Meine Geburt am 12. Mai 1963 verlief nicht ohne Komplikationen, denn nachdem meine Zwillingsschwester Agatha bereits geboren war, bemerkte die Hebamme: “Da kommt ja noch eines!"
Allerdings hört sie keine Herztöne mehr. Erst eine ganze Stunde später konnte ich mit Hilfe des Arztes das Licht der Welt erblicken, dabei war ich durch langen Sauerstoffmangel bereits blau im Gesicht. Drei Tage lang kämpfte ich um mein Leben - mit Erfolg.
Doch wie sich bald herausstellen sollte, hatte diese eine Stunde über mein ganzes weiteres Leben entschieden: Meine körperliche Entwicklung verzögerte sich wesentlich. Erst mit knapp drei Jahren lernte ich laufen. Der Kinderarzt in Innsbruck diagnostizierte spastische Lähmung.
Es ist mir nie leicht gefallen, mit dieser Behinderung zu leben. Ich mußte ja bei vollem Bewußtsein miterleben, daß ich sehr vieles nicht oder zumindest nicht so gut konnte wie die anderen. Ich jammerte schon als Kind meiner Mutter oft vor: “Warum darf ich nicht auch so sein wie Agatha, meine Zwillingsschwester, und wie die anderen Kinder?"
Noch mehr litt ich in meinen Jugendjahren darunter, sodaß ich einmal sogar den Ausspruch tat: “Diese Behinderung könnte ich auf den Mond schießen." Aber ich konnte sie eben nicht auf den Mond schießen, ich mußte sie gewollt oder ungewollt mit mir herumschleppen.
Jesus mag wohl gewußt haben, daß ich ohne Seine Hilfe in dieser Lage nicht bestehen konnte, darum begann Er, mich an sich zu ziehen. Ich lernte Martha kennen, eine tief religiöse Frau. Sie versuchte, mich zu Jesus zu führen. Erstmals lernte ich mein Leid nicht nur von seiner negativen Seite her kennen. Martha stellte mir das Wort Jesu vor Augen: “Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Lk 9,23). Dieses Bibelwort, das mir im Alter von 14 Jahren begegnete, sollte mich nie mehr verlassen.
Allerdings sollte es sehr, sehr lange dauern, bis ich erfaßte, was es bedeutet. Ich wollte Jesus das Kreuz nachtragen, war aber dazu nicht in der Lage. Oder wollte ich es im Tiefsten meines Herzens gar nicht?
Je älter ich wurde, desto mehr wehrte ich mich und stürzte dadurch immer tiefer in die Depression. Weinkrämpfe und Wutanfälle, die auch meiner Familie große Sorgen bereiteten, wechselten miteinander ab. Mein christlicher Glaube und mein Verhalten im Alltag paßten oft gar nicht zueinander.
Von früher Jugend an wünschte ich mir, in ein Kloster gehen zu dürfen. Ich wollte Jesus ganz gehören. Doch es war gar nicht einfach, ein geeignetes Kloster zu finden. Stattdessen lernte ich bereits mit 15 Jahren die Legion Mariens kennen und trat dem in meiner Pfarre arbeitenden Jugendpräsidium bei, freilich ohne zu ahnen, daß hier meine eigentliche Berufung lag.
Obwohl ich die Gruppe bald übernehmen durfte und Mitglied im Erwachsenenpräsidium wurde, obwohl ich durch österreichische Legionäre den echten Legionsgeist kennen und lieben lernen durfte, genügte mir das nicht. Ich brachte das Ideal des klösterlichen Lebens nicht aus dem Kopf. Könnte es vielleicht doch meine Berufung sein?
So lernte ich den Orden der Heimsuchung und das Kloster in Wien kennen und wurde nach einer mehrmonatigen Probezeit tatsächlich aufgenommen. Die erste Zeit des Postulats war wunderschön, doch dann meldete sich das Heimweh. Meine überforderte Psyche forderte ihre Rechte ein und wehrte sich gegen den Zwang, den mehr mein Eigensinn als echte Gottesliebe ihr antat. Als ich das Kloster fast sechs Monate nach meinem Eintritt verlassen mußte, meinte ich, eine Welt bräche für mich zusammen.
