Der Versuch, über einen so großen Heiligen wie den heiligen Josef zu schreiben, ist sicherlich ein Wagnis; indes lohnt sich das Nachdenken über seine Persönlichkeit ganz besonders. Es ist kein Zufall, daß der heilige Josef bei den Gläubigen zu den beliebtesten Heiligen zählt, aber ebensowenig, daß sich die berühmtesten Persönlichkeiten der Kirche über ihn und seine Rolle im Heilsgeschehen Gedanken gemacht haben.
Dafür gibt es unzählige Beispiele seit dem zweiten Jahrhundert. Zu ihnen gehören etwa Justin der Märtyrer (etwa um 160), der heilige Ambrosius, der heilige Augustinus, die heiligen Bernhard von Clairvaux, Brigitta von Schweden, Teresa von Avila, Franz von Sales und zahlreiche Päpste der Neuzeit: Pius IX., Leo XIII., Pius X., Benedikt XV., Pius XII., Johannes XXIII., Paul VI. und selbstverständlich Johannes Paul II. - um nur einige der wichtigsten Namen zu nennen. Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß man anscheinend so wenig über diesen Heiligen weiß - es wird ja in der Bibel kein Wort von ihm überliefert.
Wie kommt das? Vielleicht hat der zum katholischen Glauben konvertierte Schriftsteller Paul Claudel, der den heilige Josef als den “Patron des verborgenen Lebens" bezeichnet hat, den Schlüssel zu diesem Phänomen gefunden, als er schrieb, daß der heilige Josef durch sein Schweigen “Vater des Wortes" sei?
Was weiß man also wirklich über ihn? Sicher ist nur, daß er aus dem Hause David stammte, Zimmermann war und daß er ein “Gerechter" war - eine Auszeichnung, die in der Bibel nur äußerst sparsam vergeben wird.
Außerdem muß er jung und tatkräftig gewesen sein, gewohnt, entschlossen zu handeln. Wie sonst hätte er für Maria und das Jesuskind eine Stütze sein können, wie hätte er die enormen Mühen der Flucht nach Ägypten durchgestanden, seine Familie ernähren können? So scheinen die vielen Darstellungen, die den heiligen Josef als alten Mann zeigen, jeder logischen Grundlage zu entbehren.
Liest man die spärlichen Hinweise auf ihn, so erschüttert besonders seine Fähigkeit, auf Gott zu hören, Ihm zu vertrauen und ohne Zögern zu gehorchen. So lesen wir bei Matthäus: “Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloß, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen." (1,19 ff)
An anderer Stelle lesen wir von seiner Entschlossenheit und seinem Gehorsam: “Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes ... Als Herodes gestorben war, erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und zieh in das Land Israel; denn die Leute, die dem Kind nach dem Leben getrachtet haben, sind tot. Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel. ... Weil er im Traum einen Befehl erhalten hatte, zog er in das Gebiet von Galiläa und ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder" (Mt 2,13 ff).
Was er getan hat, ist reinster Gehorsam des Glaubens. Und das verband ihn in ganz besonderer Weise mit dem Glauben Mariens - was niemand geringerer als Papst Johannes Paul II. gesagt hat.
Immer wieder wurde bezweifelt, ob die Ehe zwischen Maria und Josef auch eine wirkliche Ehe gewesen sei. Dazu bemerkte bereits der heilige Augustinus: “Wie Maria ... Mutter ist, so ist Josef ... Vater", weil in der jüdischen Tradition die Verlobung dieselben Rechte bewirkte wie die Heirat - mit Ausnahme des Zusammenlebens.
Zudem wurde ihm die Vaterrolle, die weit über die eines Pflegevaters hinausging, eindeutig definiert, als er vom Engel mit der Namensgebung beauftragt wurde; das war allein dem gesetzlichen Vater vorbehalten.
Maria und Josef durften “miteinander das Charisma der Jungfräulichkeit und das Geschenk der Ehe leben ... einen ganz außergewöhnlichen Lebensweg", aber doch “eine wirkliche Ehe" (Johannes Paul II.), da diese Ehe alle Erfordernisse erfüllte, die eine Ehe begründen, nämlich: “Nachwuchs, eheliche Treue und Sakramentalität" (heiliger Augustinus).
