VISION 20005/2000
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Jetzt kommt das Teil-Klonen

Das therapeutische Klonen mit Stammzellen von menschlichen Embryonen sollte nach Ansicht der führenden wissenschaftlichen Berater der britischen Regierung erlaubt werden. In einem Bericht, der am Mittwoch in London vom Gesundheitsministerium veröffentlicht wurde, wird eine strenge Kontrolle solcher Forschungsprojekte in Großbritannien zugesichert und das Verbot des Klonens von Menschen bekräftigt. Ob der Weg für das therapeutische Klonen tatsächlich frei gemacht wird, hängt vom britischen Parlament ab, in dem im Herbst ohne Fraktionszwang entschieden werden soll...

Beim Therapeutischen Klonen geht es darum, Stammzellen eines wenige Tage alten menschlichen Embryos zu nutzen, aus denen fast jede Art menschlichen Gewebes einschließlich Nerven, Muskel, Blut und Knochen entstehen kann.
Die Presse v. 17.8.00


In England soll nun, das Klonen - bis vor kurzem absolut tabu - legalisiert werden, weil es so nützlich ist. Daß das Züchten von Stammzellen nichts anderes ist als das Opfern von Menschen in den ersten Lebensphasen, wird verharmlost wie in der folgenden Darstellung.

Den Menschen klonen

Die beiden Firmen Geron und Advanced Cell Therapeutics (ACT) ... wollen menschliche Embryonen so weit züchten, daß sich aus den kugelförmigen Zellhaufen sogenannte Stammzellen für medizinische Zwecke entnehmen lassen. Die Firmen beschwören, daß es ihnen nicht um das Erzeugen geklonter Menschen gehe (reproduktives Klonen), sondern um die Gewinnung dieser therapeutisch wichtigen Zellen (therapeutisches Klonen).

Die Experimente seien völlig legal, denn die Embryonen würden nicht in eine Gebärmutter eingesetzt und spätestens am 14. Wachstumstag vernichtet, lange bevor Nerven oder gar menschenähnliche Wesen entstanden seien. ...

Angesehene Institutionen wie die National Institutes of Health der USA bestätigen den Stammzellen ein revolutionäres therapeutisches Potential. Sie können sich nahezu unbegrenzt vermehren, aus ihnen gehen alle Organe wie Blut-, Leber-, Nerven- oder Muskelzellen hervor. Gelänge es, aus Stammzellen insulinproduzierende Zellen zu züchten und diese auf Diabetiker zu übertragen, dann ließen sich Millionen Zuckerkranke heilen. Neue Nervenzellen könnten Lahme wieder gehen lassen, und Parkinsonkranke müßten nicht mehr zittern.
Die Zeit 26/99


So macht der “Fortschritt" der Medizin den Menschen zum Material. Die Perspektiven des Fortschritts der Datenverarbeitung sind aber keineswegs berauschender:

 

Roboter im Vormarsch

Kevin Warwick, Professor für Kybernetik, ist gar überzeugt, daß Roboter bereits in 20 Jahren Menschen wie Sklaven halten werden, wobei der Brite kein Hehl daraus macht, daß ihm diese Vorstellung ... kein größeres Unbehagen bereitet. Nüchterner ist da schon Ray Kurzweil, der ebenfalls Präsident Clinton berät. Aber auch der Autor des Buches “The Age of Spiritual Machines" (auf Deutsch “Homo S@piens - Leben im 21. Jahrhundert") prophezeit: Im Jahr 2019 werde ein durchschnittlicher 2000-Mark-Computer so schnell “denken" wie ein menschliches Gehirn. 2029 besitze er ein eigenes Bewußtsein. Und 2099 gebe es keinen Unterschied mehr zwischen Mensch und Maschine. Auch der Robotik-Forscher Hans Moravec glaubt, daß dann Roboter, die über genaue Kopien menschlicher Gehirne verfügen, die Welt bevölkern und etwa Unternehmen führen, in denen es keine menschlichen Angestellten mehr gibt.
Die Tagespost v. 20.7.00


Zweifel an den derzeitigen “Fortschritten" werden immer häufiger geäußert:

Wachstumsbranche Kriminalität

Frage: Wird die wunderbare neue Technologie doch ein goldenes Zeitalter für alle bescheren?

Manuel Castells: Nein. Denn unübersehbar nimmt die materielle Ungleichheit zu, und die Gesellschaften polarisieren sich. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. ... An die Stelle der Ausbeutung der Schwächeren, wie wir sie aus der industriellen Ära kennen, tritt eine viel schrecklichere Form der Ausschließung: Menschen, die nicht über die nötige Bildung und Technologie verfügen, werden ignoriert, weil sie weder als Produzenten noch als Konsumenten gebraucht werden, wenn sie nicht mit dem Netz verbunden werden können. Sie fallen in ein schwarzes Loch. ... Es gibt diesen äußerst dynamischen Kern der Menschheit, ausgestattet mit Kapital, Technologie und Wissen, der etwa ein Drittel der Weltbevölkerung umfaßt, und demgegenüber den ganzen Rest ohne Anschluß. Da formiert sich eine Vierte Welt, die ausgeschlossen bleibt.

