Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt…, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf,“ lesen wir im Johannes-Evangelium. Den Juden ist es offenbar ähnlich gegangen wie uns Menschen im 21. Jahrhundert. Ihn, den Mensch gewordenen Gott wirklich an- und aufzunehmen, ist eben zu jeder Zeit schwierig, aber die Herausforderung schlechthin.
Fragen wir zunächst: Was erschwert uns Christen heute diese Begegnung mit Jesus als Sohn Gottes? Ich denke, dass sich immer noch viele Christen, insbesondere viele Katholiken, wenn es um ihren Glauben, wenn es um Gott geht, in der Defensive fühlen. Über uns gingen ja jahrzehntelang Fluten des Fortschrittsglaubens hinweg. Rationales, weltliches Denken gab den Ton an. Die Kirche galt als Hort eines veralteten Denkens, das die Zeit hinter sich gelassen hatte. Um die Welt rund um uns zu verstehen, ihre staunenswerte Vielfalt, Schönheit und Lebensträchtigkeit, brauche man Gott nicht, erklärten uns die Darwinisten.
Ja, zur Feier besonderer Anlässe gab die Kirche durchaus noch einen feierlichen Rahmen ab. Ihre Feiertage waren geschätzte Gelegenheiten der Erholung, das Weihnachtsfest eine Gelegenheit die Umsätze zu steigern. Aber ihre Lehre…
Da waren dann viele Christen selig, als östliche Spiritualität bei uns salonfähig wurde und New Age Meditation und Geistheilung unter die Leute brachte. Endlich nicht mehr nur der reine Materialismus! Man durfte wieder über das Göttliche, über Engel, ja über Gott sprechen! Ein Aufatmen ging durch die Reihen der Christen. Im falsch verstandenen Dialog der Religionen bestärkte man sich gegenseitig, wie wichtig es sei, Gott nicht aus den Augen zu verlieren – und man richtete sich in der Überzeugung ein, jeder habe eben so seine ganz eigenen Vorstellungen von Gott. Genaues könne man ohnedies nicht wissen. Über Jesus zu sprechen, war auf diesem Hintergrund nicht wirklich opportun, es sei denn man begnügte sich damit, Ihn als einen der vielen großen religiösen Genies zu präsentieren, neben Buddha, Mohammed, Mahatma Ghandi…
Mit Vehemenz und großer Überzeugungskraft die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu verkünden, wurde auch durch Folgendes erschwert: Rund um das Weihnachtsfest hatte sich eine fromme Tradition entwickelt: Im Vordergrund standen Stall und Krippe, Esel und Ochs, die putzigen Englein und bärtigen Hirten. Liebliche Geschichten umrankten das Geschehen, Karl Heinrich Waggerl und Co…
Da auch die weniger Gläubigen diese Tradition gern mitfeiern, besteht die Gefahr, das Geschehen auf dieser, die Sentimentalität des Menschen berührenden Ebene abzuhandeln, dort hängen zu bleiben. Dazu gesellen sich die Sternsinger, die als Heilige drei Könige durch Städte und Dörfer ziehen und Geld für Projekte in der Dritten Welt sammeln, Projekte, die man übrigens eher mit Entwicklungshilfe in Verbindung bringt, und nicht unbedingt mit Mission.
Und so wandert dieses welterschütternde Ereignis der Geburt Gottes als Kind in Bethlehem in den Bereich des Mythos: erhebend, zu Herzen gehend, aber nicht wirklich den einzelnen Gläubigen und die Welt bewegend.
Und noch etwas: Wie vielen Menschen ist nicht durch die modernistische Theologie die Freude am Wunder von Bethlehem abtrainiert worden? Die Kindheitsgeschichte bei Lukas – fromme Legenden, hieß es. Stimmt auch nicht mit dem überein, was Matthäus berichtet. Kein historischer Background, so der Befund. Ähnlich wurde bezüglich der Auferstehung argumentiert: Kein historisches Ereignis, eine Erzählung, die plausibel machen sollte, warum die „Sache Jesu“ auch nach dessen Tod weitergegangen sei. Erst viele Jahrzehnte später hätten die christlichen Gemeinden aus dem Sohn des Zimmermanns Joseph einen Gottessohn gemacht.
Ich kann mich noch gut an eine Heilige Messe in unserer Pfarre erinnern, es war vor Jahrzehnten: „Heute kann man nicht mehr sagen, Jesus sei Gott gewesen,“ wies der Pfarrer vor versammelter Gemeinde einen Firmhelfer, der dies seinen Schützlingen verkündet hatte, zurecht. Ich traue meinen Ohren nicht. Das geht zu weit. Also stehe ich auf und mache die Anwesenden darauf aufmerksam, dass wir gerade das feierlich im Glaubensbekenntnis bekennen, worauf mir der Pfarrer antwortet: „Da hat sich schon einiges geändert und es wird vieles noch anders werden…“
Dazu noch eine andere Erfahrung etwa zur selben Zeit: Bei einem Gespräch mit einem guten Freund aus unserer Familienrunde, erklärt mir dieser, er sei nach längerer Beschäftigung mit dem Thema und Gesprächen mit seinem Pfarrer zu der Erkenntnis gekommen, Jesus sei wahrscheinlich der leibliche Sohn Josephs gewesen. „Das macht für mich keinen Unterschied.“
Schock! Jesus, nur ein Mensch wie Du und ich…! Ich war damals ein relativ frisch bekehrter Katholik, also leicht zu verunsichern. Aber eines war mir klar: Wenn Jesus Christus nicht wahrer Mensch und wahrer Gott ist, dann kehre ich zu meinem früher praktizierten Agnostizismus, zu meiner dumpfen Gleichgültigkeit in religiösen Fragen und zu meiner Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit zurück. Wenn die Geburt Jesu nicht wirklich den Angelpunkt der Weltgeschichte darstellt, den Zeitpunkt, ab dem alles neu geworden ist, weil sich Gott in unüberbietbarer Weise geoffenbart hat, dann interessiert mich das ganze Drumherum auch nicht.
