Welt und Kirche stehen an einer Wende, stellt Erzbischof Eder fest. Das “Gewöhnliche", das die Kirche bisher getan hat, scheint nicht mehr zu reichen...
Was der Herr vor Seinem Weggang in Sein Leiden und Seinen Tod über Seine Jünger betet, gehört nicht nur zu dem Ergreifendsten, was Jesus gesagt hat, sondern auch zum Anspruchsvollsten: “Heiliger Vater, heilige sie in der Wahrheit ... Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind." Joh 17, 17-19)
Der dreimal heilige Gott heiligt uns, denn Er will uns heilig haben. Gott, der Eine und Dreifaltige, Er ist auch der dreimal Heilige. Wenn die Seraphim einander mit gewaltigen Stimmen zurufen: Heilig, heilig, heilig, dann erschauern Himmel und Erde. Dann erbeben die Türschwellen des Tempels. Und der große Raum füllt sich mit Rauch, der selbst für den Hohepriester unzugänglich wird. Gott ist heilig.
Vor dieser Heiligkeit Gottes kann der Mensch nicht mehr bestehen. Er würde sterben. Die Berufungsvision des Propheten Jesaja steht uns im Sanctus der Heiligen Messe immer wieder vor Augen: Heilig, heilig, heilig, heilig, unaussprechlich heilig - das ist Gott, der ganz Andere, Unvergleichliche, der Unaussprechliche, der in unzugänglichem Licht wohnt, dessen Glanz und Glut den ungeschützten Menschen vernichtet, wenn er Ihm zu nahe kommt. Gott, den niemand je gesehen hat, den niemand sehen kann außer dem Eingeborenen des Vaters.
In einer Zeit und einer Gesellschaft, der nichts mehr heilig ist, und auch in einer Kirche und einer Liturgie, die das Geheimnis der Heiligkeit vor lauter Freundlichkeit und Brüderlichkeit mit Gott und Menschen fast völlig vergessen hat, müssen wir das wieder betonen: die Anbetung. Wir müssen lernen, das dreimal Heilig zu singen. Bei jeder Heiligen Messe müssen wir alle Kräfte zusammennehmen, um das Sanctus mit donnernden Stimmen zu singen und dann in die Knie zu sinken. Denn alles andere tun dann nicht mehr wir, sondern Gott allein.
“Heilig, Du allein bist der Heilige!"
Hier in unserer unvollkommenen Welt und in der gefallenen Natur ist ja das Schöne und Gute nie ganz rein zu finden. Wir können nie sagen: Das ist nun heilig. Alles ist irgendwie mit physischem oder moralischen Übel vermischt. Du findest keinen Menschen, der heilig ist, der niemals enttäuscht. “Warum nennst du mich gut?", hat Jesus zum jungen Mann gesagt, “nur einer ist gut, Gott."
“Du allein bist der Heilige!" - heilig und gut. Und wie alles Gute von Gott kommt - und zugleich den Widerschein des Heiligen trägt, die Schöpfung, das Auge des Menschen etwa -, so ist auch nichts gut, was nicht zugleich auch heilig wäre. Dann sprechen wir doch wieder von heiligen Menschen. In einmaliger Weise hat man das im Leben von Mutter Teresa gespürt. Und man kann es jetzt noch an einem Lebenden sehen, an Johannes Paul II.
Das Geheimnis dieser Menschen ist die völlige Übergabe des Lebens an Gott und die totale Hingabe an die Menschen. “Heilige sie! Für sie heilige ich mich," hat Jesus gesagt und dann den Vater gebeten: “Jetzt heilige Du sie."
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Vor dieser Berufung zur Heiligkeit müssen wir alle kapitulieren, gäbe es das nicht, daß Er sich für uns heiligt - und damit uns heilig machen kann. Er weiht sich für uns und weiht uns selber. Diese Weihe betrifft nicht etwa nur den Priester oder die Ordensleute, sondern jeden Getauften. Die Taufe ist ja die größte Weihe, die es gibt, die wichtigste.
