Am 5. November wurde Thomas Morus zum Patron der Regierenden und der Politiker proklamiert. Die große Vorbildwirkung des Heiligen für unsere Zeit soll Anlaß eines knappen Portraits sein.
Thomas wird vermutlich im Jahr 1478 in London geboren. Seine Mutter stirbt sehr früh und Thomas kann, nachdem sein Vater insgesamt dreimal verwitwet, zu seinen Stiefmüttern ein gutes Verhältnis aufbauen. Er erfährt eine gediegene Schulbildung und dient im Haus des Erzbischofs und Lordkanzlers Morton. Im Alter von etwa 16 Jahren studiert er die Freien Künste und Theologie in Oxford, wird aber nach zwei Jahren von seinem Vater nach London zurückgeholt, damit er sich zum Juristen ausbilden läßt.
Obwohl es Thomas, der sich mehr für Latein und Griechisch interessiert, gegen den Strich geht, fügt er sich dieser Anweisung und erlernt den vom Vater verlangten Brotberuf. Nach Beendigung seiner Studien nimmt er für vier Jahre in der Londoner Kartause seinen Wohnsitz, um seine Berufung (er fühlt sich von den Franziskanern angezogen) abzuklären.
In dieser Zeit, während der er seinem Beruf als Anwalt nachgeht, beginnt er, sich durch Übersetzungen aus dem Griechischen und dem Verfassen lateinischer Werke als Humanist von Weltrang auszuweisen. (Sein berühmtestes - aber nicht wichtigstes - Werk, “Utopia", erscheint 1516.) Letztendlich gelangt er zur Einsicht, daß er - trotz großer Liebe zum geistlichen Leben - “die Sehnsucht nach einer Frau nicht abschütteln kann", wie sein Freund, der Humanist Erasmus von Rotterdam einmal schreibt.
1505 heiratet er die um zehn Jahre jüngere Jane Colt und erweist sich als liebevoller Ehemann. Er weiß, wie wichtig in einer Ehe gemeinsame Interessen und Ziele und eine gewisse Kultiviertheit sind. Daher kann er mit Geduld und Beharrlichkeit seiner Gattin die Liebe zu Musik und Literatur vermitteln. Nach fünf Jahren glücklicher Ehe stirbt Jane an den Folgen der Geburt ihres vierten Kindes.
Nach kurzer Zeit heiratet Thomas die Witwe Alice Middleton, nicht zuletzt um für seine kleinen Kinder wieder eine Mutter zu haben. Lady Alice erweist sich als umsichtige und tüchtige Organisatorin in dem großen Haushalt.
Diese sehr bodenständige Frau hat es im gelehrten Hause Morus nicht immer leicht und muß sich öfters liebevolle Ironie ihres Gatten gefallen lassen. (Morus, der sich später als wahrer Don Quixote und Gottesnarr erweisen soll, bekommt also - mit allem Respekt gesagt - seinen Sancho Pansa zur Seite.)
Seine unbestechliche, gerechte und menschliche Vorgehensweise als Rechtsanwalt und Richter, seine Geistesschärfe und Rednergabe, sowie seine liebenswürdige und humorvolle Art, empfehlen ihn für höchste Staatsämter.
Er nimmt alle Berufungen durch König Heinrich VIII., bis hin zum Lordkanzler, aus Gehorsam gegenüber dem Gemeinwohl an, leidet aber an den Hinterhältigkeiten der Politik und Diplomatie und den häufigen Trennungen von seiner Familie.
Morus erkennt früher als viele Zeitgenossen den unfundierten Charakter des Königs, dessen Machtgier und Leidenschaftlichkeit. Das Unheil beginnt damit, daß der König, der mehrere ehebrecherische Beziehungen unterhält, die junge Anna Boleyn begehrt, diese aber nicht königliche Maitresse, sondern Königin werden will. Sie verlangt die Ehe, der noch die legitime Gattin, Königin Katharina von Aragon, entgegensteht. Heinrich bemüht sich um eine Annullierung dieser Ehe, die ihm von Papst Clemens VII. aber verweigert wird.
In seiner zunehmenden inneren Haltlosigkeit läßt der König die Ehe durch den willfährigen Erzbischof von Canterbury scheiden und die neue mit Anna Boleyn einsegnen. Zudem unterwirft er sich 1532 - und das war das eigentliche Ärgernis - den Klerus und läßt sich zum Oberhaupt der Kirche von England ausrufen.
Einen Tag nach diesem Erlaß tritt Sir Thomas von seinem Amt als Lordkanzler zurück. Unter dem Einfluß seiner unrechtmäßigen Gattin beginnt Heinrich, der sich zusehends zum unberechenbaren Tyrannen wandelt, seinen alten Freund und Berater zu hassen. Er läßt ihn 1534 nach Lambeth in die Residenz zitieren und zur Ablegung des Eides auf das neue Gesetz anhalten.