Im nachhinein danke ich dem Pfarrer und dem Freund für die damalige Infragestellung, weil sie mich gezwungen hat, in dieser Frage für mich Klarheit zu schaffen. An ihrer Beantwortung hing die Zukunft meines Glaubenslebens.
Also habe ich mich auf die Suche gemacht, die Heilige Schrift gelesen, unzählige Bücher, habe die Zeugnisse von Heiligen und von gläubigen Zeitgenossen verschlungen… Erste Erkenntnis: Ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit den Schriften des Neuen Testaments in den letzten Jahrzehnten zeigt eindeutig: Die Texte sind bald nach der Auferstehung des Herrn von Zeitzeugen verfasst worden. Sie beschreiben historische Ereignisse, sind gut recherchiert. „Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben,“ hält Lukas am Beginn seines Evangeliums fest (1,3). Und bei Johannes findet man: „Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“ (Joh 21,24) Sollte das nur ein literarischer Trick sein? Wenn ja: Dann kann man den ganzen Rest auch vergessen.
Fazit: Die Evangelien, die Apostelgeschichte sind absolut glaubwürdige Berichte vom wichtigsten Ereignis der Weltgeschichte, der Menschwerdung Gottes und dessen Folgen. (Siehe auch Beitrag Seewald S. 12) Und daher verdienen diese Texte größte Aufmerksamkeit. Wir Katholiken kennen die Heilige Schrift jedoch meist nicht gut genug. Sobald man aber darauf achtet, was sie über Jesus sagt, verfliegen alle Zweifel. Es genügt, den Johannes-Prolog (Joh 1,1-17) zu lesen: „Das Wort war Gott… und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.,“ „der Einzige der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht,“ „Johannes legte Zeugnis für ihn ab…“ Und an anderen Stellen des Johannes-Evangeliums: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9), „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30), „Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58)…
Wer sich von den Worten der Schrift nicht überzeugen lässt, dem müsste wenigstens die weitere Geschichte zu denken geben: Kann man sich anders als durch die Herabkunft des Heiligen Geistes, den der Auferstandene Seinen Jüngern verheißen hat, die radikale Umwandlung der Apostel erklären? Ein verschreckter Haufen einfacher Männer, die zu redegewandten, todesverachtenden Verkündern des Reiches Gottes werden? „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen,“ erklärt Petrus, der wenige Wochen zuvor Jesus verleugnet hatte, dem Hohen Rat, der die Kreuzigung Jesu betrieben hatte.
Innerhalb nur weniger Jahrzehnte haben die Botschafter des Evangeliums den größten Teil der damals bekannten Welt erreicht (siehe auch Beitrag S. 20-21). Sie haben unfassbare Strapazen, Entbehrungen, Gefahren auf sich genommen. Viele sind für die Verkündigung der Botschaft von der Menschwerdung Gottes, von der Vergebung der Sünden, der Auferstehung von den Toten in den Tod gegangen. Drei Jahrhunderte lang haben unzählige Christen den Märtyrer-Tod für den Namen Jesu erlitten. Ein Zeugnis übrigens, das durch die zwei Jahrtausende, die seit der Menschwerdung vergangen ist, von Millionen von Christen gefordert wurde und das weiter erbracht wird.
Dafür gibt es nur eine Erklärung: All diese Menschen haben in Jesus den erkannt, der allein „Worte des ewigen Lebens“ hat (Joh 6,68). Er ist der Angelpunkt der Geschichte. Nach Ihm wird die Zeit berechnet: vor Christus, nach Christus – auch wenn neuerdings versucht wird (vom englischen Mediengiganten BBC oder von der australischen Regierung), „Before“ bzw. „After Common Era“ zu forcieren.
Wir können gar nicht dankbar genug für die Menschwerdung Gottes sein. Sie ist der einzige Fixpunkt für den nach Wahrheit suchenden Menschen. Das war auch die befreiende Erkenntnis, die mir bei meiner Umkehr geschenkt worden war: Bei Jesus bist du an der Quelle. Indem Er selbst Mensch geworden ist, hat sich Gott in unüberbietbarer Weise kundgetan. Besser geht es nicht. Bei Jesus finden wir alles, was wir brauchen: Liebe, Annahme, Wahrheit, Wegweisung, Vergebung, Hoffnung auf ewiges Leben… Papst Benedikt XVI. hat dies eindrucksvoll bei seinem Österreichbesuch in Mariazell so ausgedrückt: „Wir brauchen Gott, den Gott, der uns Sein Gesicht gezeigt und Sein Herz geöffnet hat: Jesus Christus. Johannes sagt von ihm zu Recht, dass er der einzige ist, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht.“ (siehe Kasten S.9)
Ihn, Jesus Christus, müssen wir im „Jahr des Glaubens“ verkünden. Er ist „das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Offb 22,13), Er ist der Herr!
Christof Gaspari