Frage: Was wird aus den vielen, die nicht mithalten können?

Castells: Die Reaktionen sind ja schon weltweit sichtbar. Die Ausgeschlossenen antworten, indem sie ihrerseits Ausgrenzung und Ausschluß betreiben. So nährt sich der Fundamentalismus in all seinen Formen: religiös, ethnisch oder nationalistisch. Dazu zählt der islamische Fundamentalismus in den arabischen Ländern genauso wie der christliche hier in Amerika.

Frage: In Europa spielt das aber nur eine untergeordnete Rolle.

Castells: Keineswegs. Europa hat es dafür mit Leuten wie Haider zu tun. Dabei trifft die derzeitige Debatte allerdings nicht den Punkt. Haider ist gewiß kein Neonazi. Aber er bündelt Stimmungen: Fremdenfurcht, Rassismus, Nationalismus. An diesen Punkten entwickelt sich eine starke Identität derer, die eben nicht wollen, daß sie die Kontrolle verlieren. Aber auch das ist nur eine von vielen Antworten auf die Netzwerkgesellschaft. Mindestens genauso wichtig ist der Aufstieg der organisierten Kriminalität.

Frage: Warum das? Kriminalität ist wahrlich nichts Neues.

Castells: Das stimmt, aber jetzt erleben wir erstmals, daß ehedem nationale und ethnische kriminelle Netzwerke sich global zu Allianzen zusammenschließen. Vorsichtige Schätzungen kalkulieren die Jahresumsätze des weltweiten kriminellen Verbundgeschäfts mittlerweile auf 1,5 Billionen Dollar, das ist so viel, wie für den gesamten E-Commerce fürs nächste Jahr erwartet wird. Das geht nur, weil die wirtschaftlichen Netzwerke die Möglichkeiten dazu geschaffen haben. Und weil der globale Kapitalmarkt die Legalisierung der mit Drogen-, Waffen-, Frauen- und Flüchtlingshandel erzielten Gewinne erlaubt, sodaß die Investoren am Ende ganz unauffällig in den Genuß ihrer Rendite kommen. Darum können sie mehr und mehr auch die staatlichen Institutionen in aller Welt durchdringen.

Frage: In Ländern wie Kolumbien oder Rußland.

Castells: Nicht nur. In Japan zum Beispiel bezeugen schon die Fotos in den Zeitungen, die politische Führer Seite an Seite mit den Bossen der Yakuza-Organisationen zeigen, wie tief diese Durchdringung geht.

Frage: Wie es scheint, können die Wohlstandsländer aber ganz gut damit leben. Die meisten Menschen betrifft es nicht.

Castells: O doch. Die Vereinigten Staaten können Sie ohne dieses Phänomen gar nicht mehr verstehen. In diesem Land wird jede Woche ein neues Gefängnis für bis zu 1000 Gefangene gebaut. Kalifornien gibt für Gefängnisse inzwischen so viel aus wie für das Bildungswesen. Und nach Europa kommen etwa eine halbe Million illegaler Einwanderer jährlich, zum größten Teil mit Hilfe krimineller Organisationen....

Manuel Castells ist Professor für Soziologie und Regionalplanung an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
Auszug aus “Der Spiegel" 14/2000


Selbst den Medien, die seit Jahrzehnten für die Emanzipation des Menschen geworben haben, wird da mulmig:

Vor uns das Chaos

“Die Zukunft braucht uns nicht" - ein Satz wie in Stein gemeißelt steht diesen Monat ausgerechnet auf dem Titel des amerikanischen Magazins “Wired", der Fanpostille für Cyberkultur... Geschrieben hat ihn Bill Joy, Mitgründer und Vordenker der Computerfirma Sun... Wenn der Fortschritt weiter so voranschreite, lautet seine Botschaft, finde die Zukunft eines nicht allzu fernen Tages ohne Menschen statt. Intelligente Roboter würden sich ihrer Herren entledigen, Mikroben aus dem Genlabor Amok laufen, und womöglich könnten seelenlose, zur Selbstvervielfältigung fähige Nanomaschinen die gesamte Biosphäre in grauen Schleim zersetzen.

... Die Propheten und Prognostiker (sind) kleinlaut geworden. Im gegenwärtigen, rasend schnellen Wandel des Weltgeschehens erkennt etwa der Berliner Wissenschaftssoziologe Meinolf Dierkes nur noch ein Gebrodel wilder “Turbulenzen". Bei diesem Durcheinander, einem epochalen Schlamassel, sei es nahezu zwecklos, sich mit Prognosen abzuplagen, glaubt der Gelehrte; sicher sei nur eines: “Ordnung nimmt ab, Chaos nimmt zu."

.... Inzwischen drehen nicht mehr Kanzler und Könige, sondern Wirtschaftskapitäne das Rad der Geschichte weiter. Die neuen Großmächte heißen Microsoft, Toyota oder DaimlerChrysler. Ihre Schlachten und Bündnisse - feindliche Übernahmen, Megafusionen - werden auf den Finanzmärkten der Welt geschlagen und ausgehandelt; drei Billionen Dollar werden dort an jedem Geschäftstag umgesetzt. Die monströse, rasend schnell rotierende Geldmaschine versetzte zeitweise selbst den steinreichen Währungsspekulanten George Soros in Angst und Schrecken: Ihm schwante, “daß die gegenwärtige Version des Kapitalismus ein schlimmes Ende" finden könnte.

