VISION 20003/2001
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Beten, arbeiten und viel “dialogo"

Artikel drucken Auf esperienza in der Comunità Cenacolo

Liebe Schwester,

Wie Du weißt, waren mein Mann und ich für zwei Monate in der “Comunita Cenacolo" der Schwester Elvira in Italien und durften dieses Werk Gottes ein wenig selbst miterleben. Für sechs Wochen getrennt, was nach über 30 Jahren gemeinsamen Lebens eine schmerzvolle, aber dennoch wichtige Erfahrung war, trat ich in ein Mädchenhaus ein. Auch jede “esperienza" (=freiwilliger Aufenthalt zum Sammeln eigener Erfahrung) gilt als “Eintritt" in diese Gebets- und Lebensschule, die vorwiegend junge Menschen aufnimmt.

Vor allem sind es Männer und Burschen, Frauen und Mädchen, die drogenabhängig waren. Aber auch solche mit anderen Problemen, wie Magersucht, seelischen Verletzungen, oder auch mit Fragen nach ihrer Berufung - sie suchen und finden dort Heilung, lernen zu arbeiten, sich und andere zu ertragen; sie lernen, ein Leben zu führen, in dem Gott an erster Stelle steht, und dieses ihr Leben und auch ihren Nächsten zu lieben. Für Drogenabhängige keine Selbstverständlichkeit ...

Als ältere “Mama" hatte ich in einem kleinen Gästehäuschen mit Zimmer und Dusche eine Ausnahmestellung. Auch meine Arbeit an der Nähmaschine war etwas außerhalb der üblichen Gemeinschaftsarbeit, aber dennoch nützlich. Die Gebetszeiten und Vorschriften hielt ich natürlich wie alle anderen ein.

So ein Haus der Comunità ist in einzigartiger Weise geschaffen dafür, sich selbst kennenzulernen, einen Blick in die eigene Seele vor dem Angesicht Jesu und Mariens geschenkt zu bekommen. Nun erschrick nicht und stell dir nicht eine Art “gruppendynamisch-psychotherapeutische Seelenfarm" mit einem Arsenal von Medikamenten und Weißbemäntelten vor, die es für viel Geld überall gibt - sondern ganz im Gegenteil, ein altes Haus, umgebaut auf sauber, gediegen, aber höchst einfach für die Unterbringung in 6- oder 8-Bett-Zimmern - ein Schrankabteil, zwei Laden für jede, ein Badezimmer, zwei WC für 18!

Es bildet den Rahmen für ein klösterliches Leben “ora et labora" (Gebet und Arbeit), jedoch an Stelle des Schweigens kommt “dialogo", das sehr wichtige Gespräch dazu. Dann gibt es noch ein Büro, einen Speisesaal, Küche mit Keller, Wäscherei, Gärtnerei, große Werkstatt, Schuppen mit Hühnerstall, und einen Garten - all das für “labora", die genau zugeteilte Arbeit, angeordnet um das Herzstück des Hauses, die Kapelle.

Denk Dir einen Raum unterm Dach mit schräger Decke, Fliesenboden, Holzbänken an den selbstgepinselten Wänden, einen Altartisch, dahinter ein in die Wand eingelassener Tabernakel, eine Ewig-Licht Nische, eine Fatima-Statue der Muttergottes - sonst nichts. Der Blick aus dem Fenster: Felder, ein Stück der Landstraße.

Dieser Raum ist für alle jederzeit zugänglich; zugleich der einzige Ort, an dem man sich (während der Nacht oder der Freizeit) zurückziehen kann. Jeden Tag zu einer bestimmten Stunde haben zwei Leute “Ewige Anbetung in der Comunita" vor dem Allerheiligsten; fast jede Stunde der Nacht darf (!) jemand anderer eine halbe oder ganze Stunde persönliche Anbetung halten, und auch untertags ist Jesus selten allein.

Und gerade dort haben alle, auch wenn sie vom Glauben sehr weit weg waren, das gleiche Erlebnis, ob sie nun zum Nachdenken, Weinen, Schreiben, zum Gespräch zu zweit, zum Gebet aller oder zur Anbetung allein hinkommen: “Ich bin nicht allein und verlassen, ich bin nicht zu schlecht, zu verworfen oder wertlos. Jesus, mein Retter, und Maria, meine Mutter sind immer bei mir; mein himmlischer Vater liebt mich, und sie alle sind jederzeit durch mein Beten erreichbar - sie hören und erhören mich!"

Dort holen sich alle die Kraft für das tägliche Leben in der Familie. Dort wird aller Schmerz, aller Kummer abgeladen und allmählich auch geheilt - es geschehen wahre Wunder an Auferstehung, Wiederherstellung und Gesundung von Leib und Seele!

Gerade beim gemeinsamen Beten und Fürbitten - täglich der ganze Psalter, also drei Rosenkränze, nachmittags und abends der Barmherzigkeitsrosenkranz, zweimal täglich der Angelus, sowie Tischgebete vor und nach jeder Mahlzeit - erhält jeder einen Platz in der Gemeinschaft, faßt wieder Zutrauen zu den anderen, fühlt sich angenommen und geliebt; und er lernt auch selbst wieder zu lieben, für andere da zu sein.

Deshalb hat auch jede Neue in der ersten Zeit einen “Schutzengel - angelo custode", eine Erfahrene, die ihr alles zeigt, alle Regeln erklärt, mit ihr arbeitet und sie tröstet, wenn anfangs die unvermeidlichen seelischen Tiefs kommen. Sie kocht ihr bei Schmerzen (durch die Entzugserscheinungen) Tee, betet und spricht mit ihr. 24 Stunden täglich ist der “angelo custode" um den Neuankömmling! (Übrigens sind die sonst so gefürchteten Drogenentzugserscheinungen in der Comunita meist unbedeutend!)

