In der Bergpredigt, überliefert vom Evangelisten Matthäus, fordert unser Herr unüberhörbar die Feindesliebe: “Liebt eure Feinde. Segnet die, die euch verfluchen. Tut Gutes denen, die euch hassen und betet für die, die euch verfolgen." (Mt 5,44) (...)
Menschen, die hart unter Verfluchungen leiden, fragen oft ganz verzweifelt, was sie dagegen tun könnten. Hier gibt die Bergpredigt eine nicht zu umgehende Antwort. “Segnet die, die euch verfluchen."
So ist es wichtig, daß die betroffene Person nicht diesen oder jenen verdächtigt, sondern von Herzen verzeiht und für jenen betet, der ihm Böses getan hat, wer es auch sein mag.
Jeder von uns erhält nach der Aussage der Bergpredigt jetzt die Möglichkeit zu segnen. Auch im Alten Bund gab es schon Segen. Er war demjenigen zugedacht, der sich des Segens bedürftig fühlte, sich in irgendeiner Art unter den Segen Gottes stellen wollte.
Jetzt erhält der Segen eine unendliche Erweiterung. Er wird jedem von uns in die Hand gegeben, jeder darf nun, durch die Liebe und die Kraft des Herrn segnen. Und nicht nur diejenigen segnen, die danach verlangen, sondern gerade auch die, die uns verfluchen und durch uns den Herrn zu treffen gedenken.
Gott, der Vater, hatte im Anfang die ganze Schöpfung gesegnet mit einem Segen, der unmittelbar von Ihm kam und ausdrücklich erteilt wurde und sichtbar über die ganze Schöpfung sich ergoß. Aber dann kam die Sünde, die sich dem freien Strömen des Segens Gottes entgegenstellte, und einen Damm aufrichtete gegen die macht dieses Segens.
Im Neuen Bund hat der Herr durch das Kreuz den Widerstand der Sünde grundsätzlich gebrochen. Der Sohn holt den Segen des Vaters, Seinen eigenen Segen und den Segen des Heiligen Geistes wie neu aus der Zeit des Paradieses hervor und ein Zeichen der Unbedingtheit des neues Segens ist, daß Er ihn uns allen ohne Bedenken übergibt, damit wir ihn ohne Bedenken den Abgewendeten und Fluchenden zukommen lassen.
Wir dürfen diese neue Gabe des Segens nicht nach unserer beschränkten Meinung verwenden, sondern müssen sie gerade dort zur Anwendung bringen, wo sie am nötigsten, wenn auch am schwersten zu geben ist, dort, wo der Segen auf den Fluch prallt.
Der Segen des dreieinen Gottes, den wir nicht zu umfassen vermögen, strömt durch uns hindurch, um sich seiner inneren Grenzenlosigkeit entsprechend zu verströmen. Fast als wären wir Liebende nicht würdig, ihn zu empfangen und als hätte er den würdigen Empfänger erst im Hassenden und Fluchenden gefunden.
“Wir sollen Gutes denen tun, die uns hassen. Das Gute, das getan werden soll, wird nicht näher umschrieben. Aber es ist klar, daß der Herr das als gut empfindet, was Er selber tut. Daß also das Gute, das wir tun sollen, überall in Einheit steht mit Seinem Guten. Wir sind jetzt Beauftragte, denen die Freiheit gelassen wird, nach unserem Gutdünken das vom Herrn getane und uns gezeigte und übergebene Gute zu verwalten. Dieses Gute sollen wir denen, die uns und Ihn hassen, zukommen lassen. Wir sollen es tun, weil Er auf die Welt kam, um Sein Gutes, Seine Erlösung den Hassenden, das heißt, den Sündern zu bringen. Und wir, die wir durch Seine Gnade zum Glauben gelangt sind, dürfen jetzt, Seiner Weisung gehorchend, Sein Werk in der Ungebrochenheit Seines Erlöserwillens fortsetzen. So wie der Herr aus uns, den Hassenden, Liebende macht, so müssen wir in gleicher Weise Hassende - die zu lieben sind - in Liebende wandeln" (Adrienne v. Speyr, Bergpredigt, Einsiedeln 1948)
Auszug aus “Timor Domini" v. 12.3.01