Sir Thomas weigert sich. Man versucht ihn mit Argumenten, Schmeicheleien und Drohungen gefügig zu machen. Erfolglos. Weder legt er den Eid ab, noch erklärt er, warum. Über die Gründe seiner Weigerung gibt er aber auch in der 15monatigen Haft im Tower keine Auskunft. Auch seine Lieblingstocher, Margaret Roper, die ihn besuchen darf, kann ihn nicht umstimmen.
Schließlich wird ihm der Prozeß gemacht. Da sein Schweigen noch keinen Straftatbestand darstellt der nur bei einer ausdrücklichen Bekämpfung des Suprematsgesetzes gegeben gewesen wäre, findet sich der Kronanwalt zu einer meineidigen Aussage bereit. Gemäß dieser hätte Sir Thomas die Oberhoheit des Königs über die Kirche in einem Gespräch im Kerker ausdrücklich bestritten.
Nach einer kurzen Beratung der Geschworenen ergeht das abscheuliche Bluturteil, das später durch einen königlichen Gnadenakt in Tod durch Enthauptung umgewandelt wird. Jetzt erst, als nichts mehr zu verlieren ist, beginnt Sir Thomas freimütig zu sprechen. Er hat sich - gemäß der kirchlichen Weisung - nicht zum Martyrium gedrängt. Er hat sein Leben retten wollen - allerdings nicht um den Preis der Verletzung seines Gewissens und der Gefährdung seines ewigen Heiles. Thomas verurteilt nicht diejenigen, die aus Angst oder anderen Motiven den Eid auf die neuen Gesetze abgelegt haben, aber für ihn selber steht das nicht zur Debatte.
Jetzt erst, nach der Verkündigung des Urteils, bittet er nicht um Gnade, sondern erklärt im Gegenteil, daß kein weltlicher Fürst das Recht hat, sich zu einem kirchlichen Oberhaupt aufzuwerfen. Er klagt seine Kläger an, daß sie alle ihrem Amtseid auf die Unversehrtheit der Kirche untreu geworden und somit im Unrecht sind. Die Würde und Erhabenheit des Ritters Sir Thomas More zeigt sich besonders darin, daß er seinen Richtern nicht mit der Hölle droht (was pastoralpsychologisch sicher nicht unangemessen gewesen wäre), sondern im Gegenteil seiner Hoffnung Ausdruck gibt, mit ihnen in der ewigen Erfüllung vereint zu sein, so wie Stephanus und Paulus dort vereint sind.
In der Gelassenheit und Freude, den Herrn bald von Angesicht zu Angesicht zu schauen, wird er am 6. Juli 1535 zum Schafott geführt. Er fordert die Umstehenden auf, für ihn, den König und die Kirche zu beten, und bekennt sich als des Königs treuer Diener, “aber als Diener Gottes zuerst".
Auf dem Block hebt er noch einmal den Kopf, um seinen Bart zurechtzurichten: “Der hat ja keinen Hochverrat begangen."
Thomas Morus wird 1886 selig-, und 1935 heiliggesprochen. Mindestens drei Einsichten kann man aus der Betrachtung der Gestalt des Heiligen lernen:
1. Es lohnt sich auf jeden Fall, eine längere Zeit (freiwillig !) unter einer Ordensregel zu leben. Die Motivation dafür kann sein, mit sich über eine mögliche Berufung zum geistlichen Stand ins Reine zu kommen oder sich auf spätere Aufgaben in Beruf und Politik, Ehe und Familie in einer ausdrücklich christlichen Lebensauffassung vorzubereiten.
2. Auch ein geistlicher Mensch kann hohe Staatsämter übernehmen, ohne im weltlichen Strudel sein Gewissen zu verlieren. Diese Souveränität im Umgang mit Macht, Ansehen und Vermögen setzt allerdings die erwähnte geistliche Prägung und die alleinige Orientierung am Allgemeinwohl voraus.
3. Es braucht eine rechtzeitige und gründliche Vorbereitung auf den Hinübergang in die Ewigkeit. Sir Thomas war dem Tyrannen für die 15monatigen “Exerzitien" im Gefängnis ehrlich dankbar. Sie erlaubten ihm eine gute Vorbereitung auf die Stunde, die jedem Menschen, nicht nur dem Verurteilten und Märtyrer, bevorsteht. “Und ich danke dem Herrn, Meg, daß ich, seitdem ich hierherkam, jeden Tag den Tod weniger fürchte", schrieb er an seine Tochter.
In der Haft entstanden die berührendsten Schriften des Heiligen. In ihnen gibt Thomas dem Leser den Trost weiter, den er selbst erfahren hat. Ohne diesen Trost sind die schwersten Stunden nicht zu bestehen. Sir Thomas More hat sie bestanden - sogar mit Humor.