VISION 20004/2001
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Der Papst auf Besuch bei einer Märtyrerkirche

Artikel drucken Johannes Paul II. in der Ukraine (Christoph Hurnaus)

Wieder einmal war der alte, gebrechliche Papst im Juni zu einer Pastoralreise aufgebrochen - unter schwierigen Bedingungen. Der Grund: die Spannungen mit der russischen Orthodoxie, die sich massiv gegen die Reise ausgesprochen hatte. Und dennoch...

Für viele Ukrainer war es ein Lebenstraum, den Papst zu sehen. In der altösterreichischen Stadt Lemberg erlebten wir daher für drei Tage so etwas wie einen Ausnahmezustand: Der gesamte öffentliche Verkehr kam zum Erliegen, die Menschen wollten nur das eine, den Papst sehen.

1,3 Millionen Gläubige waren zu dieser Papstmesse gekommen, die im byzantinischen Ritus gefeiert wurde. Aus allen Teilen der Ukraine waren sie in Bussen angereist, um das Treffen mit ihm zu erleben. Viele Ukrainer sehen in ihm den einzigen Hoffnungsträger für ein Land, das wenig politische, ökonomische und moralische Hoffnung besitzt.

Die Lebensumstände der Ukrainer sind auch heute, zehn Jahre nach der demokratischen Wende noch immer katastrophal. Mißwirtschaft und Korruption beherrschen das größte Land Europas, das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 50 bis 100 DM. Die einzige Hoffnung der Menschen in der Westukraine ist die katholische Kirche, der sie nach all den Katastrophen die der Kommunismus in den Menschen verursacht hat, Vertrauen entgegenbringen.

Johannes Paul II. war gekommen, um die Katholiken in der Westukraine zu besuchen, die dem Nachfolger des Petrus in den schweren Zeiten der Verfolgung treu geblieben waren. Denn kein Land Europas hat im letzten Jahrhundert so gelitten, wie die Ukraine. Millionen von Menschen kamen bei den von den Sowjets geplanten Hungersnöten ums Leben, der Nazi Terror beseitigte das ganze jüdische Leben im ehemaligen Galizien und die Verfolgungen in der Stalin Ära waren brutaler als anderswo.

1945 wurde die Griechisch-Katholische Kirche auf einer von den Kommunisten organisierten Scheinsynode in Lemberg der Orthodoxen Staatskirche zwangsweise eingegliedert. Für jene Gläubigen, die sich nicht freiwillig den Orthodoxen anschlossen, folgte ein jahrzehntelanger Kreuzweg. Hunderte Priester, darunter viele Bischöfe, sowie tausende Gläubige gaben dabei ihr Leben für Christus. Unzählige Katholiken wurden in die Steppen Sibiriens deportiert, Familien wurden getrennt, viele Gläubige erlebten das äußerste, was man sich an psychischer und physischer Gewalt vorstellen kann.

Trotz all dieser schwierigen Umstände lebte die Griechisch-Katholische Kirche über 40 Jahre in den Katakomben weiter, weil sie dem Druck seitens der kommunistischen Behörden widerstehen konnte, die Verbindung mit dem Papst in Rom zu lösen. Keine andere Kirche Europas erbrachte ähnlich große Opfer, um der Einheit mit dem Hirten in Rom willen.

Johannes Paul II. war nach Lemberg gekommen, um 27 Märtyrer aus der stalinistischen und nationalsozialistischen Verfolgungszeit seligzusprechen. In seiner Predigt bei der Seligsprechungsfeier sprach der Papst davon, daß die Ukraine von “Bergen von Leichen und Strömen von Blut bedeckt" gewesen sei. Viele der neuen Seligen seien unter barbarischen Umständen zu Tode gefoltert worden.

Der Papst betonte, daß es eine Ökumene der Märtyrer und Glaubenszeugen gäbe, die den Weg zur Einheit der Kirche im 21. Jahrhundert anzeigt. In den letzten Jahrhunderten habe es zu viele “eingefahrene Verhaltensweisen, gegenseitige Vorurteile und zu viel Ignoranz" gegeben, hob Johannes Paul II. hervor, der bei seiner Pastoralreise durch die Ukraine einen relativ frischen Eindruck machte.

Das Leiden der Christen in den letzten Jahrzehnten sei ein Appell zur Vereinigung und Versöhnung. Vor dem Besuch des Papstes war es nämlich zu einigen Irritationen gekommen, da sich der orthodoxe Patriarch Wolodymyr von Kiew geweigert hatte, an einem ökumenischen Treffen mit dem Papst teilzunehmen.

Papst Johannes Paul II. feierte in Lemberg auch einen Gottesdienst im lateinischen Ritus, zu dem viele Tausende Polen angereist waren. Bei dieser Gelegenheit rief er Ukrainer und Polen dazu auf, im Namen des einen Christus auf den gemeinsamen Vater zuzugehen und die Ressentiments der Vergangenheit abzulegen.

Einen weiteren Höhepunkt bildete eine Begegnung mit der Jugend der Westukraine, zu der etwa 400.000 Jugendliche gekommen waren. Als der Papst seine Ansprache beginnen wollte, setzte ein Wolkenbruch ein, der in wenigen Minuten das ganze Areal in eine Sumpflandschaft verwandelte.

Spontan stimmte der gutgelaunte Papst ein polnisches Volkslied an: “Regen, hör auf, wir brauchen dich hier nicht. Verschwinde hinter die Berge und Wälder und geh zum Himmel zurück." Der Himmel dürfte den Papst tatsächlich erhört haben, am Ende des Jugendtreffens herrschte wieder Sonnenschein.

Johannes Paul II. rief den Jugendlichen zu, ihr Land nicht zu verlassen und einen Beitrag für bessere soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Bedingungen zu leisten.

Die Visite in der Ukraine war für den Papst ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg nach Moskau. Seiner Vision “Ut unum sint" (Damit sie eins seien) folgend, wird er trotz aller Hindernisse, die sich ihm auf dieser Reise in den Weg legten, an dieses große Ziel der Einheit aller Christen weiter glauben. Die “Ökumene der Märtyrer und Glaubenszeugen" werde den Weg der Einheit der Christen im neu begonnen Jahrhundert bereiten.

Seine Predigt bei der Seligsprechung schloß er mit den berührenden Worten: “Möge auf die Fürsprache der Seligen, Gott das Öl des Erbarmens und des Trostes auf eure Wunden gießen, damit ihr fähig werdet, im Vertrauen auf Den zu schauen, der auch euch wartet".

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