VISION 20006/2001
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Die heilige Elisabeth v. Thüringen

Artikel drucken Botschaft an uns (Wolfgang Stadler)

Die heilige Elisabeth ist eine der ganz großen Gestalten des Hochmittelalters, eine Persönlichkeit, die auf den ersten Blick nicht leicht zu verstehen ist. Daher ist es wichtig, zu ihrem Verständnis wenigstens einen kurzen Blick in ihre Zeit und in das Umfeld, in dem sie gelebt hat, zu machen. Das 13. Jahrhundert war gekennzeichnet durch Machtkämpfe zwischen Welfen und Staufern und deren Anhängern, durch die unglücklichen Kreuzzüge, die Katastrophe der Zerstörung von Byzanz, durch Intrigen bis hin zum Königsmord und einem enormen Sittenverfall.

Zeitgenössische Berichte zeigen, wie sittenlos die Mächtigen waren: “Die Ritter trieben Jagd, Fischerei, Turniere, Kampfspiele, Frauenliebe und fast alle hielten einfache Unzucht für gar keine Sünde. Jeder Knecht warb um wessen Magd er wollte ..."

Doch es waren nicht nur weltliche Personen, die der allgemeine Sittenverfall erfaßt hatte, sondern auch große Teile des - häufig ungebildeten - Klerus. Die Päpste und die wenigen Bischöfe, die ihr Amt ernst nahmen, hatten größte Mühe, dem zügellosen Treiben vieler Priester Einhalt zu gebieten. Andererseits war es auch eine Zeit großer geistlicher Aufbrüche. Als Beispiele seien die Bekehrung des heiligen Franziskus, die Beginenbewegung in den Niederlanden und die Gründung des Franziskaner- und des Klarissenordens genannt. Aber auch auf die großen Bewegungen der Katharer, Waldenser und Albigenser sei hingewiesen, die - wenn auch irregeleitet - Ausdruck der großen geistlichen Sehnsucht vieler Menschen darstellten. In diese widersprüchliche Zeit wurde Elisabeth gestellt.

Sie wurde 1207 wahrscheinlich in Preßburg als Tochter des ungarischen Königs Andreas II. geboren. Schon als Kleinkind wurde sie, wie es damals in den Herrscherhäusern üblich war, verlobt, und zwar mit dem Sohn des Landgrafen Hermann I. von Thüringen. Im Alter von vier Jahren wurde sie nach Thüringen gebracht und am Hof ihres zukünftigen Mannes erzogen. Als dieser jedoch 1216 starb, bekannte sich der Bruder des Erbprinzen, der spätere Landgraf Ludwig IV., zu ihr und trat in die Verlobungsverpflichtung des verstorbenen Bruders ein.

1221 heiratete er Elisabeth, und damit wurde sie Landgräfin von Thüringen. Diese Ehe war in der damaligen Zeit, besonders in den Herrscherhäusern, eine ungewöhnliche, wenig verstandene Ausnahme, denn es war eine Liebesheirat. Üblich waren Ehebündnisse, die zum Zweck der Vermehrung von Macht und Reichtum geschlossen wurden, Liebe hatte in diesen Ehen keinerlei Bedeutung. Ja, man glaubte sogar (ganz offiziell), daß Liebe und Ehe unvereinbar seien.

Elisabeth, die sich schon als Kind sehr stark zu Jesus hingezogen fühlte, durchbrach mit Billigung ihres Mannes die üblichen höfischen Lebensweisen. “Die selige Elisabeth stand des Nachts häufig zum Gebet auf ..." Sie ignorierte völlig die Etikette der Hofgesellschaft, der sie angehörte; Reichtum, Macht und Würden waren für sie unwichtig. So trug sie in der Kirche nicht einmal das Zeichen ihrer Würde als Landgräfin, ein Diadem, weil doch Christus mit einer Dornenkrone gekrönt worden war. Sie wurde zu einer Provokation, zu einem Ärgernis für die Gesellschaftsschicht, der sie angehörte.

Wäre ihr Mann ihr nicht so vollkommen zur Seite gestanden, wäre ihr das Schicksal, das ihr nach seinem Tod widerfuhr, schon viel früher geschehen: der Haß einer Gesellschaftsschicht, die, abgehoben von jeder Realität des Volkes, das überwiegend in bitterster Armut lebte, die Provokation der Nachfolge Christi, wie Elisabeth sie lebte, nicht ertragen konnte.

Statt auf der Wartburg das höfische Leben zu genießen, wandte sie sich der unvorstellbaren Armut des Volkes zu. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie Siechenhäuser: 1223 in Gotha, im Hungerwinter 1225/26 in Eisenach. Damals plünderte sie regelrecht die landgräflichen Vorratshäuser. Dabei ließ sie es aber nicht bewenden, sondern verkaufte ihre Juwelen und kostbaren Kleider, um die Armen zu unterstützen. Sie besuchte selbst die Kranken und pflegte sie hingebungsvoll, auch wenn diese ekligste Wunden hatten oder aussätzig waren. 1225 unterstützte sie tatkräftig die Ansiedlung der Franziskaner in Eisenach.