Auch für Jesus galt, daß er in einer intakten Familie aufwachsen sollte, die “die normale Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes ... gewährleisten" (Johannes Paul II.) konnte.
So schrieb der Evangelist Lukas: “Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit, und seine Gnade ruhte auf ihm." (Lk 2,40) Dazu brauchte es nicht bloß Josef, den Ernährer, sondern Josef, den Vater, der nach dem Willen Gottes die “vollkommene Verkörperung der Vaterschaft" sein sollte. Jesus “verbarg sich" 30 Jahre lang “im Schatten Josefs" (Johannes Paul II.) und bezeugte durch seinen Gehorsam, seine Einordnung in die Familie die enorme Bedeutung Josefs für das Erlösungsgeschehen.
Für die Juden war eines völlig unbezweifelbar: Nur jemand aus dem Hause David konnte der Messias sein. Da die Abstammung der Mutter allein (auch Maria stammte aus dem Geschlecht Davids) nach der damaligen Gesetzgebung nicht ausreichte, hingegen die gesetzliche Vaterschaft der leiblichen völlig gleichgestellt war, war der heilige Josef der rechtmäßige Vater von Jesus. Jesus wäre damit auch als der Messias eindeutig legitimiert gewesen, hätte das jüdische Volk und seine geistlichen Führer ihn als den Messias anerkennen wollen ...
So zeigte sich in den verschiedensten Lebensbereichen der heilige Familie, daß der heilige Josef weit mehr als nur “Nährvater", ein greisenhafter Pflegevater war.
Durch ihn, den einfachen Arbeiter, der vielleicht den Menschen in Nazaret ihre einfachen Möbelstücke gezimmert oder ihre bäuerlichen Geräte angefertigt und repariert hatte, bekam die Arbeit eine ganz neue Würde. Wenn auch aus der Sünde Adams die Mühsal der Arbeit entstanden war (Gen 3,19: “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen"), so gehörte nun Jesus, der Sohn Gottes, der Arbeitswelt in ganz neuer, veredelnder Weise an - eben durch Josef, den Arbeiter, der Jesus das Umfeld dafür bot. So “ist die Arbeit in das Geheimnis der Menschwerdung aufgenommen und zum Werkzeug der Erlösung geworden" (Johannes Paul II.).
Die tiefe, so lange andauernde Vertrautheit des heiligen Josef mit Maria und Jesus ist selbstverständlich auch für unser eigenes Leben wegweisend, wie der heilige Josef überhaupt in seinem Hören auf Gottes Eingebungen ein großes persönliches Vorbild für jeden Vater, für jeden Mann sein müßte.
Nicht zufällig bezeichnete Papst Leo XIII. die Heilige Familie, der der heilige Josef vorstand, als die “Keimzelle der Kirche". Aber jede Familie ist im eigentlichen eine Keimzelle - sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kirche, den Leib Christi. Es ist wahrlich eine große Verantwortung, die auf einem Familienvater lastet; und es ist nicht leicht, ein Mann zu sein.
Wie gut ist es da, sich am heiligen Josef zu orientieren - an seiner Liebe zu Maria und zu Jesus, an seiner tiefen Frömmigkeit, wofür sein ganzes Verhalten zeugt. Dieser große Heilige ist auch ein Beispiel dafür, daß Gott alle Hilfen und Gnaden, die erforderlich sind, schenkt, wenn Er einen Menschen zu einer hohen Aufgabe beruft; das ist eine Tatsache, die sich in hohem Grad am heiligen Josef bewahrheitet hat (nach Bernhardin von Siena).
Berufen ist wohl jeder Mensch - zur Heiligkeit und dazu, durch sein Leben die Welt ein klein wenig besser zu hinterlassen, als er sie vorgefunden hat. Nehmen wir uns für unser Leben, für unsere Berufung - welche es im besonderen auch sei - den heiligen Josef zum Vorbild. Wir können kaum etwas Besseres machen.