Ich finde es jedes Jahr erstaunlich, mit welcher Begeisterung die ganze Welt Weihnachten feiert. Auch Nicht-Christen haben das Bedürfnis, dieses Fest zu begehen. Weihnachten war auch diesmal wieder eine Art Weltsupermegafest…
Darüber dürfen wir Gläubige uns einerseits freuen. Auf der anderen Seite finde ich es bedenklich, dass immer weniger Christen wissen, was sie da eigentlich feiern. Vielleicht wissen sie noch in den dämmrigen Regionen ihres Bewusstseins, dass es sich um die „Geburt Christi“ handelt. Aber warum ist diese Geburt eines Kindes im Judäa zur Zeit des Königs Herodes I. in der Regierungszeit des Kaisers Octavianus Augustus so etwas Besonderes? Menschen werden durch die Jahrhunderte und Jahrtausende zu Millionen und Milliarden geboren. Warum ist die Geburt Jesu Christi ein Grund, es mit der ganzen Welt zu feiern?
Zunächst einmal fasziniert das Weihnachtsfest, weil hier etwas Urnatürliches und Urmenschliches begangen wird. Von Natur aus sind wir Menschen ja vom Strahlen der Sonne abhängig und Weihnachten liegt nicht von ungefähr um die Zeit der Wintersonnenwende. Nicht Christen haben das Feiern zu dieser Jahreszeit erfunden, sondern hier stoßen wir auf ein kollektives Bedürfnis des Menschen, den Sieg des Lichtes über die Finsternis zu feiern.
Nach dem 21. Dezember, dem kürzesten Tag mit der längsten Nacht, gewinnt die Sonne wieder Kraft. Die Griechen feierten da den Gott Helios, die Römer den unbesiegbaren Sonnengott, den „Sol Invictus“. Im heidnischen Rom feierte man das große Winterfest vom 17. Dezember bis zum Neujahrstag zu Ehren von Saturn, dem Gott des Ackerbaus, die „Saturnalien“. Allmählich wurde diese Feierlichkeit zur Rechtfertigung für zügellose Lustbarkeiten und Festgelage.
Schon bei den Römern übrigens wurden zu diesem heidnischen Winterfest Freunde und Kinder beschenkt, die Häuser mit Efeu, Stechpalmen- und Mistelzweigen geschmückt und jegliche Arbeit war verboten. Es steckt auch heute, wo wir nicht mehr so unmittelbar von der Gunst der Natur abhängig sind, tief in uns, die Sonnenwende zu feiern, die uns der Wärme und dem Licht des Frühlings näher bringt.
Die Bibel gibt uns ja bekanntlich keine Auskunft über Datum und Jahreszeit der Geburt Christi. Und darum war es erst relativ spät, dass die Christen das heidnische Wintersonnenwendenfest „getauft“ haben. Das war im 4. Jahrhundert und ist unmittelbar verbunden mit der sogenannten konstantinischen Wende.
Über 300 Jahre lang waren die Christen von den Römern verfolgt worden. Die Römer waren Polytheisten. Sie verehrten einen ganzen Haufen von Göttern und hatten auch keine Schwierigkeiten, neue Gottheiten aus eroberten Ländern zu importieren. Es ist ja ziemlich egal, ob man 45 oder 53 Götter verehrt… Seit Julius Cäsar wurde fast jeder Herrscher nach seinem Tod „vergöttlicht“… Mit diesem bunten Sammelsurium phantasievoller Göttergestalten war das Gottesbekenntnis der Christen nicht vereinbar. Viele Christen gingen in das Martyrium, die letzte Welle der Christenverfolgung inszenierte noch 304 Kaiser Diokletian. An seinem Hof war bereits ein junger Mann namens Konstantin erzogen worden.