Alle Familienmitglieder signalisieren: “Wir mögen und verstehen dich, was auch immer hinter dir liegt, ob du dick, häßlich, mies oder falsch bist; wir werden dir gerne helfen, so schön, gut und ehrlich zu werden, wie Gott dich erdacht und gemeint hat - allerdings mußt du das auch wollen und daran mitarbeiten. Das kannst du aber nur durch ehrliches Bemühen und durch das gemeinsame und persönliche Gebet erreichen."

Auch sonst gibt es viel Gottesdienst - in der Früh Schriftlesung, abwechselnd Chorgebet und Mitteilung auf Grund der Lesung, Katechese. Alle zwei Wochen Gruppengespräch über das eigene Leben in der Comunita, die Familie jetzt und zu Hause; über die Schwierigkeiten, aber auch über die Fähigkeiten, die im Einzelnen verborgen sind und gehoben werden. Außerdem ist drei- bis viermal wöchentlich Heilige Messe.

Das Bedürfnis der Mädchen nach seelischer Reinigung in der regelmäßigen Beichte ist groß; die Freude an der Messe, an den Katechesen von Priestern und denen von Schwester Elvira, die von allen als Mutter verehrt und geliebt wird, ebenso.

Ein Bursch im Hause meines Mannes erklärte ihm, wie das intensive Gebet bei vielen gleichsam in drei Stufen wirkt. Zuerst geht der Neue mit den anderen bloß mit, weil er in dieser Zeit an Stelle der Arbeit in der Kapelle sein kann - obwohl er vielleicht noch nicht weiß, wie er beten soll oder wozu er überhaupt in der Kapelle ist. Dann kommt die Zeit, in der er sein Leben, seine Vergangenheit und seine Familie anschaut - er sieht viele Gründe für sein Versagen, vorwiegend bei den Eltern, allen Menschen und Umständen rundherum, die er nun anklagt. Allmählich aber erweckt der Herr sein Gewissen wieder, das durch seinen Lebenswandel in Agonie lag. Dann kommt für ihn die Zeit, in der er zugeben kann, daß auch er selbst viele Fehler und Sünden begangen, an dieser und jener Stelle seines Weges falsch gehandelt und entschieden hat und auch selbst schuldig geworden ist. Als dritte Stufe reift in ihm die Erkenntnis, daß die wirkliche Ursache für seinen bisherigen Lebensweg eine ungeheure Leere war, daß er unbewußt immer auf der Suche nach Erfüllung war, diese aber weder mit Sex noch durch Drogen finden konnte. Er erfährt, daß er in Wahrheit die Stimme Gottes in seinem Inneren entbehrt hat, weil er nicht auf Ihn gehört hatte, sondern davor geflohen war. Dann aber wächst die Sehnsucht nach Reinigung in der Beichte, ebenso der Wunsch nach einem Neubeginn mit dem Empfang der Kommunion. Ist es dann mit Hilfe aller anderen und der Priester soweit, ist dies für alle ein Fest - dann erst beginnt die wahre seelische Heilung.

Bei der täglichen Arbeit, so ungewohnt und schwer sie für alle auch ist, wird das klärende, erleichternde, erlösende Gespräch jederzeit angeboten und angenommen. Das gegenseitige Kennenlernen ohne die Furcht, bespöttelt oder ausgegrenzt zu werden, ist für viele eine neue und wunderschöne Erfahrung - plötzlich haben sie eine Familie! Mit der Erfüllung seiner Aufgaben trägt jeder Verantwortung für alle, er trägt am Ganzen mit! Es ist leicht vorzustellen, wie wunderbar das ist, wenn auf den bleichen, abweisenden oder verschüchterten Gesichtern der Neuankömmlinge nach ein paar Tagen ein unwillkürliches Lächeln, ein erleichtertes Lachen aufblüht, wenn sie anfangen, sich mit den anderen anzufreunden! Selbst die fremde Sprache ist kein Hindernis bei der Arbeit, beim Essen oder wenn sie mit ihrer unglaublicher Fröhlichkeit ein Fest feiern. Die Umgangssprache ist italienisch, was im allgemeinen recht schnell erlernt wird.

Sie finden Gemeinschaft, liebevollen Umgang, Gespräche mit jungen Menschen ihres Alters, die sehr ähnliche Erfahrungen hinter sich haben. Sie lernen gemeinsame Arbeit und auch in der Freizeit gemeinsam tätig zu sein. Sie lernen zuzuhören, sich auszusprechen, sich zu öffnen und andere zu trösten; sie entdecken die Stille, und wenn sie gemeinsam für andere beten, erfahren sie das Ruhigwerden und den inneren Frieden in der Geborgenheit Gottes kennen. Sie lernen, Geduld und Nachsicht miteinander zu haben, in Rücksicht und Liebe das Gute zu entwickeln und zu fördern, das Schlechte in gegenseitiger Wahrhaftigkeit auszusprechen und einander in Liebe abzugewöhnen. All das ist Nahrung, Heilung und neues Leben für die Seele und den Leib derer, die sich täglich den Tod mit Spritze, Tablette und anderer Selbstzerstörung gaben oder geben wollten.

Sie schauen nicht zurück, sondern vertrauen dem Herrn ihre Zukunft an, sie hoffen auf ihn und die Führung durch Maria - und sie werden nicht enttäuscht: Jesus läßt sich an Großmut nicht übertreffen, Er schenkt immer viel mehr als wir Ihm geben.

Deine Christa

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