Nicht umsonst sagt ein russisches Sprichtwort: “Wenn Gott dir eine Tür zuschlägt, öffnet Er dir ein Fenster."
Etwa drei Monate nach meiner Rückkehr aus Wien durfte ich überraschend einen Computerkurs besuchen. Anfangs glaubte ich gar nicht, durchhalten zu können. Doch schon bald begann der Kurs interessant zu werden und er verdrängte nach und nach die Klostergedanken.
Der Computer eröffnete mir neue Möglichkeiten. Schon in meiner Volksschulzeit hatte ich nämlich meine Freude am Schreiben entdeckt. Nur hatte meine behinderte Hand da nicht mitgespielt. Als ich in der fünften Klasse meine erste Schreibmaschine bekam, fing ich eifrig darauf zu klimpern an und brachte sogar erste Schriftstücke zu Papier.
Nach Abschluß der Schule fand ich keine Arbeitsstelle und verbrachte viel freie Zeit damit, einen “Roman" zu schreiben. Allerdings machte ich beim Schreiben viele Tipfehler, sodaß man meine Geschichte am Ende gar nicht mehr richtig lesen konnte.
Mit der elektronischen Textverarbeitung war es mir plötzlich möglich, diese vielen Fehler auszumerzen, sodaß meine Arbeiten nun “salonfähig" waren. Wie von selbst begann ich nun wieder mehr zu schreiben und ich zog eines Tages sogar meinen alten “Roman" vom Bücherregal. Zwei Jahre später durfte ich den religiösen Heimatroman “Mutterliebe" veröffentlichen. Von da an konnte ich immer wieder kleinere und größere Schriftstücke verfassen, die ich ohne PC nicht in Angriff genommen hätte. Ich hatte meine ganz besondere Aufgabe gefunden. Darum kann ich Gott für diese große technische Hilfe nur danken.
Mittlerweile hatte ich die 30 überschritten. Ich merkte, daß ich mit zunehmendem Alter ruhiger und ausgeglichener geworden war. Das Leben hatte mich gelehrt, daß auch scheinbar ganz “normale" Menschen ihre Lebenslast mit sich tragen müssen, daß vielleicht nur die Art des Kreuzes eine andere ist, als ich es eben erlebe.
Eine Freundin hatte mir geraten, über mein Leben zu schreiben. Diese Zeit wurde mir zur Gnade. Ich bekam einen Blick dafür, wovor der liebe Gott mich vielleicht gerade durch meine Behinderung bewahrt und was Er mir als Ausgleich dafür geschenkt hatte. Ich erkannte, daß im Leben nichts selbstverständlich ist, und daß es darauf ankommt, wie wir unser Lebensschicksal bewältigen.
Wir können unser Kreuz als Last mit uns schleppen, dann wird es uns wahrscheinlich erdrücken, wie es bei mir lange der Fall war. Erst als ich versuchte, es aus Liebe zu Jesus wirklich auf mich zu nehmen und es bewußt zu tragen, merkte ich, wie es mich zu tragen begann.
Die größte Hilfe war mir dabei die heilige Thérèse vom Kinde Jesu, die ich schon früh kennenlernen durfte, deren Spiritualität ich aber erst spät zu begreifen begann. Auf ihrem “Kleinen Weg" dürfen wir alles aus der liebenden Hand Gottes annehmen, nicht zuletzt Versagen und Schwäche. Auf diesem Weg habe ich gerade im Zusammenhang mit meiner Behinderung unzählige Kleinigkeiten gefunden, die zu Meilensteinen auf meinem Weg zu Jesus werden können.
Es ist eine Gnade für mich, die Schönheit der Katholischen Kirche zu kennen und in ihrem Schoß glücklich werden zu dürfen. Die Liebe zur Kirche verdanke ich zu einem großen Teil auch der Legion Mariens, der ich schon so lange angehöre und in der ich schließlich meine wahre Berufung gefunden habe.