In Verbindung mit dem “provozierenden" Dokument “Dominus Jesus" hat uns die lockere, selbstironische und doch standfeste Art Kardinal Joseph Ratzingers gefallen, mit der er auf Anfragen seines Gesprächspartners Peter Seewald in seinem neuen Buch anwortet. Daher ein wörtliches Zitat aus dem Buch:
In der 2000jährigen Geschichte des Christentums hat sich die Kirche immer wieder gespalten. Inzwischen gibt es rund 300 unterschiedliche protestantische, orthodoxe oder andere christliche Kirchen. Die Zahl der christlich-baptistischen Gemeinden in den USA geht weit über tausend. Auf der anderen Seite dieses Flusses steht noch immer die eine römisch-katholische Kirche mit ihrem Papst an der Spitze, die von sich behauptet, sie sei die einzig wahre Kirche. Sie ist jedenfalls, trotz aller Krisen, tatsächlich die weltumfassendste, bedeutendste und erfolgreichste Kirche der Welt geblieben, mit heute so vielen Anhängern wie nie zuvor in ihrer Geschichte.
Kardinal Joseph Ratzinger:Ich denke, wir sollten im Geist des Vatikanums daraus zunächst keinen Triumph unserer Tüchtigkeit als Katholiken machen und die nach wie vor große institutionelle und zahlenmäßige Stärke nicht mißbrauchen. Wenn wir es als unsere Leistung und als unseren Besitz verbuchen, würden wir bereits aus dieser Gottzugehörigkeit herausfallen und uns zu einem eigenen Verein mit einer eigenen Macht erheben. Eine Kirche kann in einem Land große institutionelle Macht haben, wenn dahinter aber der Glaube wegbricht, bricht sehr bald auch das Institutionelle zusammen.
Vielleicht kennen Sie diese mittelalterliche Geschichte von einem Juden, der an den päpstlichen Hof reiste und katholisch wurde. Als er zurückkommt, fragt ihn ein Kenner des päpstlichen Hofes: “Hast du überhaupt wahrgenommen, was da alles vor sich geht?" “Ja," sagt er, “freilich, alles, die ganzen skandalösen Dinge, ich habe alles gesehen." “Und du bist trotzdem katholisch geworden?", meint der andere, “das ist doch völliger Widersinn!" Da sagt der Jude: “Gerade deswegen bin ich katholisch geworden. Denn wenn die Kirche trotzdem weiterbesteht, dann muß wirklich jemand anders sie halten."
Und in einer anderen Geschichte heißt es, Napoleon habe einmal gesagt, er werde die Kirche vernichten. Darauf hat ihm ein Kardinal geantwortet: “Das haben nicht einmal wir fertiggebracht."
Ich glaube, in diesem Paradoxon kommt etwas sehr Wichtiges zum Vorschein. Es hat in der Tat an menschlichen Unmöglichkeiten in der katholischen Kirche nie gefehlt. Daß sie aber nun trotzdem zusammenhält, wenn auch unter Ächzen und Stöhnen, aber daß sie eben noch immer existiert, daß sie große Märtyrer und große Gläubige hervorbringt, Menschen, die ihr Leben zur Verfügung stellen, als Missionare, als Krankenschwestern, als Erzieherinnen, das zeigt wirklich, daß da ein anderer da ist, von dem sie gehalten wird.
Wir können also die Erfolge der Kirche nicht als unser Verdienst verbuchen, aber mit dem zweiten Vatikanum dürfen wir dennoch sagen - auch wenn in anderern Kirchen und Gemeinschaften viel Lebendiges vom Herrn her da ist -, daß die Kirche als Subjekt im eigentlichen Sinn eben in diesem Subjekt gegenwärtig und erhalten ist. Und nur dadurch, daß Er gibt, was Menschen nicht tun können, erklärt sich das.
Guardini hat den Sinn der Kirche einmal so beschrieben: “Sie muß den Menschen die letzten Wahrheiten, das endgültige Bild der Vollkommenheit, die tiefsten Richtlinien der Wertung unverrückbar entgegenhalten und darf sich durch keine Leidenschaft, durch keine Schwankung des Gefühls, durch keine Kniffe der Selbstsucht irre machen lassen." Ein hoher Anspruch.
Ratzinger: Ja, der aber doch richtig ist. Selbst wenn er hier steil formuliert ist. Guardini, der ein so großer Verstehender war, hat es geliebt, den Anspruch groß hinzustellen, und das ist auch wichtig. Wir dürfen die Größe des Anspruchs nicht in Kompromißformeln ertränken und allmählich zum Verschwinden bringen. Die Kirche kann nicht nach dem Motto vorgehen: Was kriegen wir fertig, was nicht? Sie ist nicht dazu da, möglichst erträgliche Kompromißformeln zu finden, sondern unverfälscht die ganze Größe von Gottes Wort und Willen hinzuhalten - auch immer wieder gegen sich selber und gegen die eigenen Verkünder.
Mich beeindruckt immer wieder, was der heilige Paulus in seiner Abschiedsrede an die Priester von Ephesus sagte (er wußte dabei schon, daß ihn in Jerusalem die Gefangenschaft erwarten würde). Ich habe euch, so erklärte er, den ganzen Willen Gottes kundgetan. Ich habe euch nichts vorenthalten oder versucht, es bequemer zu machen. Ich habe auch nicht versucht, euch meine eigenen Formel zu geben, sondern ich habe euch den ganzen Willen Gottes verkündet! Und dazu in der Tat ist die Kirche da.
Joseph Ratzinger, Gott und die Welt, Glauben und Leben in unserer Zeit, Ein Gespräch mit Peter Seewald, DVA, Stuttgart, München. Auszug aus dem Kapitel “Gott ja ( Kirche nein?")