Nach Reformen rufen inzwischen viele, etwa nach einer Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft der Nachkriegszeit.

... “Als Kompaß auf dem Meer der offenen Zukunft", lehrt Bolz, “können uns nicht mehr Prophetie, Utopie, Eschatologie, Apokalypse oder die Geschichtsphilosophie des Fortschritts dienen." Der moderne Mensch müsse sich daran gewöhnen, von einem Tag auf den anderen zu leben und flexibel immer wieder neu zu entscheiden - dabei allzeit bereit, selbst für heilig erachtete Grundsätze zu verraten, wenn es die Lage verlangt.

“Das", räumt Bolz ein, “kränkt natürlich die Moral und die Vernunft." Doch auf die verwickelten Gegenwartsfragen - Beispiel: mehr Umweltschutz und weniger Arbeitsplätze oder umgekehrt? - gebe es nun einmal keine Antworten ohne Verfallstermin; was heute richtig erscheine, könne morgen schon falsch sein. “Liebe die Ungewißheit!", empfiehlt der fröhliche Philosoph.
“Der Spiegel" 14/2000


Das ist natürlich eine traurige Bilanz des Projekts der Neuzeit, die auszog, die Welt ins Licht der Vernunft zu führen. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Jugend zunehmend auf den hört, der eine zeitlos gültige Botschaft verkündet: Denn mit ihr bekommt sie festen Boden unter die Füße.

Der Erfolg des Papstes

Zwei Millionen Jugendliche aus unterschiedlichen Kulturen und Nationen beteten und beichteten, jauchzten und jubelten Papst Johannes Paul II. auf dem 15. Weltjugendtag zu. Sechs Tage lang war Rom Treffpunkt der internationalen Jugend. Die Bilder gingen um die Welt: Auf der einen Seite der kranke greise Pontifex, nunmehr am Ende seines Lebens stehend; und auf der anderen Seite die begeisterten Vertreter der Zukunft.

Diese Jugendlichen waren nach Rom gekommen, um eine Botschaft zu erhalten. In der Heiligen Stadt konnte man es nochmals erfahren: Die Mehrzahl der Jugend weltweit sehnt sich nach Werten, Idealen und einem moralischen Halt, den sie von Politikern und Parteien, Eltern und Schulen offenbar nicht oder nur unzureichend bekommt. Der Papst, dieser frühere Philosophieprofessor aus Krakau, vermochte es, den Jungen und Mädchen bei ihrer Suche nach dem Sinn zu helfen und einige der Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens zu vermitteln, die im Christentum verankert sind. Damit strafte er all diejenigen Lügen, die darauf verweisen, daß viele seiner Ansichten nicht mehr zeitgemäß seien.

Der Papst mag auf zahlreichen Feldern, wie der Abtreibungsfrage und der Verhütung, nicht mit dem Zeitgeist gehen, mag allgemein unbequem sein, sogar Anstoß und Kritik erregen. Die Jugend jedoch hält ihn für wahrhaftig und vertrauenswert. Für sie ist er eine moralische Instanz, deren Lehren Richtung weisen können. Auch deshalb war dieser Weltjugendtag ein überwältigender Erfolg, ein Erfolg, von dem Politiker und Popkünstler nur träumen können.
Die Welt v. 21.8.00

Gott sei Dank haben nicht alle Medien im deutschsprachigen Raum die Bedeutung des Ereignisses übersehen.

Antworten auf die Fragen des Lebens

Hatten sich die jungen Leute beim Papst eingefunden ..., um etwas Neues zu hören, von der Reform der Kirche, von entscheidenden Änderungen, etwa zu Fragen der Sexualmoral oder für die Zulassung von Frauen zum Priesteramt oder für die Lockerung des Zölibats? Nein, nicht von allem!“Knallhart" wiederholte Johannes Paul II. vor den jungen Leuten im besten Alter seine Leitlinien für Ehe und Familie, verleugnete nichts von seinen anspruchsvollen Idealen. Der Stimmung tat dies keinen Abbruch.

Was am Ende zählte, waren die Antworten des Papstes auf die wesentlichen Fragen des Lebens. Auf Leid und Tod, Schmerz und Krankheit. Auf die Fragen, welchen Sinn das Leben hat und welchen Sinn junge Leute ihrem Leben und der Zukunft der Menscnheit geben können. Ganz einfach. Aber warum zwei Millionen Junge gerae von diesem Oberhaupt der katholischen Kirche sich Antworten auf ihre Fragen erhoffen, das ist um so schwieriger zu beantworten, je länger man darüber nachdenkt. Aber vielleicht genügt es, die christliche Botschaft des Papstes von Glaube, Hoffnung und Liebe vor dem Hintergrund der offenen, fröhlichen, jungen Gesichter von Rom auf sich wirken zu lassen.
FAZ v. 21.8.00

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