Gott liebt die “kleinen Wege", jene Wege, auf denen die Gnade durch kleine, unscheinbare Ereignisse fließend wird. Als evangelisch getauftes und liberal erzogenes Mädchen genoß ich keine religiöse, geschweige denn eine marianische Erziehung; bis in die späten Jugendjahre hinein hatte ich nie eine Marienpredigt gehört.
Drei kleine Begebenheiten waren es, die mich zu Maria führten und mich lehrten, sie zu verehren und zu lieben: die Begeisterung einer Bekannten über einen Lourdes-Film, das Verhalten und der Ausspruch meiner Tante vor einem Marienbild und der Impuls zum Rosenkranzgebet, dem ich und mein Mann folgten.
Es war in den frühen Nachkriegsjahren, als ich mit etwa fünf Jahren den ersten Film meines Lebens sah. Eine Bekannte, die meine Mutter auf der Straße getroffen hatte, erzählte mit so viel Begeisterung von einem Film, daß mich kurz darauf meine Mutter zum ersten Mal ins Kino mitnahm, um Werfels verfilmten Roman “Das Lied von Bernadette" anzuschauen. Der Eindruck, den der Film auf mich machte, blieb unauslöschlich und hat meine liebende Beziehung zu Maria grundgelegt.
Es gab damals noch kein Fernsehen, sodaß die Bilder nachhaltig wirken konnten. Dazu kam, daß ich bis dahin weder eine biblische, noch die Geschichte eines Heiligen gehört hatte. So wurde ich mit einer für mich neuen Welt konfrontiert, die ich sehr anziehend fand. Mein Herz wurde zutiefst berührt: Da kam Maria aus dem fernen Himmel auf die Erde, um sich einem jungen Mädchen zu zeigen und dadurch auch mir zu sagen: “Ich bin da! Ich bin dir nahe!"
Ich bewunderte Bernadette, die allen Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten zum Trotz charmant, einfach und mutig bezeugte, daß sie “die Dame" wirklich gesehen hatte und die nach der Quelle grub, die so vielen Menschen Heilung brachte. Heute ist Maria für mich vor allem jene Frau, die uns auf die Quelle hinweist, die nie versiegt, immer für alle offen steht und in der alle Heil und Heilung finden - das Herz ihres Sohnes.
Eine andere Erfahrung prägte meine Kindheit und mein Leben ebenfalls nachhaltig. Meine geliebte Tante, bei der ich Jahr für Jahr die Sommerferien verbringen durfte, ging mit uns Kindern täglich von ihrem Haus im Dorf in ihren Garten, in dem ein Holzhäuschen stand. Der Garten war groß und ein Paradies für uns Kinder. Allerdings hatten wir einen steilen Fußweg von gut zwei Kilometern zurückzulegen und wir Kinder mußten mithelfen, unseren Tagesbedarf zu tragen.
Oft war es heiß und wir ersehnten unsere Raststelle bei einem alten, dicken Baum, an dem ein Marienbild angebracht war. Dort angelangt, stellten wir unser Gepäck ab, verschnauften tüchtig und meist sprachen wir zusammen mit meiner Tante ein kurzes Gebet. Einmal sagte die Tante zu mir, indem sie auf das Bild deutete: “Sie gilt so viel bei mir!"
Dieses kurze, sehr bescheidene Zeugnis meiner Tante ist mir unvergeßlich geblieben. Etwas gelten, geschätzt sein, Bedeutung haben. Maria bedeutete viel für meine Tante und dies machte ihr Leben schöner und heller. Diese Haltung meiner Tante hat sich auch mir mitgeteilt. Dennoch hatte dies lange Zeit keine weiteren Auswirkungen auf mein Leben. Maria war da und sehr liebenswert, nie habe ich sie aus dem Herzen und den Augen verloren. Ich war ihr sozusagen “wohlgesonnen" - aber das war alles.
Als ich als Jugendliche - noch immer evangelisch - anfing, ernsthaft die Wahrheit des Glaubens zu suchen, stieß ich auch auf die Botschaft von Fatima. In Wien, wo ich aufgewachsen war, war es damals unmöglich, nicht auf Fatima aufmerksam zu werden. Nahezu in jeder Kirche und auf riesigen öffentlichen Plakaten wurde für den Rosenkranz-Sühnekreuzzug geworben. “Betet täglich den Rosenkranz!" lautete der Auftrag der Gottesmutter. Beten sollten wir für die Bekehrung der Sünder und für den Frieden der Welt.
