VISION 20001/2001
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Vorhang auf: Alles Magie!

Artikel drucken Harry Potter, Digimon & Co (Christof Gaspari)

Eine ungewöhnliche Weihnachtslektüre habe ich mir heuer verordnet. Beachtliche 767 Seiten. Eben habe ich die letzte zu Ende gelesen. Wer mich in den letzten Tagen begleitet hat? “Harry Potter" in dem neuesten, dem vierten Buch von Joanne K. Rowlings.

Sie ist dank des enormen Erfolges der Harry-Potter-Bücher mittlerweile zur zweit- oder drittreichsten Frau Großbritanniens geworden. 40 Millionen Exemplare wurden von den ersten drei Bänden verkauft. Und viele Millionen werden jetzt dazukommen. Denn der vierte Band “Harry Potter und der Feuerkelch" ist ebenfalls ein Renner.

Warum ich mir diese Lektüre angetan habe? Weil ich so Unterschiedliches über das Buch gehört und gelesen hatte. Da waren einerseits geradezu euphorische Kritiken. Ein Buch, das den Leser in seinen Bann zieht, die Geschichte einer treuen Freundschaft von Jugendlichen, ein Held, der bescheiden, jugendfrisch, mit seinen Brillen keineswegs ein Schönling ist. Und vor allem: Positive Werte würden hochgehalten, das Gute siegt. Ein modernes Märchen. Endlich etwas, das die Phantasie der Kinder anregt, eine Alternative zum Fernsehen, das alles vorkaut.

Das war die eine Seite. Die andere schlug Alarm. Achtung Okkultismus! “Die Bücher lästern Jesus und Gott und fördern die Zauberei sowie den Wunsch nach Rache," las ich beispielsweise in einem kritischen Artikel.

Daher der Entschluß: Das mußt Du selbst lesen. Zugegeben, ich habe mir nur das letzte Buch der Serie zu Gemüte geführt und kann daher nicht über das Gesamtwerk urteilen. Aber schon beim Lesen der Abenteuer mit dem Feuerkelch ist mir einiges aufgefallen, was mir erwähnenswert erscheint.

Es stimmt, daß das Buch gut geschrieben ist, spannend, mit vielen Dialogen. Man liest interessiert weiter, wird in Atem gehalten. Auch anderen Erwachsenen wird es so gegangen sein.

Weiters: Die Figur des Harry Potter ist sympathisch, seine beiden Freunde Ron und Hermine sind es ebenfalls. Ich kann mir gut vorstellen, daß Teenager sich gerne mit diesen Figuren identifizieren.

Was die Phantasie der Autorin anbelangt, bin ich ebenfalls beeindruckt: ein Feuerwerk von Einfällen, skurrilen Zaubertricks, Ereignissen und Gebilden, die sie vor dem Leser ausbreitet - gut und detailliert geschildert. Wie müssen phantasiebegabte Leser - ich gehöre nicht zu dieser Spezies - diese Schilderungen weiterspinnen können!

Über dem Ganzen schwebt aber meist eine Atmosphäre des Unheimlichen. Der Leser merkt das allerdings nur am Anfang, wenn es darum geht, sich auf die im Buch geschilderte Welt einzulassen. Da empfindet man noch Unbehagen. Aber nach etwa 100 Seiten hat man sich eingewöhnt und merkt das Bedrückende nur mehr in den besonders bedrohlich geschilderten Situationen.

Und diese gibt es in großer Zahl. Besonders scheußlich die Konfrontation von Harry Potter mit dem Teufel, in der Gestalt des Lord Voldemort. Die ganze Geschichte steht im Schatten der Angst, die er verbreitet. Auch wenn er nicht als Sieger die Bühne verläßt, so wird der Leser doch nicht - so wie dies im Märchen geschieht - mit dem Triumph des Guten über den Bösen entlassen. Vielmehr ahnt er, daß die Macht des Bösen wächst. Keine gute Perspektive in einer gottlosen Welt.

Und damit sind wir auch schon bei den bedenklichen Seiten des Buches: Es führt den Leser in eine vollkommen magische Welt. Die ganze Geschichte spielt sich unter Zauberern, Zauberlehrlingen, Hexen, Elfen und einer Unzahl von merkwürdigen Gebilden ab. Normalsterbliche sind da nur Randerscheinungen. Die einzigen, die näher beschrieben werden - Harrys Onkel, Tante und Cousin -, sind äußerst unsympathisch, ja ungustiös. Angesehen ist, wer die Magie beherrscht, je mehr davon, umso bedeutungsvoller.

Ja, aber in den Märchen - sie haben ja Generationen von Kindern bewegt - gibt es ja auch Übersinnliches. Da gibt es ja auch Hexen, Zauberer, Feen und Gnome - höre ich den Einwand. Was soll da an der Welt von Harry Potter schlecht sein?

Zwischen beiden besteht ein bemerkenswerter Unterschied. In den Märchen wirkt das Übersinnliche in die Welt der Menschen hinein. Harry Potter hingegen lebt in einer magischen Welt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Jugendlichen der Zauberschule wie normale Kinder Hunger haben, sich für eine Party schick machen und verliebt sind. Das Übersinnliche tritt nicht wie im Märchen als außergewöhnliches Ereignis ins Alltagsleben, sondern der Alltag steht im Bann der Magie.

Und damit ist Harry Potter in eine Reihe zu stellen mit den vielen Angeboten, die heute auf unsere Kinder und Jugendlichen losgelassen werden und sie systematisch für den alltäglichen Umgang mit übersinnlichen Mächten und Wesen gewinnen wollen: “Momo", “Die Unendliche Geschichte" gehören ebenso dazu wie “Pokémon", “Digimon" (“mon" steht für Monster), Dragonball und Konsorten, die den Kindern Tag für Tag im Fernsehen, in Computerspielen und beim Sammeln von Karten begegnen. Alles internationale Erfolge, Kassenschlager, ein Muß, wenn man heute dazugehören will.

Mit diesen modernen “Märchen" wird eine ganze Generation konditioniert. Besonders bedenklich ist, daß diffuse Angst das Geschehen prägt, daß vielfach ein Kult der Gewalt betrieben wird. Auffallend auch, daß oft Häßlichkeit sympathisch gemacht wird, sodaß den Kindern das Schöne bald banal und unattraktiv erscheint. Ich weiß, wovon ich rede, bekomme ich doch mit, womit mein ältester Enkel konfrontiert wird.

All das trägt dazu bei, daß die Maßstäbe der Kinder verschoben werden. Der Wettlauf nach Macht wird zum Lebensziel ausgerufen und der Einsatz von Magie als zielführendes Mittel dazu empfohlen. Das Böse wird interessant gemacht und das häßlich Verzerrte nicht mehr als Warnsignal erkannt. Darf man sich da wundern, daß landauf, landab die Jungen sich im Tischrücken versuchen, sich ihre Zimmer mit häßlichen Fabelwesen schmücken, “Halloween"-Teufelsspuk spaßig finden und sich für Wahrsagerei interessieren? Harry Potter reitet auf dieser Welle und verstärkt sie wesentlich.

Christof Gaspari

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