Seit dem Tag der Taufe ist jedem von uns unauslöschlich eingeschrieben das Wort, das einst der Hohepriester auf der Stirne trug: Heilig dem Herrn. Diese Heiligung, von der Jesus spricht, ist ein lebenslanger Prozeß, ... (sie) ist unsere Lebensaufgabe, die einzige.
P. Jakob Gapp schrieb in seinem letzten Brief aus dem Gefängnis, in dem er monatelang zwischen dem Todesurteil und der Hinrichtung warten mußte: “Ich glaube, daß ich mich in dieser Zeit heiligen konnte."
In unserer Zeit steht die ganze Welt in einer Wende, ihr innerer Weg ist an eine Entscheidung gekommen. ... Wir sehen, daß das Gewöhnliche, was die Kirche bisher getan hat, nicht mehr reicht. Die Wahrheit nur wird an die Herzen dringen und wirken wird nur das Wort, das gelebt wird, schreibt Reinhold Schneider, der prophetische Tröster der Kriegs- und Nachkriegszeit. Nur die Wahrheit!
Jetzt scheint es soweit gekommen zu sein, daß sich diese Zeit erfüllt hat. Alles philosophieren, alles Theologisieren, alles Predigen und Verkünden scheint die Kraft verloren zu haben. Es sind Worte. Die Kirche arbeitet in der Zeit nach dem Vaticanum, wie noch nie. Aber das Land gibt - so hat man oft den Eindruck - gibt kaum noch Ertrag. Warum?
Die Arbeiter kehren täglich müde und müder in das Haus zurück. Die Müdigkeit der Guten ist die größte, wie schon Pius XII. gesagt hat. Mutter Teresa war einmal einen Tag lang mit einem Journalisten unterwegs. Am Abend war er total fertig, der gute Medienmann. Da sagte er: “Mutter Teresa, jetzt werden Sie aber müde sein." Sie lächelte und sagte: “Only a little bit." - “Nur ein bißchen."
Die Waffen, mit denen der Glaube verteidigt sein will, sind das heilige Leben derer, die den Glauben predigen und lehren und die Geduld in Leiden und Verfolgung, schreibt Laurentius von Brindisi. Das habe ich mir als Bischof von Anfang an hingestellt. Das ist es eigentlich.
Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, daß wir auf der Ebene des Denkens, des Argumentierens die Umkehr nicht mehr schaffen. Verfinstert sind ja nicht nur die Hirne, sondern auch die Herzen der Menschen. Wenn aber ein Herz verfinstert ist, nützt es nichts, wenn ich zum Hirn tausend Argumente sage. Wir müssen in das tiefere Geheimnis des Gebetes und der Anbetung eindringen. Die Anbetung der Heiligsten Eucharistie, so denke ich manchmal, ist vielleicht der Weg, wo wir diese Umkehr leichter schaffen, als über den Weg der Verteidigung von Glaubenswahrheiten - obwohl auch das notwendig ist.
Wir sollten in diesem Jahr anfangen, in allen Kirchen eucharistische Anbetung zu halten. Da können alle kommen. Da gibt es kein Hindernis. Hier ist Gott jedem zugänglich. Bei der Anbetung ist es auch möglich, wieder zur Besinnung, zur Umkehr, zur Beichte zu kommen.
Was tut der Papst mit den vielen Jugendlichen? Im Einladungsbrief zum 15. Weltjugendtag hat er es klar gesagt: “Habt keine Angst, die Heiligen des 3. Jahrtausends zu sein!" “Ihr seid die Heiligen des 3. Jahrtausends." Und sie hören auf ihn - auf einmal.
In uns allen muß eine tiefe Sehnsucht nach der Heiligkeit aufbrechen. Aber es braucht die Wahrheit, die gelebt wird. Wirken wird nur das Wort, das gelebt ist. An dieser Stelle stehen wir. Und das ist auch die Hoffnung. Denn wir wissen, daß der Heilige Geist seit unserer Taufe unaufhörlich in uns wirkt. Er will uns heiligen. Und nur die Heiligen heilen diese kranke, schwer kranke Welt.
Aus der Predigt des Salzburger Erzbischofs am Schlußtag der 12. Internationalen Theologischen Sommerakademie in Aigen (28.-30.8.2000)