Ich identifizierte mich auch als Evangelische voll und ganz mit diesem Anliegen Mariens. Aber wie, wann und wo sollte ich den Rosenkranz beten? In der katholischen Kirche? Damals fand ich, daß es ein “Geratsche" alter Frauen sei, dem ich mich nicht anschließen wollte. Zu Hause wurde nur zu Weihnachten vor dem Christbaum gebetet. Ich hatte auch sonst niemanden, der mir das Rosenkranzgebet erklärt und mich dazu eingeladen hätte. So erschien es mir als fernes, undurchführbares Ideal, den Rosenkranz zu beten und damit einen dringenden Wunsch der Muttergottes zu erfüllen. Schließlich fand ich auch ohne Rosenkranzgebet den Weg in die katholische Kirche.
Einige Jahre vergingen, ich war eine junge Frau geworden und habe den für mich liebsten und besten Mann kennengelernt und geheiratet. Aus verschiedenen Gründen beschlossen wir, eine siebenwöchige Hochzeitsreise zu machen. Eines Tages, als wir wieder auf einer unserer endlosen Autofahrten unterwegs waren, sagte ich zu meinem Mann: “Horst, was hältst du davon, wenn wir ein Gesätzchen vom Rosenkranz beten? - Zeit genug hätten wir!"
Horst war sofort einverstanden, und so begann unser gemeinsames Rosenkranzgebet. Einige Tage später waren wir der Meinung, daß wir an das eine Gesätzchen noch ein zweites anhängen könnten. Als wir schließlich von unserer langen Hochzeitsreise heimkamen, waren wir es bereits gewöhnt, den ganzen Rosenkranz gemeinsam zu beten.
Wie glücklich bin ich heute, nach 34 Ehejahren, daß wir nie mehr aufgehört haben, den Rosenkranz zu einem wesentlichen Bestandteil jedes Tages zu machen. In Zeiten, die randvoll mit Arbeit oder Sorgen ausgefüllt waren und in ruhigen Tagen, in Gesundheit und Krankheit - immer war und ist uns der Rosenkranz ein Mittel gewesen, uns in das Leben Jesu zu vertiefen, Ruhe zu finden und unseren Dank und unsere Bitten durch Maria zu Gott zu bringen.
Ich bin überzeugt, daß wir es dem regelmäßigen Rosenkranzgebet verdanken, das Wesentliche nie aus den Augen verloren zu haben. Bei all den Verführungen der Welt und auch in den Stürmen innerhalb der Kirche hat er uns geholfen, jene Mitte und das Maß zu finden, das uns in jeder Weise Frieden brachte.
Ein Film, ein Wort und die Entscheidung zum Rosenkranzgebet waren der “kleine Weg" zu Maria, durch die ich oft in meinem Leben spürbar Hilfe erfahren habe.
Eine Gebetserhörung zum Schluß: Mein Mann hatte bereits einen Operationstermin wegen eines Blasensteins. Mit Bangen sahen wir beide der Operation entgegen. Am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis, das ich immer besonders liebte, sagte ich zur Muttergottes: “Maria, es wäre doch so schön, wenn dieser Stein - entgegen der Meinung des Arztes - von allein abginge. Und zwar heute, an deinem schönen Festtag. Wir könnten auch von deiner Fürbittmacht Zeugnis geben. So hilf uns bitte!"
Als ich dieses Gebet im Stillen sprach, zog ich mich gerade an, um in unser Wochenendhaus zu fahren. Wir waren kaum dort angekommen, unser Gepäck war noch nicht vollständig aus dem Auto geräumt, als mir Horst durchs Stiegenhaus entgegenrief: “Der Stein ist da!" Ein großer, kantiger Stein war ohne Komplikationen und Schmerzen “freiwillig" abgegangen.
Ja, Maria ist die große Fürbitterin! Sie ist meine Helferin auf dem Weg zu Jesus. Sie ist durch ihre Anwesenheit meine Trösterin und vor allem ist sie meine Mutter. Maria hat als erste die Wunden Jesu betrachtet und mit ihm gelitten. Sie lehrt mich heute, all meine Nöte, Schmerzen und Opfer mit Jesus zu vereinen, damit sie erlösendes Leiden werden. Aus meinem “kleinen Weg" zu Maria habe ich viele Gnaden empfangen. Ich habe durch Maria aber auch gelernt, meinem Kreuz Sinn zu verleihen.
Maria ich danke dir und ich liebe dich!