Nach einer schwierigen Kindheit landet Levet schließlich im Gefängnis: Beginn eines Verbrecherlebens… Als er eben mit Kumpeln eine Bank in Laval knacken will, läuft im ein Priester im Talar über den Weg. Er lacht ihn aus. Dieser aber hat Humor, gibt ihm seine Adresse und bleibt so mit ihm in Kontakt. Nach einer internationalen Karriere als Verbrecher, vielen Verurteilungen,einem gelungenen Gefängnisausbruch landet er schließlich im Hochsicherheitsgefängnis, das Urteil: 15 Jahre Kerker. André erinnert sich:
Ich werde lange Monate, lange Jahre an diesem Ort verbringen. Aber es gibt da einen, der mir nachgefolgt ist, mein guter Pfarrer. Einmal im Monat schreibt er mir einen Brief, spricht dabei nicht viel von Gott, nur ein Wort oder zwei. „André, denk an Gott!“ oder „André, Gott lebt.“ Einmal habe ich mich beschwert: „Ich gehe in meiner Zelle im Kreis. Ich sehe nichts als meine vier Wände.“ Darauf antwortet er mir: „Ich schicke Dir einen großen Schmöker. Ihn kannst du während deiner ganzen Gefangenschaft lesen, aber auch wenn du freikommst…“
Der Schmöker kommt zu guter Letzt: Vier, große, gebundene Evangelien. Der Aufseher, der sie mir bringt, nimmt sich in Acht. Ich war so bösartig, dass sich jeder vor mir fürchtete „Lies das, vielleicht macht es dich erträglicher“, sagt er bei der Übergabe. „Hast du das Buch schon aufgemacht“, fragt mich der Pfarrer später einmal. Natürlich nicht. „Um was geht es denn darin?“, wollte ich wissen. „Es handelt von Gott“, war die Antwort „Da hat mir der Pfarrer seinen Herrgott in die Zelle geschmuggelt“, dachte ich.
*
Nach Jahren – ich drehe in der Zelle meine Runden, da ich keine Fluchtmöglichkeit habe – fällt mir wieder das Buch ein. Und so fordere ich diesen Jesus heraus. „Wenn es dich wirklich gibt, wenn du all das, was in diesem Buch steht, auch wirklich tust, gut, dann komm mich besuchen. Ich schlage dir ein Rendez-vous vor: Komm heute um zwei Uhr nachts. Diskutieren wir! Und wenn du wirklich so stark bist, will ich nur eins von dir: öffne dieses Gitter und ich hau' ab.“
Dieser Jesus, den ich zum Komplizen meiner Flucht machen wollte, wird mir antworten, und ich werde mit Ihm fliehen – aber in meinen vier Wänden bleiben. Und das kam so: In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni, es war im Jahr 1960, schlafe ich wie üblich mit Blick auf meine Gitterstäbe ein. Ich schlafe tief. In dieser Nacht rüttelt mich jemand aus dem Schlaf auf. Ich springe aus dem Bett, bereit, den Eindringling niederzuschlagen. Aber da ist niemand.
Da höre ich folgende Worte, die tief in mir widerhallen, ganz stark in meinem Inneren, wie in einem Tunnel: „Es ist zwei Uhr, André, wir haben ein Rendez-vous!“ Ich mache einen Satz zur Zellentür, der Aufseher kommt und ich sage: „Warum pflanzt du mich?“ Er darauf: „Ich habe kein Wort gesagt.“ So frage ich: „Wie spät ist es?“ – „Zwei Uhr“ – „Was, zwei Uhr?“ – „Punkt zwei.“
Mir bleibt keine Zeit zum Nachdenken, die Stimme meldet sich wieder, stärker noch in meinem Inneren: „Ich bin dein Gott, der Gott aller Menschen.“ Ich balle die Faust, schreie: „Wie kannst du in meinen Ohren sprechen, wo ich dich nicht sehe, dich nicht kenne! Wer bist du? Lass mich in Ruh', verschwind – oder zeig dich!“
Da sehe ich – dort bei den Gitterstäben, die ich mir immer gesprengt ausmalte, um freizukommen – ein herrliches Licht. Worte reichen nicht, um es zu beschreiben. Die Decke ist weg, ebenso die Wände – in meiner Zelle war der Himmel eingekehrt. Und in dem Licht ein Mann, den ich nicht kenne, niemals gesehen habe. Er zeigt mir seine durchbohrten Hände, seine durchbohrten Füße, seine geöffnete Seite. Und ich höre da in meiner Zelle die Worte, sie gehen mir durch und durch: „Das ist auch für Dich.“
Im selben Moment fällt es wie Schuppen von meinen Augen. (…) Blitzartig begreife ich, dass ich ein Sünder bin und dass Er der Retter ist! Zum ersten Mal in meinem Leben beuge ich den Nacken und falle auf die Knie. Zum ersten Mal in meinem Leben weine ich, zum ersten Mal will mich jemand lieben! Und von zwei bis sieben Uhr morgens, bis zur Öffnung der Zellen, in diesen fünf Stunden trete ich auf den Knien den Rückweg durch all das Böse, das ich getan hatte, an, damit es aus mir herausplatze wie ein überreifes Abszess. 37 Jahre lang war ich der Nagel in Seinen Händen, in Seinen Füßen gewesen. Jeden Tag meines Lebens hatte ich die Lanze in die Hand genommen, um Ihn zu durchbohren... Und da, vor Ihm, mit gesenktem Haupt habe ich um Verzeihung gebeten! Der Aufseher, der Direktor, sie haben fast durchgedreht: „Aha, er lenkt uns ab, er will abhauen!“ Und sie hatten recht, ich hatte das Weite gesucht. Es war meine letzte Flucht. Ich bin mit Jesus durchgebrannt!
André Levet
Auszug aus einem Vortrag auf dem Kongress „Apôtres pour l'An 2000“ in Versailles 1988.