Im selben Jahr wurde Konrad von Marburg, eine schwierig einzuordnende Priesterpersönlichkeit, ihr Seelenführer und Lehrmeister, dem sie Gehorsam gelobte. Von ihm wurden ihr unglaubliche Demütigungen bis hin zu Geißelung zugemutet. Selbst das nahm sie hin - war nicht auch Jesus gegeißelt worden?

Es ist übrigens hinreichend bewiesen, daß Elisabeth ihn und sein Wirken ausschließlich als Hilfsmittel in der Nachfolge Christi verstand. Niemals war sie ihm willenlos ausgeliefert, wie manchmal dargestellt wird. Sie, die die franziskanische Armut und ein Leben, das dem Willen Gottes ganz gehorsam sein sollte, anstrebte, hätte entsprechend ihrem Stand auch einen reichen Bischof oder Abt als Seelenführer haben und diesem gehorsam sein können. “Ich glaubte aber, besser zu handeln, wenn ich dem Magister Konrad dieses Gelübde ablegte, weil dieser bettelarm ist. So hatte ich in diesem Leben keine äußere Hilfe zu erwarten." Sie sah in ihm stets den Stellvertreter Gottes und nicht einen Priester, der seine Kompetenzen beträchtlich überschritt.

1227 starb ihr Mann auf dem Kreuzzug, für den er sich 1224 verpflichtet hatte. Damit begann ihr großer Leidensweg. Im Winter 1227/28 wurde sie mit ihren drei Kindern aus der Wartburg vertrieben und fand in einem Schweinestall in Eisenach eine notdürftige Bleibe. Selbst in dieser Situation dankte sie Gott, bat die Franziskaner, das Te Deum anzustimmen, weil Gott ihre Armut angenommen hatte. Nicht einmal von den Armen, denen sie so oft geholfen hatte, erntete sie anderes als Spott und Hohn.

Am Karfreitag 1228 erneuerte sie ihr Gelübde des Gehorsams, entsagte allem, was ihre Welt ausgemacht hatte, sogar ihren eigenen Kindern, die sie fortan nicht mehr als die anderen Kinder dieser Welt lieben wollte. Sie nahm Jesu Wort ganz genau: “Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig."

Im Frühling desselben Jahres wurde sie von ihrer Tante, Äbtissin Mechthild von Kissingen, zu ihrem bischöflichen Onkel nach Bamberg gebracht, der versuchte, neue Ehepläne für sie zu schmieden. Elisabeth lehnte nicht nur ab, sondern drohte auch mit Selbstverstümmelung, sollte man Zwang auf sie ausüben.

Nun nahm der Papst selbst, Gregor IX., sie unter seinen Schutz, bestellte den Magister Konrad zu ihrem Defensor, der wenigstens von der Verwandtschaft die Herausgabe des Witwentums Elisabeths erreichte. Damit gründete sie nach ihrer Übersiedlung in Marburg das Franziskushospital, in dem sie bis zu ihrem Tod am 17. November 1231 in Askese lebte und die Kranken pflegte.

1232 wurde das Verfahren für ihre Heiligsprechung eingeleitet - und hier begann gegen sie der letzte böse Streich ihrer Verwandten aus dem landgräflichen Haus. Man erkannte plötzlich die Nützlichkeit und politische Bedeutung, eine Heilige in der Verwandtschaft zu haben, und setzte sich (ausschließlich deswegen) energisch für ihre Kanonisation ein. Zudem wurde für die Gebeine Elisabeths ein so prunkvoller Schrein in Auftrag gegeben, daß damit für viele Jahrzehnte den Armen hätte geholfen werden können, hätte man sich nach dem Willen Elisabeths gerichtet. So wurde sogar nach ihrem Tod ihre Sehnsucht nach franziskanischer Armut mißachtet und pervertiert für andere Interessen mißbraucht.

Elisabeths Leben war keineswegs romantisch, und es ist jenseits aller süßlichen Rosenwundergeschichten für uns sicher nur schwer zu verstehen. In vielen Punkten gleicht sie zwar einer Mutter Teresa, unterscheidet sich jedoch nachhaltig dadurch, daß ihre Herkunft, ihr Stand einen gewaltigen Abstand von der Realität des Elends, in das sie voll Freude und Liebe hinabstieg, darstellten.

Ihre Nachfolge Christi war eine unbedingte und uneingeschränkte, indem sie sich kompromißlos gegen den Zeitgeist und die ihrem höfischen Stand angepaßte Lebensweise stellte.

Das ist auch ihre Botschaft an uns: Wir werden vielleicht nicht ihren Weg zu den Armen in ähnlich radikaler Weise gehen können. Die von ihr gelebte Caritas ist wohl den meisten Menschen zu schwer. Aber sich Schritt für Schritt gegen den vom Materialismus geprägten Zeitgeist stellen, den Egoismus in sich bekämpfen und so immer mehr in die Nachfolge Christi hineinzuwachsen - dazu ist jeder Mensch aufgerufen, der das Evangelium kennengelernt hat und es ernst nehmen will.

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