Ich möchte die Behauptung aufstellen, daß der Mensch ohne Anbetung gar nicht existieren und nicht Mensch sein kann. Der Mensch ist von seinem Wesen her darauf hin angelegt, daß er etwas oder jemand anbetet.
In der Psychologie nach Sigmund Freud hat man im Menschen eine Einteilung vorgenommen zwischen Es, Ich und Über-Ich. Das Ich bindet sich an ein Über-Ich, weil es in vielen Grenzsituationen und Bedrängnissen allein nicht fertig wird. So hat man auch Religion zu deuten versucht. Das Wort Religion kommt vom lateinischen “religere", was übersetzt heißt: sich an etwas oder jemanden rückbinden.
Die gesamte Heilige Schrift, sowohl das Alte wie auch das Neue Testament, sind eine Einladung Gottes an den Menschen, in einen Bund mit Ihm einzuwilligen. Besonders der Prophet Hosea baut seine ganze Botschaft auf diesem Liebesbund Gottes mit seinem Volk auf.
Lesen wir dazu folgende Verse: “Ich traue dich mir an auf ewig; ich traue dich mir an um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen. Ich traue dich mir an um den Brautpreis meiner Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen." (Hos 2,21f)
Wenn der Mensch diesen Bund verweigert, sich nicht an Gott binden will, dann ist er gezwungen, sich sofort ein anderes Objekt seiner Anbetung zu suchen. Die Sünde des Menschen besteht im wesentlichen in einer Verweigerung der Bindung an Gott. Sich nicht von Gott beschenken lassen, unabhängig sein, sein wie Gott! Das ist die Verweigerung der Bindung und damit auch die Verweigerung der Anbetung.
Da aber der Mensch auf eine solche Bindung hin geschaffen ist, sucht er nach einem neuen Objekt seiner Anbetung. Er wird ein Suchender, er wird “süchtig". Als Objekt der Anbetung können z.B. materielle Gegenstände dienen. Der eine bindet sich an sein Auto. Dieser Gegenstand wird liebevoll verehrt und gepflegt. Man beobachte nur die “Liturgie" an einem Wochenende bei Schönwetter, wenn die Autos gewaschen, poliert, gestreichelt werden. Autozubehörmärkte boomen, weil viele ihrem Objekt der Anbetung noch einen neuen modischen Schnickschnack verpassen wollen.
Auch ein Haus kann als Objekt der Anbetung dienen. Eigentlich kann jeglicher materielle Besitz eine solche Funktion übernehmen. Auch ideelle Werte können dazu dienen, wie etwa mein Beruf, meine Karriere, mein Titel, mein Erfolg...
Noch schwieriger und komplizierter wird es, wenn ich einen Menschen als Objekt meiner Anbetung wähle. Oftmals geschieht es, daß der Ehepartner eine solche Funktion übernimmt. Hören wir die Sprache der Verliebten: “Du bist toll, du bist wunderbar, ich verehre dich, ich bete dich an!"
Viele Beziehungen scheitern daran, wenn der oder die Angebetete sich als ganz anders entpuppt. Die Ideale stürzen ein, die Idole zerbröseln. Und die Anbetung kippt um in Aggression und Haß. “Du hast mich enttäuscht. Ich habe mich an dich gebunden, damit du mich glücklich machst!"
Jeglicher Idolkult hat mit Anbetung zu tun. Stars im Film, im Sport, in der Musik dienen als Objekt der Anbetung. Als die Nachricht durch die Medien ging, daß Andi Goldberger Drogen konsumiert hatte, da schlug bei vielen die Verehrung des Idols in Wut und Aggression um. Unangemessen hohe Strafen wurden gefordert. “Der gehört eingesperrt!" Auch Lehrer, Erzieher, Priester geraten oftmals in diese Rolle, daß sie als Objekt der Anbetung gebraucht, besser gesagt mißbraucht werden.
Vom heiligen Augustinus stammt der Satz: “Du hast uns auf Dich hin geschaffen, o Gott, und unser Herz ist unruhig, bis es ruht in Dir." Wir tragen in uns eine unstillbare Sehnsucht nach Gott. Und wenn diese Sehnsucht nicht in der Anbetung gestillt wird, dann sucht sie sich einen Ersatz.
Unsere Welt bietet uns in den Schaufenstern der Konsumgesellschaft eine riesige Auswahl an Ersatzobjekten für die Anbetung. Aber bei all diesen Ersatzgöttern kommt eines Tages die “Götterdämmerung", da wo es uns dann dämmert, daß diese Anbetung uns nicht das vermitteln kann, wonach wir uns sehnen und was wir erwarten.
Wir können Anbetung in einem einfachen Satz folgendermaßen definieren: “Wenn ich Gott anbete, dann bejahe ich aus ganzem Herzen, daß ich von Ihm abhängig bin und nur in Ihm Glück, Leben und Erfüllung finden kann."
Gott tut den ersten Schritt. Er bietet uns einen Bund an. Davon spricht die heilige Schrift in vielfältiger Weise. Wenn wir in diesen Bund einwilligen, dann befinden wir uns bereits in der Haltung der Anbetung. So betrachtet ist Anbetung also nicht ein Ritual, das ich für eine bestimmte Zeit vollziehe und danach gehe ich wieder zu anderen Beschäftigungen, sondern Anbetung ist eine Herzenshaltung, die mein ganzes Leben umfaßt und bestimmt. Es ist ein Lebensprogramm. Und wir werden auch ein ganzes Leben benötigen, um diese Einwilligung in den Bund mit Gott in die Tat umzusetzen.
Durch ein Leben in der Anbetung Gottes schaffen wir die Voraussetzung für eine neue Form des Zusammenlebens. Wir bleiben davor bewahrt, in den zwischenmenschlichen Beziehungen einander zum Objekt der Anbetung zu machen. Es wird ein neues Miteinander und Füreinander möglich. Das ist Kirche! Sie ist vom Wesen her die Gemeinschaft derer, die in der Anbetung des einen und wahren Gottes geeint sind.
Ich möchte diese Gedanken über die Anbetung abschließen mit einem Wort aus dem Epheserbrief: “Daher beuge ich mein Knie vor dem Vater, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird, und bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, daß ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt. Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt. Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen."
Auszug aus “Gemeinsam auf dem Weg" 2/2001