VISION 20006/2000
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Die „Probe-Ehe“ ist ein Flop

Artikel drucken Bilanz der 30jährigen Erfahrung mit einer neuen Form des Zusammenlebens (Christa Meves)

Welche ist eigentlich die Bilanz des 30jährigen Experiments “Ehe ohne Trauschein"? Eine kaum gestellte Frage, obwohl es nach so vielen Jahren an der Zeit wäre, nach der Bewährung dieser Lebensform zu fragen.

Als illegaler Protest gegen die Tradition der Ehe auf Lebenszeit, als Widerstand gewissermaßen gegen den “Muff von 1000 Jahren unter den Talaren", tauchte das Konkubinat nach der Studentenrevolte von 1968 und der Einführung der “Antibaby-Pille" immer häufiger auf.

Aber zunächst bedurfte auch dieser Tabubruch einer Legalisierung, denn bis dahin war es Vermietern noch versagt, unverheirateten Paaren Wohnung zu gewähren. Der Kuppeleiparagraph verhinderte das. Er verschwand aber sang- und klanglos in der großen Strafrechtsreform von 1976. Niemand hielt dieses Verbot noch für zeitgemäß, niemand meldete Bedenken gegen seine Streichung an.

Die Ehe ohne Trauschein hingegen schien der liberalisierten Situation zu entsprechen. Diese Form des Zusammenlebens war - so mutmaßte man - angemessen für die Lebensform in einer Welt, die sich darauf eingeschworen hatte, nach eigenem Gusto zu leben und leben zu lassen.

Selbst nachdenklichen Soziologen schien das einsichtig. Hat ein Paar in einer Probeehe nicht viel eher die Möglichkeit, sich wirklich kennenzulernen? Ist eine Trennung aus einer nicht legalisierten Beziehung nicht wesentlich leichter zu vollziehen? Ist ein rechtzeitiges Auseinandergehen nicht besser als eine Ehescheidung, die Kindern das Nest raubt und sie oft genug in chronische Zerreißproben zwischen ihren getrennt lebenden Eltern stellt?

Wie leuchteten diese Argumente ein, wie waren sie geeignet, Gegenargumente gar nicht erst umständlich zu diskutieren. Es war getan, kaum eh's gedacht.

Mittlerweile ist die Ehe ohne Trauschein zur selbstverständlichen Lebensform geworden. Sie ist so häufig, daß sie sich in der Konkurrenz zu Ehe und Familie auf dem Siegeszug befindet. Sie erfüllt dabei auch immer seltener die Funktion einer Vorehe: Von Jahr zu Jahr geht die Zahl der Eheschließungen zurück, jede dritte Ehe wird geschieden und die daraus hervorgehenden Paare gehen häufig ebenfalls eine Ehe ohne Trauschein mit einem neuen Partner ein.

Warum auch nicht?, möchte man fragen. Hat diese Lockerung der Bindungen sich nicht als Vorteil erwiesen? Schafft sie nicht mehr “fun", mehr Abwechslung und Vielfältigkeit? Es gibt gewiß unter den so Lebenden einige, die das so sehen, erfahren und genießen. Aber das ist heute unter den Erprobern beiderlei Geschlechts sicher nicht mehr die Mehrheit. Hier dominieren Unbehagen, Enttäuschung, Trauer und Resignation.

Die Mehrheit der Paare entdeckt nämlich nach einiger Zeit - je länger man zusammenlebt, umso mehr frustriert -, daß man sich gegenseitig auf die Nerven geht. Im Tenor liegt die Unzufriedenheit der Frauen obenan. Sie stellen im Hinblick auf die Zuwendung ihrer Partner an diese höhere Ansprüche, als es den Männern gelingt, sie zu erfüllen.

Diese beantworten die negative Stimmung oft damit, sich statt dessen immer mehr zu verschließen. Sie wenden ihr Interesse anderen Bereichen zu und bewirken, daß die Spannungen so lange wachsen, bis nur noch die Trennung in Betracht kommt.

Das ist eben auch der Grund dafür, warum es nach der als “Vorehe" gedachten Lebensform oft gar nicht mehr zur Eheschließung kommt. Aber selbst in den Fällen, in denen dann doch geheiratet wird, erfüllt sich häufig nicht der Wunschtraum, einen besonders gut passenden Partner gefunden zu haben: Ehen mit dieser Vorgeschichte werden deshalb häufig bereits nach kurzer Zeit geschieden - häufiger als die ohne “Vorehe" geschlossenen Gemeinschaften.

Darüber hinaus: Nach jahrelanger Verhütung des Kinderwunsches bleibt die Wiege nicht selten leer, auch nachdem man den Entschluß zur Familiengründung gefaßt hat. 20 Prozent der jungen Frauen sind in unserer Republik gar nicht gebärfähig, hat eine gynäkologische Statistik ergeben.

Und noch eine negative Entwicklung hat sich angebahnt: Nach zwei, drei, vier Versuchen mit einem “Lebensgefährten", der manchmal dann nicht mehr ist als ein “Monatsgefährte", setzt die enttäuschende Erkenntnis ein, daß jede der Beziehungen auf Dauer unbefriedigend blieb - besonders für die Frauen.

Wenn sie Bilanz ziehen, sagen sie nicht selten in der Praxis: “Ich kann nicht sagen, warum es jedesmal ähnlich endete: Nach einiger Zeit drängten sich für mich die Schwächen meines Partners in den Vordergrund, seine Stärken traten statt dessen in meinen Augen immer mehr zurück. Ich begann ihm Vorwürfe zu machen, wollte doch immerhin die Dinge ändern, die in unserer Beziehung lästig wurden und biß auf Granit!"

Diese typische Unzufriedenheit der Frauen mit ihren Ehen ohne Trauschein liegt darin, daß ihr Unbewußtes die auf Dauer “verhütete Zukunft" als Stagnation ihrer seelischen Entwicklung erlebt. Obgleich sie oberflächlich mit ihrem Status und mit der selbständigen Situation als Berufstätige zufrieden sind, wächst in ihnen ein Unbehagen, das beiden Partnern nicht verstehbar erscheint. Solche Frauen träumen oft Nacht für Nacht davon, daß sie Babys betreuen, die sie bekommen haben, oder sie stellen sich Puppen und Teddys aufs Sofa als Kompensation des unbewußten, unerfüllten Wunsches nach einem Kind.

Bilanz: Die Ehe ohne Trauschein etabliert eine provisorische Daseinshaltung, die dem inneren Gesetz nach Lebenserfüllung - besonders der Frauen - nicht entspricht. Denn im Gegensatz zum Mann kann sie die Familiengründung verpassen! Sie hat dazu im Grunde nicht viel mehr als knappe 25 Jahre Zeit.

Diese unbewußte, unerfüllte Sehnsucht nach dem Kind ist bei der Einführung der schönen, neuen Freiheit nicht bedacht worden. Die Enttäuschung an der Ehe ohne Trauschein führt deshalb immer öfter zur Abwanderung ins Single-Dasein, bei beiden Geschlechtern. Auf dem Boden negativer Erfahrungen wird das Leben in einer “splendid isolation" vorgezogen.

Ohne Frage vermehren sich auf diese Weise nicht nur Leid, Frustration, Resignation und Vereinsamung bei den Personen in der mittleren Generation. Es entsteht auch noch jenes Vakuum, das die Renten unsicher werden läßt, ja, letztlich taucht am Horizont der Untergang der Gesellschaft auf, wenn sich viele Personen der mittleren Generation in dieser Weise verhalten.

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