeutung: Nicht nur die anderen Seligpreisungen, sondern das ganze Neue Testament müssen unter diesem Blickwinkel gelesen und verstanden werden. Er gibt den Worten, Taten und Handlungen Christi ihre besondere Färbung.
... Tatsächlich bekommen die Seligpreisungen eine besondere Färbung, wenn man sie aus dieser Warte betrachtet: Die Verfolgung erzeugt Armut und fordert zum Verzicht auf die Güter heraus; sie stürzt in Verzagtheit und Trauer, verursacht Tränen vor allem durch die Trennung von den Lieben; sie verursacht Hunger und Durst nach Gerechtigkeit bei jenen, die ungerecht verurteilt werden.
Man kann aber auch vermuten, daß die Seligkeit der Sanftmut dann besonders erfahren wird, wenn man Gewalt erleidet; daß die Barmherzigkeit in besonderer Weise den Verfolgern in Form der Vergebung zugewendet wird; daß die Reinheit des Herzens besonders dort anzutreffen ist, wo jemand alle Doppelbödigkeit, alle Befleckung und Lüge von sich weist; daß schließlich Friede dort einkehrt, wo in dem von der Verfolgung ausgelösten Krieg die Aggressivität besiegt wird.
So beschreiben die Seligpreisungen die Haltung des Herzens und des Geistes, die den Jünger Christi in der Verfolgung und unter der Drohung des Martyriums kennzeichnen.
... Eigentlich würde man erwarten, daß die ersten Christen durch die schwierige und lange Phase der Verfolgung im Banne der Angst gestanden sein müßten, etwa so wie jener polnische Flüchtling, den ich an einem Sonntagnachmittag in den siebziger Jahren betend hinten in der Kapelle unseres Klosters in Lüttich antraf. Er stand irgendwie merkwürdig an eine Säule gelehnt. Instinktiv habe er sich davor gefürchtet, jemand könnte ihn von hinten überraschen, erklärte er mir.
Nimmt man aber die letzte Seligpreisung und den Kommentar dazu her, so sind die Jünger zur Freude aufgerufen. Um sie noch direkter anzusprechen wird die zweite Person eingesetzt: “Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt. Euer Lohn im Himmel wird groß sein." (Mt 5,11f)
Die Kraft dieser Freude wird umso deutlicher, als sie aus einem wirklichkeitsnahen Widerspruch kommt. Verhöhnung, Verleumdung und Ungerechtigkeiten zählen zu den am stärksten belastenden Erfahrungen, die ein Mensch machen kann, vor allem wenn sie öffentlich stattfinden. Für Christen stellen sie auch eine große Versuchung für ihren Glauben dar: Denn es ist gerade die Verkündigung des Evangeliums, die aggressive Reaktionen auslöst. Das macht hautnah den scheinbaren Fehlschlag des Zeugnisses bei den Menschen und den Machthabern deutlich. Geht es da nicht um das, was in der letzten Bitte des “Vater Unser" angesprochen wird: “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen"?
Erinnert sei auch an das Wort Jesu an Petrus: “Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt." (Lk 22,31f)
Gerade im Zentrum dieser Prüfung erwacht aber plötzlich die Freude der Jünger, die in der Nachfolge Christi bereit waren, sich auf all das einzulassen. Es ist wie ein Ausruf der Befreiung und sie entdecken so einen sicheren Weg ins Himmelreich.
Der Exeget Pierre Bonnard hält in seinem Matthäus-Kommentar zurecht fest, daß die Freude im Martyrium ihren Ausdruck in der letzten Seligpreisung findet. Insbesondere im ersten Petrusbrief findet sich diese Einladung zur Freude wieder: “Liebe Brüder, laßt euch durch die Feuersglut, die zu eurer Prüfung über euch gekommen ist, nicht verwirren, als ob euch etwas Ungewöhnliches zustoße. Statt dessen freut euch, daß ihr Anteil an den Leiden Christi habt; denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln. Wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet, seid ihr seligzupreisen, denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, ruht auf euch." (4,12-14)
Es ist eine überraschende und umfassende Freude, die sich in der Liebe zur Armut und in der Sanftmut, in der Geduld und im Hunger nach Gottes Gerechtigkeit, in der barmherzigen Vergebung und der Reinheit des Herzens, in der Friedfertigkeit bricht wie ein Regenbogen. Das sind die strahlenden Merkmale der Seele von Christen in der Verfolgung.
Br. Servais-Théodore Pinckaers OP
Auszug aus seinem Artikel in “Les Martyrs semence de Chrétiens" (Les Cahiers d'Edifa Nr. 10)