Wie sehr Konstantin bereits vorher von Christus wusste, ob seine Mutter Helena ihn oder er sie zum Glauben geführt hat, darüber rätseln die Historiker. Tatsache ist, dass es vor genau 1.700 Jahren, am 28. Oktober 312, im Norden Roms an der Milvischen Brücke über den Tiber zu einem weltverändernden Ereignis kam. Konstantin ist dabei, nach der Alleinherrschaft im römischen Imperium zu greifen, doch Rom ist von seinem Widersacher Maxentius besetzt. Die Truppen Konstantins sind zahlenmäßig weit unterlegen, von langen Kämpfen und Märschen erschöpft.
Doch dann greift der Himmel ein: Eusebius berichtet, dass Konstantin vor der Schlacht ein Kreuz aus Licht über der Sonne gesehen habe und dazu die Worte hörte: „In Hoc Signo Vinces“ (in diesem Zeichen wirst du siegen). Nach dem anderen Bericht des Lactantius war es nicht das Kreuz, sondern das Christuszeichen XP, das sogenannte Chi-Rho. Wie dem auch sei: Konstantin lässt die Christussymbole an den Schilden seiner Soldaten anbringen und am nächsten Tag geschieht das Unvorstellbare und Unerwartete: Konstantin siegt, Maxentius ertrinkt im Tiber und Konstantin ist Kaiser. Am nächsten Tag, dem 29. Oktober, zieht er im Triumph in Rom ein. Freilich zieht er nicht mehr zum Kapitol hinauf, um dem heidnischen Jupiter das übliche Siegesopfer darzubringen. Konstantin hat einen anderen Gott als den wahren und wirksamen erkannt: Jesus Christus…
Kurz danach erlaubt Konstantin im Toleranzedikt von Mailand von 313 den Christen die freie Religionsausübung; am Ende seines Lebens wird er selbst sich taufen lassen und damit das christliche Kaisertum begründen. Die konstantinische Wende ist ein Einschnitt in der Weltgeschichte, die Grundlage des Aufstiegs Europas.
Die Historiker gehen davon aus, dass die Gesetzgebung Konstantins in vielen Bereichen christlich motiviert ist: Er schafft die Kreuzigungsstrafe ab. Niemand soll mehr so qualvoll sterben müssen wie Christus. Er schafft die Gladiatorenspiele ab. Er schenkt dem Bischof von Rom, Papst Silvester I., seinen eigenen Palast, den Lateranpalast. Dieser ist bis heute der offizielle Amtssitz der Päpste. Er erbaut über den Begräbnisstätten der Apostel Petrus und Paulus sowie einiger Märtyrer riesige Basiliken, ebenso in Jerusalem die Grabeskirche über dem Ort, wo Christus gestorben und auferstanden ist. Und er ordnet an, dass der Tag, an dem die Christen die Auferstehung Christi feiern – das ist der Tag nach dem jüdischen Sabbat, der Sonntag – arbeitsfrei ist. Dieser „Dies Solis“, Tag der Sonne, ist fortan ein Christustag, denn Christus ist die Sonne der Gerechtigkeit. Schon als er noch Heide war, hatte Konstantin wohl den „unbesiegbaren Sonnengott“ verehrt; die Schlacht an der Milvischen Brücke hatte ihn davon überzeugt, dass Christus dieser machtvolle Sonnengott ist.
Christen hatten mit dieser Gleichsetzung kein Problem, denn in der Bibel nennt sich Christus selbst das „Licht der Welt“ (Johs 8,12); er ist das erwartete „Licht, das die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32). Der arbeitsfreie „Sonnen-Tag“ ist also ein Geschenk des ersten christlichen Kaisers, das älteste immaterielle Kulturgut der Welt. Für gläubige Christen hat der Sonntag den Zweck, sich dem Licht der göttlichen Sonne Jesus Christus durch die Mitfeier der Heiligen Messe auszusetzen und Kraft zu tanken.
