Der kritische Artikel zum Thema “Hirntod" in der letzten Nummer hat mehrere Reaktionen ausgelöst. Wir bringen einige der Leserbriefe - allerdings (aus Platzgründen) gekürzt.
Reaktionen bei der Organentnahme
“Heftige Diskussion unter Großbritanniens Ärzten - Können Hirntote noch Schmerzen empfinden?": ein Artikel aus der “Ärztezeitung" (31.8.00) legt Informationen von Insidern vor. Dr. Philip Keep (Norfolk and Norwich Hospital) sagte, er weigere sich, einen Organspenderausweis mit sich zu tragen: “Ich habe während meiner langjährigen Arbeit im OP Dutzende hirntote Organspender gesehen, die bei der Entnahme Reaktionen zeigten." Und der britische Anästhesist Peter Young (Addenbrooke Hospital, Cambridge): “Der Hirntod ist nicht ein einziges Ereignis, sondern ein komplizierter und langwieriger Prozeß, über den wir Ärzte noch zu wenig wissen. Daher ist es gefährlich anzunehmen, daß jeder offiziell als ,hirntot' klassifizierte Patient keine Schmerzen mehr empfindet."
Hilde Bayerl, Engelbertstr. 21, D-81241 München
Ein herzloses Urteil
Warum gehen Sie nicht zuerst auf eine Dialyse- oder Herzstation? Sonst könnten Sie nicht so herzlos urteilen. Es könnte doch sein, daß auch Sie einmal in diese schreckliche Situation kommen könnten. Niemand ist bereit, ein Organ für Sie zu opfern, und Sie vegetieren Jahre dahin. Im Grab ist es gleich, ob man mit oder ohne Niere liegt - und wenn wir auferstehen, wird Gott schon für alles sorgen.
Natürlich kann man einen Gehirntoten monatelang an allen Geräten hängen lassen. Vielleicht kommt er auch ein bißchen zu sich. Aber ist das noch ein Leben, wenn die meisten lebenswichtigen Funktionen ohne Geräte nicht mehr funktionieren. Lieber Menschen retten durch Organentnahme, als einen lebendigen Toten zu besuchen. Es ist weder für den Schwerstverletzten, noch für dessen Familie ein Trost. Auch waren viele Menschen unglücklich, weil man sie mit aller Gewalt ins Leben zurückholte. Hoffentlich denken Sie ein bißchen mehr nach. Bin selber zum zweiten Mal auf der Dialyse und kenne viele Leidensgenossen.
Maria Vogler, Rainerg. 14/14, A-1040 Wien
Ein absolut künstlicher Zustand
Als Facharzt für Neurologie und gläubiger Katholik kann ich den Beitrag über den Hirntod von Herrn Kirchmayr nicht widerspruchslos hinnehmen. Als Leiter einer neurologischen Intensivstation war ich jahrelang mit der Hirntoddiagnostik vertraut und darf mich als medizinischer Experte auf diesem Gebiet bezeichnen. Es ist absolut unrichtig zu behaupten, daß es über 30 verschiedene Definitionen (für den Hirntod) gibt, die alle das gleiche Ziel haben, den Todeszeitpunkt möglichst weit vorzuverlegen.
Es wäre schön gewesen, wenn in dem Artikel die für Österreich im Zusammenhang mit Organentnahmen einzig geltende Definition erwähnt worden wäre. Diese lautet: “Der Hirntod ist definiert als der permanente und irreversible Ausfall von Großhirn und Hirnstamm bei möglicherweise erhaltenen Funktionen des Rückenmarks". Dies bedeutet, daß das Gehirn nicht nur nicht mehr funktioniert (wie bei einem Koma-Patienten), sondern sich im Schädelinnern vollständig verflüssigt hat (sogenannte Kolliquationsnekrose). Damit ist dieser Zustand des Hirntods ein absolut künstlicher, das heißt, die Aufrechterhaltung der Kreislauffunktion (Herzschlag, Blutdruck) hängt in erster Linie von der künstlichen Beatmung ab.
Mit anderen Worten: Wird bei einem Hirntoten die Beatmungsmaschine abgestellt, erlischt die Herzaktion des Betroffenen innerhalb weniger Minuten. Dennoch gilt bereits der Hirntod zu Recht als der Individualtod des Menschen, da alles, was das Individuum ausmacht, sein Denken, Fühlen, seine Erinnerungen usw. an die Funktion des Gehirns gebunden ist. Grundsätzlich ist es auch bedenklich die Begriffe Hirntod und Koma - wie in dem Artikel geschehen - in einen Topf zu werfen.
Bei einem Koma-Patienten besteht zum Beispiel nie ein vollständiger Ausfall der Atmung, weshalb ein Koma prinzipiell reversibel ist, der Hirntod aber nicht. Daß bei der Organentnahme Hirntoter Narkotika und Beruhigungsmittel verwendet werden ist leicht erklärbar. Zwar kann der Hirntote keine Schmerzen mehr fühlen, jedoch besteht durch Reflexe, die über das noch intakte Rückenmark verschaltet sind, die Möglichkeit, daß der Hirntote bei der Operation muskuläre Bewegungen zeigt, die die Organentnahme sehr stören können.
Es würde diesen Leserbrief sprengen, wenn ich die Hirntoddiagnostik im einzelnen erläutern würde. Es sei nur so viel gesagt, daß es wenig Prozeduren in der Medizin gibt, die derartig mehrfach abgesichert sind, so daß bei korrekter Durchführung der Richtlinien keine Fehlbeurteilungen möglich sind.
