VISION 20005/2000
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Die Christen im Ostblock

Artikel drucken Der Mut der Bekenner während der kommunistischen Verfolgung

Die kommunistischen Regime waren fest entschlossen, jede Form von Glauben auszumerzen - vergebens, wie die Geschichte gezeigt hat.

Eine im Westen wenig bekannte Tatsache ist die Unterschrift Joseph Stalins unter ein Dekret vom 15. Mai 1932, das einen Fünfjahresplan zur Erzeugung von Atheisten in der Sowjetunion bekanntgab. Diesem Programm zufolge sollte der Name Gottes bis zum 1. Mai 1937 vom Sowjetboden verschwunden sein.

Ein ähnliches Programm wurde am 6. Februar 1967 durch Enver Hoxha, Stalins gelehrigsten Schüler, lanciert. Im November desselben Jahres erklärte das offizielle Parteiorgan Albaniens das Land zum “ersten atheistischen Staat der Erde".

Dieser Wille zur Auslöschung jeglicher Form von Religiösität in der stalinistischen Sowjetunion und im Albanien Enver Hoxhas ist kein krankhafter Ausrutscher oder eine Perversion des sozio-politischen Systems: Es ist sein Grundprinzip, wie Johannes Paul II. in seinem apostolischen Schreiben vom 27. August 1989 festgestellt hat, wobei er einen Vergleich mit dem Nationalsozialismus zog und auf den Willen beider Systeme hinwies, “Gott und Sein Bild aus dem Horizont des Menschen zu entfernen".

Diesem Willen stellt der Papst “die zahlreichen bekannten und unbekannten Zeugen gegenüber, die in den Stunden der Drangsal den Mut hatten, unbeugsam ihren Glauben zu bekennen, imstande waren, gegen die atheistische Willkür aufzutreten und sich der Gewalt nicht gebeugt haben."

Von den Märtyrern unter dem Kommunismus zu sprechen macht nur Sinn, wenn man ihre Handlungen ins Licht rückt und das, was auf dem Spiel gestanden ist.

Außerdem hat sich diese Verfolgung gegen alle Christen gewendet (und alle Gläubigen). ... Man darf nicht vergessen, daß die Orthodoxe Kirche Rußlands die größte Zahl der Märtyrer der ganzen Geschichte des Christentums zu verzeichnen hatte: Angaben von A. Jakowlew zufolge sind 200.000 Mitglieder des geistlichen Standes (davon 85.000 Mitte der dreißiger Jahre) und eine unübersehbare Zahl von Gläubigen Opfer des Hasses gegen den Glauben in der Sowjetära geworden. 80 Prozent der orthodoxen Priester Albaniens sind als Märtyrer gestorben oder an den Folgen ihrer Mißhandlung, und ein gleich hoher Prozentsatz des katholischen Klerus. Ähnliches gilt für die Baptisten, auch in den sechziger und siebziger Jahren, für Männer wie Nikolaus Chmara (1964), Ivan Afonin (1969), Alexej Iskovtschitsch (1970), Pawel Sacharow (1971), Georg Kudrjaschow, Nikolaus Melnikow und Ivan Moissejew (1972).

Jenseits der derzeitigen Schwierigkeiten des Dialogs in Osteuropa beweisen die Märtyrer und Bekenner des Glaubens, daß nicht nur der Dialog der Theologen und Kirchenführer - auch wenn er notwendig ist - den Königsweg der Versöhnung zwischen den Kirchen darstellt, sondern das Beachten der Zeichen der Zeit: “Die Ökumene der Heiligen und der Märtyrer ist vielleicht das, was am meisten überzeugt" (Johannes Paul II in “Tertio millennio adveniente").

... Es ist unsere Pflicht, das Andenken an die Märtyrer und die Glaubenszeugen hochzuhalten. Aber es geht nicht darum, sich nur dabei aufzuhalten. “Zur Bewunderung für ihr Martyrium muß im Herzen der Gläubigen der Wunsch kommen, mit Gottes Gnade ihrem Beispiel folgen zu können, wenn es die Umstände erfordern sollten" (Bulle zur Eröffnung des Jubeljahres Nr. 13). Dieser Wunsch sollte Kraft aus ihrem Vorbild schöpfen, aber auch aus dem Nachdenken über ihr Beispiel.

Trotz sehr unterschiedlicher Situationen und Gegebenheiten findet man bei den Märtyrern und Bekennern der Ostblockstaaten einige “Konstanten" des Zeugnisses. An dieser Stelle möchte ich zwei erwähnen: die Konstante der Weitergabe (“nur der Glaube vermag den Glauben weiterzugeben") und die Konstante des “evangelischen Gebots" (man setzt Handlungen, nicht weil sich die Möglichkeit dazu ergibt, sondern weil es das Evangelium fordert).

