VISION 20002/2001
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Die Pfarren als Schulen des Gebets

Artikel drucken Wiederentdeckung des Betens: Ein Zeichen der Zeit (Papst Johannes Paul II.)

Der Aufbruch der Kirche ins neue Jahrtausend wird vor allem auch ein Aufbruch im Gebet sein. Dazu ruft der Papst in seinem Schreiben “Novo millennio ineunte" jeden einzelnen auf, ein besonderer Appell an Pfarren und Ordensgemeinschaften...

Ist es nicht vielleicht ein “Zeichen der Zeit", daß man heute in der Welt trotz der weitreichenden Säkularisierungsprozesse ein verbreitetes Bedürfnis nach Spiritualität verzeichnet, das größtenteils eben in einem erneuerten Gebetsbedürfnis zum Ausdruck kommt?

Auch die anderen Religionen, die nunmehr in den alten Christianisierungsgebieten weit verbreitet sind, bieten ihre eigenen Antworten auf dieses Bedürfnis an und tun dies manchmal mit gewinnenden Methoden. Da uns die Gnade gegeben ist, an Christus zu glauben, den Offenbarer des Vaters und Retter der Welt, haben wir die Pflicht zu zeigen, in welche Tiefe die Beziehung zu ihm zu führen vermag.

Die große mystische Tradition der Kirche im Osten wie im Westen hat diesbezüglich viel zu sagen. Sie zeigt, wie das Gebet Fortschritte machen kann. Als wahrer und eigentlicher Dialog der Liebe kann es die menschliche Person ganz zum Besitz des göttlichen Geliebten machen, auf den Anstoß des Heiligen Geistes hin bewegt und als Kind Gottes dem Herzen des Vaters überlassen. Dann macht man die lebendige Erfahrung der Verheißung Christi: “Wer mich liebt, wird von meinem himmlischen Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren" (Joh 14,21).

Es handelt sich um einen Weg, der ganz von der Gnade gehalten ist und dennoch einen starken geistlichen Einsatz verlangt. Er kennt auch schmerzvolle Reinigungen (die “dunkle Nacht"), führt aber in verschiedenen möglichen Weisen zur unsagbaren Freude, die von den Mystikern als “bräutliche Vereinigung" erlebt wurde. Wie kann man an dieser Stelle unter so vielen strahlenden Zeugnissen die Lehre des heiligen Johannes vom Kreuz und der heiligen Theresia von Avila übergehen?

Ja, liebe Schwestern und Brüder, unsere christlichen Gemeinden müssen echte “Schulen" des Gebets werden, wo die Begegnung mit Christus nicht nur im Flehen um Hilfe Ausdruck findet, sondern auch in Danksagung, Lob, Anbetung, Betrachtung, Zuhören, Leidenschaft der Gefühle bis hin zu einer richtigen “Liebschaft" des Herzens.

Ein intensives Gebet also, das jedoch nicht von der historischen Aufgabe ablenkt: Denn während es auf Grund seiner Natur das Herz der Gottesliebe öffnet, öffnet es dieses auch der Liebe zu den Brüdern und befähigt sie, die Geschichte nach Gottes Plan aufzubauen.

Gewiß sind zum Gebet vor allem jene Gläubigen aufgerufen, die das Geschenk der Berufung zu einem Leben besonderer Weihe empfangen haben: Das Gebet macht sie auf Grund seines Wesens bereiter für die kontemplative Erfahrung. Deshalb müssen sie es mit hochherzigem Einsatz pflegen.

Aber man ginge fehl, würde man annehmen, die gewöhnlichen Christen könnten sich mit einem oberflächlichen Gebet zufriedengeben, das ihr Leben nicht zu erfüllen vermag. Besonders angesichts der zahlreichen Prüfungen, vor die die heutige Welt den Glauben stellt, wären sie nicht nur mittelmäßige Christen, sondern “gefährdete Christen". Denn sie würden das gefährliche Risiko eingehen, ihren Glauben allmählich schwinden zu sehen. Schließlich würden sie womöglich dem Reiz von “Surrogaten" erliegen, indem sie alternative religiöse Angebote annehmen und sogar den seltsamen Formen des Aberglaubens nachgeben.

Deshalb muß die Gebetserziehung auf irgendeine Weise zu einem bedeutsamen Punkt jeder Pastoralplanung werden. Ich selbst habe mich darauf eingestellt, die nächsten Mittwochskatechesen der Reflexion über die Psalmen zu widmen, angefangen mit denen der Laudes. Da lädt das öffentliche Gebet der Kirche uns ein, unsere Tage zu heiligen und ihnen eine Richtung zu geben.

Wie nützlich wäre es, wenn nicht nur in den Ordensgemeinschaften, sondern auch in den Pfarrgemeinden mehr Wert auf ein Klima gelegt würde, in dem das Gebet vorherrscht. Man müßte mit der gebotenen Unterscheidung die Weisen der Volksfrömmigkeit hochschätzen und das Volk vor allem für die liturgischen Formen bilden.

Der Tagesplan einer christlichen Gemeinde müßte die vielfältigen pastoralen Tätigkeiten und das Zeugnis in der Welt mit der Feier der Eucharistie und womöglich mit den Laudes und der Vesper verbinden. Ein solcher Tagesablauf ist denkbarer, als man gemeinhin glauben mag. Das zeigt die Erfahrung vieler christlich engagierter Gruppen, die auch einen hohen Anteil an Laien unter sich verzeichnen.

Auszug aus dem Text der Enzyklika: die Kapitel 33 und 34

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