VISION 20001/2012
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Lasst euch nicht von der dauernden Kirchenkritik irritieren!

Artikel drucken Einige Klarstellungen zu zeitgenössischen Polemiken (Wolfram Schrems)

Seit Jahrzehnten gefällt sich ein Großteil der Medien darin, an der Katholischen Kirche herumzukritisieren. Immer wieder die selbe, meist (pseudo-)wissenschaftlich, religiös oder (pseudo-)phi­losophisch begründete Polemik. Selbst fundierte Ge­gen­dar­stel­lungen werden kon­sequent ignoriert. Daher lohnt es sich kaum, auf alle vor­gebrach­ten Punkte im Detail ein­zugehen. Im Folgenden aber einige grundsätzliche Gedanken.

Drei grundsätzliche Überlegungen sollen verunsicherten oder aufgebrachten Katholiken helfen, in dem Wust der zeitgenössischen Polemik deren Unhaltbarkeit zu erkennen und das Wesentliche der Kirche neu zu verstehen. Vielleicht fühlt sich auch der eine oder andere berufen, in seinem eigenen Umfeld zu gegebenem Anlass selbstbewusst zum Gegenangriff überzugehen. Die erste Überlegung ist eine geschichtliche Beobachtung:

Die Kirche ist
Kulturträger
Was heute in der trivialen und auch „intellektuellen“ Literatur geflissentlich übersehen wird, ist, dass die Katholische Kirche die Zivilisation nicht nur geprägt, sondern erst hervorgebracht hat – nicht nur in Europa, sondern über­all, wo sie geschichtsmächtig geworden ist. Ohne die Kirche wäre „Europa“ immer noch eine Ansammlung verschiedener Barbarenvölker, die vielleicht von einer militärischen Großmacht mehr oder weniger grausam beherrscht werden.
Man darf sich hier keiner Illusion hingeben: Die Kulturen der vorchristlichen Zeit, von Ägypten über Rom bis zu den Azteken beispielsweise waren nicht das, was wir unter „Zivilisation“ verstehen. Denn das Leben des einzelnen Menschen war nichts wert. Sklaverei, Gladiatorentum, Menschenopfer und Völkermorde waren eben konstitutive Bestandteile dieser Systeme. Erst die kirchliche Zivilisation konnte das – mehr oder weniger gründlich – zurückdrängen.
Angesichts der allgegenwärtigen und maßlos übertriebenen Polemik gegen Inquisition und Kreuzzüge und angesichts der unreflektierten kollektiven „Heiligsprechung“ der Ketzer ist das heutzutage selbst ein gleichsam ketzerischer Gedanke. Wir sind heute darüber hinaus sowohl an eine vage Vorstellung vom „edlen Wilden“ als auch an die Idee eines automatischen Fortschritts gewöhnt. Nichts könnte abwegiger und unhistorischer sein.
Besonders was den „Fortschritt“ betrifft: In der Geschichte gibt es keine den Naturgesetzen vergleichbaren Gesetze, jedes Geschehen ist einmalig, keine positive Errungenschaft ist selbstverständlich. Ohne die Verkündigung des Evangeliums und die Ausbreitung der Kirche wäre kein Volk zu einer wahrhaften Zivilisation gekommen. Das sollten die Kirchenkritiker bedenken. Denn auch sie leben von den Restbeständen der christlichen Kultur und zehren von den zivilisatorischen Verdiensten der Kirche.
Um diesen Gedanken abzu­schließen: Man stelle sich nur einmal vor, einem Volk würde nie die Vergebung der Sünden verkündigt. Man stelle sich vor, in einer Gesellschaft gäbe es keinen Begriff von Vergebung und Verzeihung, sondern „Vergeltung ist euch vorgeschrieben“ (wie im Islam). Es lässt einen erschaudern. Das sollten besonders diejenigen bedenken, die aus gut versorgten beruflichen Positionen eine illusorische „Gleichheit aller Kulturen“ verkündigen. Damit kommen wir zum zweiten Punkt:

Die Kirche lebt in historischen Umständen
Die Situation des Menschen ist, wie sie ist. Der Mensch empfand sich immer als ein Wesen in einem vage empfundenen Unheilszustand, der nicht ohne weiteres zu ändern ist. Er ist vielen Zwängen ausgesetzt, die seine Freiheit und Verantwortung zwar nicht aufheben aber beschränken. Das übersehen alle diejenigen, die – verstärkt in unseren Tagen – dem Papsttum „Verstrickung in die Politik“ vorwerfen.
Natürlich befinden sich die Entscheidungsträger, nicht nur Papst und Bischöfe, sondern jeder einzelne Christ und jeder Mensch in einer Situation historischer Bedingtheiten. Es soll nicht bestritten werden, dass viele Entscheidungsträger Fehler gemacht oder vorsätzlich gesündigt haben. Es muß aber darauf hingewiesen werden, dass z. B. eben das Papsttum in seinen Entscheidungen vielen Einflüssen und fremden Interventionen ausgesetzt war. Der Papst musste z.B. im 16. Jahrhundert zwischen dem Kaiser, dem französischen König und dem römischen Adel manövrieren, bei gleichzeitigen dauernden Angriffen der islamischen Heere.
In historisch bedingten Situationen, und andere gibt es nicht, ist es nicht immer einfach, dem Guten in vollkommener Form zum Sieg zu verhelfen. Politik ist nun einmal ein Bestandteil des menschlichen und des kirchlichen Lebens.
Völlig unpassend ist daher der protestantische Vorwurf der Politisierung gegen die Kirche Roms, wo doch Luther selbst seine Anhängerschaft der Willkür der Landesfürsten ausgeliefert hat. Die lutherischen Staatskirchen, der Terror im Genf Calvins, die kriegerischen Experimente der Hussiten und Wiedertäufer und die Anglikanische Staatskirche belegen nur, dass die von Rom getrennte Christenheit viel leichter zum Spielball weltlicher Mächte wird, als das im Papsttum jemals der Fall war. Bei allem Ungenügen und bei allen Fehlern, sicherlich, aber „die Wahrheit liegt in der Proportion“, wie der große englisch-französische Historiker Hilaire Belloc (gest. 1953) sagte.
Wir können also den Kritikern zu Bedenken geben (wenn sie denn überhaupt zuhören wollen): Das göttliche Wort nimmt in einer bestimmten geschichtlichen und geographischen Situation die menschliche Natur an. Genauso ist es mit der von ihm gegründeten Kirche. Den göttlichen Auftrag unter den Bedingungen der gefallenen Menschheit umzusetzen, ist nicht einfach. Fragen wir aber die Kritiker, was sie und ihre ideologischen Ideengeber in der Geschichte geleistet oder vielmehr angerichtet haben. Der Vergleich wird manches relativieren.
Hier stellen wir uns noch einer Frage: Warum gestaltet die Kirche die Gesellschaft und Kultur im Geist des Evangeliums? Weil sie die Wahrheit hat. Das leitet zum dritten Punkt über:

Das Zeugnis der
Kirche ist wahr.
Der Kern der kirchlichen Botschaft ist die wirkliche, leibliche und geschichtliche Auferstehung Jesu Christi. Durch diese wird seine Sendung von Gott bestätigt. Das Zeugnis der Auferstehung ist bei einigem guten Willen leicht als wahr erkennbar: Diejenigen, die den Auferstandenen gesehen haben, haben innerhalb von etwa 30 Jahren weite Teile der Welt mit ihrer Botschaft erreicht.
Es wäre vollkommen unglaubhaft, anzunehmen, die Schüler eines gescheiterten und nunmehr toten galiläischen Wanderpredigers hätten enorme Strapazen und ein ungewisses Schicksal, bzw. ein fast sicheres grausames Martyrium auf sich genommen.
Die im 20. Jahrhundert so beliebt gewordene Abwertung der Apostelgeschichte und der späteren Zeugnisse ist unglaubwürdig und unhistorisch. Die Ausbreitung der Kirche im Mittelmeerraum zu Zeiten der Apostel Petrus und Paulus ist hervorragend bezeugt.
Bezeugt ist auch das Auftreten von vier Jüngern des Zwölferkreises auf dem Gebiet des heutigen Iran und Armenien. (Die persische Kirche hat diese alte Tradition bewahrt und in der Person des chaldäisch-katholischen Erzbischofs von Teheran in jüngster Zeit wiederum bestätigt.) Einer von ihnen, Thomas, kam nach Indien. Auch das ist gut bezeugt. Markus, vermutlich einer aus dem Kreis der siebzig, verkündete das Evangelium in Ägypten.
Es macht einfach keinen Sinn, diese Leistungen für die Launen einer Gruppe von Wahnsinnigen oder Lügnern zu halten. Kein qualifizierter Kriminalist und kein erfahrener Untersuchungsrichter würde das übereinstimmende Zeugnis von gebildeten und besonnenen Männern, die weit reisen, um selbst erlebte Ereignisse von größter Bedeutung in glaubwürdiger und widerspruchsfreier Form darzustellen, als Schwindel abtun. Unter diesen Umständen ist es fast schon überflüssig, auf die Zeichen und Wunder hinzuweisen, die die Apostel zur Bestätigung ihrer Lehre gewirkt haben.
Um Punkt drei zusammenzufassen: In dem unüberschaubaren Dschungel zeitgenössischer Publizistik, in der über alles mögliche mehr oder weniger qualifiziert herumschwadroniert wird und die im Brustton der Überzeugung unausgegorene Meinungen als höchste Weisheiten verkündet, gibt es erstaunlich wenig echte Kritik. Denn die müsste sich die Frage nach der Wahrheit stellen.
Aber dieses Thema wurde schon von Pilatus mit der skeptischen Frage „Was ist Wahrheit?“ vom Tisch gewischt. Eine gründliche Untersuchung wäre den Ansprüchen des römischen Rechts, auf das sie so stolz waren, gerecht geworden und hätte zur Wahrheit geführt. Aber darum drücken sich auch die gegenwärtigen Kirchenkritiker, deren Zahl mittlerweile Legion geworden ist, erfolgreich herum.
Fassen wir also zusammen: Kritik an der Kirche müsste die eigenen Voraussetzungen offenlegen. Das tut sie aber normalerweise nicht. Denn das würde die eigenen Schwächen klar erkennen lassen. Die Polemik speist sich auch fast nie aus rationalen Quellen sondern aus irrationalen Emotionen bzw. ist sie Teil einer Kampagne. Daher muss man sich auch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Und schließlich wird das selbstsichere Auftreten einer katholischen Gegenbewegung auch den Feinden der Kirche helfen. Denn die Wahrheit wird auch sie frei machen.

Wolfram Schrems

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