Noch einige andere könnte man anführen: die Wichtigkeit des Lebens aus den Sakramenten und der christlichen Bildung, die Treue zur Kirche, insbesondere zum Papst, die Befreiung von der Angst, das Bewußtsein der eigenen Ohnmacht, ein gewisser Sinn für Humor, das Fehlen von Haß gegenüber den Verfolgern und die Fähigkeit zu vergeben...

Das Erste, was für alle zutrifft, die den Mut hatten, öffentlich ihren Glauben zu bezeugen: Sie führen das vor allem auf die göttliche Gnade zurück, meinen aber, daß diese sich durch das Beispiel anderer Glaubender manifestiert habe. So wie nur das Leben Leben weiterschenken kann, scheint nur das Zeugnis Zeugnis hervorrufen zu können.

Ein Zeuge zu werden, setzt voraus, daß man sich bei einem Träger dieses besonderen Virus “angesteckt hat": bei den Eltern, einem Priester, einem Bischof, einem Laien. Die meisten sind sich einig zu sagen: “Dieses lebendige Zeugnis erlebt zu haben, gab mir die Kraft nun auch meinerseits Zeugnis zu geben." Ein ungarischer Priester in Budapest, einer der wenigen, die sich in den siebziger und achtziger Jahren aktiv in der Jugendseelsorge engagiert hatte, vertraute mir an: “Als man in meiner Gegend knapp nach dem Krieg die Priester umgebracht hat, habe ich mir schon als Kind gedacht: Man bringt sie um, also wirst du Priester."

Besser als ein Vortrag, erklärt die von einem Glaubenszeugen aus Bratislava erzählte Parabel, die zweite Konstante, die des “evangelischen Gebots". Es ist die aktualisierte Erzählung vom barmherzigen Samariter: “Stellen Sie sich einen Autounfall im Juli auf der Autobahn vor. Welche Aufgabe hat die Rettung (der gute Samariter)? Den Verletzten holen und ins Spital bringen. Und beim selben Unfall auf einer Bergstraße bei einem Schneesturm im Winter, was ist da die Aufgabe der Rettung? Dieselbe. Ebenso ist es mit dem Auftrag des Christen, er ist überall gleich, ob Kommunismus oder nicht, Verfolgung oder nicht, Gefahr, den Job, die Freiheit oder gar das Leben zu verlieren oder nicht: Er muß um jeden Preis Christus zu Hilfe eilen, der in seinem verletzten, verlassenen, zerschlagenen Bruder leidet."

Auf wen führen diese Männer und Frauen die Befreiung ihrer Völker und ihrer Kirchen, an der sie oft mitgewirkt haben, zurück? Nehmen wir beispielsweise den Fall von Stefania Schabatura, einer Unkrainerin, die auf die Karriere einer hervorragenden Künstlerin in der Sowjetunion verzichtet und als Putzfrau in ihrem Haus gearbeitet hat, um nicht als Hooligan in den Gulag zurückgeschickt zu werden.

1991 ist sie Abgeordnete in Lwiw. Sie erwirkt die Wiedereröffnung der St. Georgs-Kathedrale für die Katholiken, nachdem sie eine bedeutende Rolle beim Regimewechsel in der postkommunistischen Ära gespielt hat.

Auf die Frage: “Haben Sie, als Sie im Gulag oder in den Gefängnissen des KGB waren geglaubt, daß dieser Tag einmal kommen würde?", gibt sie zur Antwort: “Wir alle haben an derselben Aktion mitgewirkt, unsere Kirche aus den Katakomben zu holen. Wir alle haben das verwirklicht... Oder besser gesagt, Gott war es, der dies gewirkt hat. Es war Gott, der alles getan hat. Wenn ich an das denke, was sich ereignet hat, scheint mir, daß diese Veränderung zunächst nicht uns zu verdanken ist. Sie hat irgendwie außerhalb von uns stattgefunden; sie ist zunächst dem Willen Gottes entsprungen!

Das ganze Geschehen zeigt das eigentliche Gesetz des Lebens: Letztlich ist nicht das, was groß erscheint, wirklich bedeutend, sondern der Schwächste, der die Wahrheit auf seiner Seite hat, ist stärker als der Stärkste. Die einzig wirklich Kraft ist die Wahrheit."

Ist dies nicht das kostbarste Gut, das uns die Märtyrer des Ostens hinterlassen?

Der Autor ist Diakon und Leiter der Ostpriesterhilfe in Frankreich. Sein Beitrag ist ein Auszug aus seinem Artikel in “Les Martyrs semence de Chrétiens" (Les Cahiers d'Edifa 10)

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