Nach Konstantin beginnen die Christen nun sehr rasch, heidnischen Bräuche zu „taufen“. Welches Fest wäre geeigneter, um die Geburt Christi zu feiern als die Wintersonnenwende. Christi Geburt ist Einbrechen des göttlichen Lichtes in diese Welt. Darin liegt etwas zutiefst Theologisches: Denn das Kind, das da geboren wird, ist ja kein gewöhnlicher Mensch, sondern es ist der menschgewordene Gottessohn.
In der Feier von Weihnachten lag immer auch das Bekenntnis zur Göttlichkeit Christi. Denn kaum hatte Konstantin den Christen die Freiheit gegeben, kam es zur schlimmsten internen Krise der Kirche seit den Aposteln: Der ägyptische Theologieprofessor Arius behauptete, dass der Sohn (das Wort, der Logos) nicht wahrer Gott von Ewigkeit sei, sondern nur ein Geschöpf. Dann wäre Jesus Christus nur ein besonderer, von Gott begnadeter und beglaubigter Lehrer; ein Prophet; ein religiöser Bote…
Die Kirche hat auf die Irrlehre des Arius reagiert. Auf die Initiative von Kaiser Konstantin hin kamen 325 in Nizäa die Bischöfe zusammen; diese Versammlung gilt als das 1. Ökumenische Konzil. Die 318 versammelten Bischöfe formulierten das „Große Glaubensbekenntnis“ (Gotteslob 356): Jesus Christus ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, eines Wesens mit dem Vater“. Er ist „gezeugt, nicht geschaffen“, er ist Gott von Ewigkeit, der in der Zeit Mensch geworden ist aus der Jungfrau Maria.
Nochmals: Das ist der eigentliche Grund, warum die Christen nach der konstantinischen Wende begonnen haben, Weihnachten zu feiern. Weil man den wahren „katholischen“ Glauben von Nizäa ausdrücken wollte: Das Kind in der Krippe ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern die göttliche Sonne, die in Menschengestalt in dieser Welt erschienen ist.
Übrigens: Im 19. Jahrhundert sind die Arianer in Gestalt der Zeugen Jehowas wieder auferstanden. Diese vertreten tatsächlich in Bezug auf Jesus Christus ziemlich genau die Irrlehre des Arianismus: Jesus Christus sei bloß ein gewöhnlicher Mensch, der Name „Gottes Sohn“ sei nur eine Ehrenbezeichnung wie sie allen Menschengeschöpfen zukommt. Darum gäbe es auch keinen Grund, die Geburt Christi zu feiern. Tatsächlich lehnen die Zeugen Jehovas das christliche Weihnachtsfest heftig ab…
Das sollte uns Gläubigen zu denken geben! Wir Christen müssen Weihnachten auch dazu nützen, unseren Glauben an die Gottheit Christi zu erneuern. Wir brauchen heute ja ein Bekenntnischristentum, einen Glauben, der wirklich weiß, was er glaubt. Kaiser Konstantin hat vor 1700 Jahren eine große Gnade empfangen, als ihm das leuchtende Kreuz bzw. das Christusmonogramm erschienen war und Gott ihm den Sieg zusagte. Wir Christen sollen Weihnachten als Bekenntnis zu dem göttlichen Glanz feiern, der uns in Jesus Christus aufgestrahlt ist. In diesem unserem Bekenntnis liegt auch die Zusage eines Sieges. Wir müssen unseren Glauben an die Gottheit Jesu Christi, an Seine göttliche Kraft und Wundermacht erneuern. Weihnachten wollte uns dazu helfen. Wenn wir Jesus Christus nicht mehr als „Gott“ im Vollsinn des Wortes von Ewigkeit her glauben, dann wären wir keine Christen mehr.
Und warum sollten sich Wunder wie das von der Milvischen Brücke am 28. Oktober 312 nicht heute wiederholen? Wenn wir wie Konstantin auf Christi göttliche Kraft vertrauen, warum sollte nicht auch uns die Zusage gelten: „In hoc signo vinces! In diesem Zeichen – im Zeichen des Kreuzes Christi – wirst du siegen!“
Der Autor ist Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz.