VISION 20004/2011
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„Die Zukunft gehört den Nationen, die keusch sind“

Artikel drucken Für ein umfassendes Programm, die Tugenden zu pflegen (Urs Keusch)

Über die Tugend der Keuschheit wird kaum mehr gesprochen und geschrieben. Und dabei ist gerade heute das Ringen um einen Lebensstil, der sich nicht von der verbreiteten Sexualisierung überrennen lässt, so wichtig. Im folgenden einige hilfreiche Anregungen.

Keuschheit kommt aus dem lateinischen „castus“ und meint ein „mäßig, sittsames, schamhaftes“ Verhalten. In dieser schönen Tugend wurde von den Christen das Heidentum überwunden, vor allem durch die Frauen. „Nichts hat so sehr dazu beigetragen, nach dem Zusammenbruch der antiken Welt die Menschen aus sinnlicher Zerfahrenheit zurück zu rufen und sie im Geistigen zu sammeln, als der Anblick weiblicher Reinheit, die mit heroischer Konsequenz und Sicherheit einer ganzen Welt von Verderbnis widerstand.“ (Fr. W. Foerster)
Darum müssen wir von Keuschheit sprechen, unbedingt und immer wieder, weil sonst der Eindruck entsteht, Keuschheit wäre heute der Kirche nicht mehr wichtig oder sie hätte sich entschieden, darüber besser zu schweigen. Nein, auf keinen Fall! Denn ohne Keuschheit bleibt die Welt am Boden liegen: depressiv, müde, krank, im Hass auf sich selbst. Es gibt keine Auferstehung einer toten Christenheit ohne Keuschheit.
Wenn wir nun etwas näher auf das Thema eingehen, wollen wir nicht den gleichen Fehler begehen, der früher leider oft begangen wurde: Wir dürfen die Keuschheit nicht isoliert sehen und sie in einseitiger Weise herausheben oder hochstilisieren, so dass sie schließlich für die meisten Menschen in unerreichbare Höhen davonschwebt.
Keuschheit wächst und reift unter derselben Sonne wie alle anderen Tugenden! Sie wächst und reift unter der Sonne der Liebe Gottes: der Liebe Gottes zu uns und unserer Liebe zu Gott. Mit Paulus könnten wir sagen: Wäre ich rein wie ein Engel, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts (vgl 1 Kor 13).
Der Wille, ein keusches Leben zu führen, wächst mit dem Willen, Gott mit seinem ganzen Leben zu lieben. „Verherrlicht Gott mit eurem Leib“ (1 Kor 6,20). Wo der Heilige Geist – die Liebe und das Erbarmen Gottes – einen Menschen berührt oder getroffen hat, dort entsteht im Menschen der Wunsch, heilig zu werden, heilig zu sein, so zu leben, wie Gott „im Anfang“ es mit uns Menschen vorgesehen hatte, ehe die Sünde ihren tiefen Riss durch die Schöpfung zog.
Heilig werden heißt ja vor allem: Sich von dem, was einen innerlich entwürdigt, was einen nach unten zieht, was einem die innere Schönheit raubt, frei zu machen. Oder in einem Bild: Das schmutzige Haus gründlich räumen, es rein machen, die Fenster öffnen und Licht herein lassen! Wo immer Menschen mit der Reinheit und Heiligkeit des Heiligen Geistes in Berührung kommen, entsteht in ihnen das Bedürfnis, sich vom alten, unbeherrschten, launischen, geilen, maßlosen, triebhaften Menschen – vom alten Heiden in uns – zu trennen und der herrlichen Liebe Gottes Raum zu geben.
„Der Heilige Geist wohnt in euch. Gott hat ihn euch geschenkt. “ (1 Kor 6, 19). Wo das geahnt und erfahren wird, da geschieht ein Wunder der Gnade, das herrlicher ist als eine Toten?erweckung. Dieses Einwohnen des Heiligen Geistes im Menschen haben die Christen von Anfang als „das allergrößte Wunder überhaupt“ (Thomas-Ev) erlebt und viele sind dafür in den Märtyrertod gegangen.
Der Apostel Paulus nennt die Laster der Heiden vor allem Unzucht, Unsittlichkeit, ein ausschweifendes Leben (vgl Gal 5,13-26) – ein Lebensstil, der heute im Zeichen des Antichrists weltweit propagiert wird und Freiheit verspricht, in Wirklichkeit aber Menschen und Völker in Not und Elend bringt, denn unkeusche Völker betreiben ihren eigenen Tod.
Thomas Mann schrieb einmal: „Die Zukunft gehört den Nationen, die keusch sind“. Ein anderer Dichter sagt: „Die Keuschheit ist die Blüte des Menschen; und was wir Genie, Heldentum, Heiligkeit nennen, sind nur die Früchte, die danach kommen.“ (H.D. Thoreau). Weil die Keuschheit eine Frucht des Heiligen Geistes ist (vgl Gal 5,22), ruft sie gebieterisch nach Reinheit in allem, was Jugend ist, was Freundschaft, Ehe, Familie oder ein Leben in gottgeweihter Jungfräulichkeit ist.
Diese Reinheit ist heute von allen Seiten bedroht. In diesem Punkt ist von uns Christen viel gefordert, manchmal fast übermenschlich viel, vielleicht noch mehr als zur Zeit, als die Christen sich in einer heidnischen antiken Welt zu bewähren hatten. Damals hatten sie um der Keuschheit Willen öffentliche Bäder, die von obszönen Bildern bemalt waren, zu meiden, Spielen und dem Theater fern zu bleiben, weil sie von Unsittlichkeit durchsetzt waren.
Heute aber werden wir von einer schmutzigen Bilderflut nur so überschwemmt. Wir können ihr oft gar nicht mehr entrinnen. Und doch sind wir aufgefordert – der Heilige Geist fordert es in uns –, unsere Augen zu zügeln, „geradeaus zu schauen“ und unsere Herzen rein zu halten. Dazu schreibt Peter Dyckhoff in seinem sehr empfehlenswerten Buch: „Maßlose Hoffnung“ (siehe Anmerkung unten):
„Viele, die durch sexuelle Begierden versucht werden, berühren zwar keinen Leib, doch in ihrer Vorstellung und in ihrem Denken befriedigen sie ihre unlauteren Wünsche. Was nützt es, den Leib zu bewahren, in der Seele aber ständig gegen das sechste Gebot zu sündigen? Abgesehen von entsprechender Literatur und Bildern sind viele Fernsehsendungen offensichtlich oder auch unterschwellig auf diese Thematik angelegt…
Nicht selten bin ich entsetzt, mit welcher bodenlosen Frechheit und Dreistigkeit sexuelle Dinge angesprochen und in den Dreck gezogen werden. Ich stelle fest, wie oft spät abends oder auch im Traum mir diese Eindrücke wieder ins Bewusstsein kommen. Versuche, Gehörtes oder Gesehenes sofort zu vergessen, gelingen mir nicht. Ich spüre, dass mein Wille versagt und ich diesen nach unten ziehenden Kräften erst einmal ausgeliefert bin.
Es ist wichtig, dass wir uns nicht diesen schleichend zerstörerischen Mächten aussetzen, ja, ihnen überhaupt keine Chance geben, uns zu berühren. Es ist nicht nur gut, sondern auch notwendig, mit aller Aufmerksamkeit das Herz zu bewahren – das gilt für jeden! „Mehr als alles hüte dein Herz; denn von ihm geht das Leben aus. Vermeide alle Falschheit des Mundes, und Verkehrtheit der Lippen halt von dir fern! Deine Augen sollen geradeaus schauen, und deine Blicke richte nach vorn!“(Sprichwörter 4,23-25)“
An dieser Stelle sind mir aus seelsorgerischer Sicht zwei Dinge so wichtig, dass ich kurz darauf eingehe.
Es gibt viele Menschen, vor allem junge, die sich ernsthaft um Keuschheit bemühen, aber es gelingt ihnen nicht oder ihre „Erfolgsquote ist sehr klein“, wie sie sich manchmal ausdrücken. Viele sagen: „Ich schaff’ es nicht, schon tausendmal versucht, was soll’s!“ Sie kann man nicht genug ermutigen, das zu tun, was einem Reitschüler schon in der ersten Reitstunde gesagt wird: Wenn Du vom Pferd fällst, steh gleich wieder auf! Bleib ja nicht liegen! Tu es für Dich! Lass dich nicht entmutigen. Zeig, wer der Herr ist. Und lass auch das Pferd spüren, dass es bei dir nichts erreicht, wenn es dich aus dem Sattel wirft!
Der wichtigste Rat, den man (nicht nur jungen) Menschen in solcher Situation geben kann, ist dieser: Suche Dir einen erfahrenen Seelsorger, besprich offen Deine Sache mit ihm. Du wirst sehen, ein solches Gespräch wird Dich in kurzer Zeit weiterbringen. Der Seelsorger wird Dir dann auch Hilfen geben können, wie Du mit deiner Sexualität besser – und vor allem geduldiger und liebevoller - umgehen kannst und welche geistlichen Hilfen Du fortan in Anspruch nehmen kannst.
Auf jeden Fall: Lass Dich von Schwierigkeiten nicht entmutigen und rede Dir nicht ein, Du hättest deswegen bei der Kirche „sowieso nichts mehr verloren“. Im Gegenteil! „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“, sagt Jesus. Und so verstehen Priester und Seelsorger, die dem barmherzigen Jesus nachfolgen, ihren Auftrag.
Dann kommt es gar nicht selten vor, dass auch ältere, ja alte Menschen von „sexuellen Bedrängnissen“ überrascht und bisweilen arg bedrängt werden, von denen sie glaubten, sie gehörten längst der Vergangenheit an. Für manche sind sie bisweilen ganz schwer und unangenehm zu ertragen, und auch Pflegende und Angehörige können oft nur schwer damit umgehen. Vielfach liegen solchen „Belästigungen“ krankheitsbedingte Ursachen (Medikamente) zugrunde, darum sollten sich betroffene Menschen nicht scheuen, darüber mit ihrem Arzt zu sprechen. Es macht keinen Sinn, sich in den alten Tagen durch solche Dinge das Leben noch schwerer zu machen.
Und wo es zu Handlungen gekommen ist, die das Gewissen belasten, soll man unbedingt mit dem Seelsorger darüber sprechen. Es ist bisweilen sehr betrüblich, zusehen zu müssen, wie sich alte Menschen gerade durch solche Dinge unnötigerweise das Gewissen belasten und sich gar nicht mehr getrauen, ihrem Heiland ins Angesicht zu schauen, wo sie Ihn in ihren alten, oft so schweren Tagen doch so nötig hätten!
Mir scheint grundsätzlich ganz wichtig zu sein, dass wir allgemein in der Kirche (vor allem auch in den Familien, Ausbildungsstätten, religiösen Gemeinschaften und auch in den Seminarien) dem Bereich des Geschlechtlichen im Leben der anvertrauten Menschen weit größere und unbefangenere seelsorgerische Aufmerksamkeit schenken als bisher. Wir dürfen nicht aus lauter falscher Scham die große Zahl junger Menschen ihren „Schlammgruben“ überlassen. Sie brauchen unsere Offenheit und Ehrlichkeit in diesen Dingen und dass sie sehen können, dass auch wir noch auf dem Weg sind.
Sie brauchen die Gewissheit, dass Gott sie in allen ihren oft so quälenden und deprimierenden Schwierigkeiten liebt und dass mit seiner Gnade, mit der Kraft des Heiligen Geistes, alles möglich ist: auch ein Leben in Keuschheit, wenn es in Selbstachtung geduldig und beharrlich angegangen wird, „mit dem Leichten und Einfachen, um aus den Freuden des wachsenden Erfolgs die Kraft zum Größeren zu gewinnen“ (Fr. W. Foerster).
Urs Keusch

Ich möchte, wie schon früher einmal, das Buch von Peter Dyckhoff empfehlen: Masslose Hoffnung, Sankt Ulrich Verlag. Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff spricht in diesem Buch sehr offen und in persönlicher Weise von den Fragen und Nöten des Menschen und findet Worte, die aufrichten und Trost spenden. Das Buch enthält auch wertvolle Ausführungen zu unserem Thema und eine praktische Übung, wie wir die Kräfte des Geschlechtlichen kultivieren können.

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