Es gibt auch Punkte, wo ich mit Herrn Kirchmayr übereinstimme. Tod ist nicht gleich Tod. Es gibt Fälle, wo der Tod schnell kommt (manchmal nach einem schweren Unfall) oder wo es eine ganz klare Grenze gibt (z. B. beim Hirntod); es gibt bei chronischen Krankheiten aber sicherlich auch ein “kontinuierliches" Sterben. So habe ich beim Tod meiner Mutter, die an Leberkrebs gestorben ist, erlebt, daß Sterben ein mehrwöchiger Prozeß sein kann. Einer anderen Kritik von Herrn Kirchmayr möchte ich ohne Vorbehalt zustimmen. Es ist absolut richtig, daß das Transplantationsgesetz in Österreich mit der “Widerspruchslösung" in seiner Ausführung fragwürdig ist. (...)
Dr. Matthias König, Alois-Lafer Gasse 12, A-8605 Kapfenberg
Wir haben beide kritischen Briefe dem Autor des Beitrags in VISION 3/2001 zugesandt. Im folgenden ein Auszug aus dem Antwortbrief von Andreas Kirchmair an Dr. König.
Ein Sterbender ist noch nicht tot
Danke zunächst für den wohlwollenden Grundton (zu diesem Thema erlebe ich von Seiten der Ärzte meist viel Aggression). Die Widerspruchsregelung in Österreich hat mich vor 3 Jahren, als ich mich persönlich mit der Problematik auseinanderzusetzen begann, wirklich empört. So begann ich mich in meiner Freizeit intensiver mit der Materie zu beschäftigen.
Genauso wie gestohlenes Geld einem Armen zwar helfen kann, aber zurückerstattet werden muß, müssen wir uns doch immer wieder fragen, ob nicht nur der Zweck, sondern auch die angewendeten Mittel ethisch und vor unserem Herrgott vertretbar sind. Der kritische Punkt in Frage Hirntod ist m.E. nicht, ob wir die Dinge richtig machen (etwa die Hirntod-Diagnostik), sondern ob wir die richtigen Dinge machen, ob diese Diagnosen an einer Leiche vollzogen werden oder an einem Sterbenden. Und da müssen wir alle tief nachdenken, weil die Fragestellung dramatisch ist: Wenn die Hypothese “Hirntod" als endgültiges Todeskriterium nicht stimmt, handelt es sich um gesetzlich legitimierte Tötung durch Organentnahme.
Wenn ein Mensch, dessen Gehirn im Absterben begriffen ist, bereits für tot gehalten wird, so wird er auf seine Gehirntätigkeit reduziert, womit dann logischerweise auch Abtreibung bis zur Ausbildung des Gehirns in Ordnung wäre, oder? Insofern kann ich Ihnen nicht zustimmen, daß der Hirntod zu Recht als der Individualtod des Menschen gilt.
Sie schreiben, daß der Hirntote keine Schmerzen mehr fühlt. Ich habe den Bericht einer Mutter aus Deutschland gelesen, die ihren verunfallten 18jährigen Sohn zur Transplantation freigab und als sie ihn am nächsten Tag nach der Transplantation im Sarg sah, war er vergreist, weiße Haare,usw, wie jemand, der ein Schockerlebnis hinter sich hatte. Sie hat sich jahrelang Vorwürfe gemacht, daß sie die Zustimmung zur Organtransplantation gegeben hat - kein Einzelfall.
Sie schreiben über die korrekte Durchführung der Richtlinien, die kein Fehlurteil zulassen. Bei einem Vortrag an der Uni Graz am 18.10.00 hat ein Kollege von Ihnen, UP Dr. Tritthart, die Einhaltung dieser Richtlinien in der Praxis stark relativiert
Sie schreiben, Organ“spende" sei Ausdruck christlicher Nächstenliebe. Wissen Sie, ich persönlich bin da vorsichtig. Mein Körper ist eine wertvolle Gabe unseres Schöpfers, für die wir auch verantwortlich sind und die nicht instrumentalisiert werden sollte. Und die andere Seite der Medaille ist, daß Menschen, die einen Unfall hatten (das sind die beliebtesten Organ“spender"), nach ihrem Unfalltrauma auch noch das Explantationstrauma erleben müssen. Diesen grausamen Vorgang sollte, ja darf man nicht mit schönen christlichen Vokabeln behübschen.
Das Geheimnis des menschlichen Lebens kann unsere Medizin in Wahrheit auch heute nur vage beschreiben, nur das “Nicht mehr Leben" (also der Tod) ist eindeutig und setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen (Atmung, Herzschlag, Blick, Totenstarre ...). Dieser physische Tod ist leicht feststellbar, jeder Mensch spürt, wenn ein anderer Mensch seinen “letzten Atemzug" getan hat.
Vieles ist da meiner Einschätzung nach einfach nicht zu Ende gedacht, diese willkürliche, auf einen klaren Zweck (Explantation) ausgerichtete Anlaß-Diagnose und das Menschenbild, das ihr zugrunde liegt, stehen auf tönernen Füßen, glauben Sie mir. Solange der Mensch stirbt, lebt er. Gerade unsere Kirche hat gegenüber den Sterbenden eine besondere Verantwortung.
DI Andreas Kirchmair, e-mail: andreas.kirchmair@kc.co.at