VISION 20001/2012
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Ja, Gott ist barmherzig – aber auch gerecht

Artikel drucken In den Psalmen und in der Offenbarung erscheint das Gericht Gottes als Grund zur Freude (Von Weihbischof Andreas Laun)

„Frohbotschaft statt Drohbotschaft!“Dieser kampfrufartige Slogan hat jene Passagen der Heiligen Schrift, die vor den Folgen beharrlichen Fehlverhaltens warnen, weitgehend aus der Verkündigung verdrängt. Wo der Eindruck erweckt wird, wir kämen ohnedies „alle, alle in den Himmel“, egal, was wir auch tun, dort wird ein Zerrbild Gottes verkündet…

Abgesehen von jenen Priestern, die die meisten Zeitgenossen dann spöttisch in die Ecke der „Erzkonservativen“ und damit der „nicht Ernstzunehmenden“ zu stellen pflegen, gibt es wohl kaum noch Prediger oder andere Personen im Dienst der Verkündigung, die das Thema „Gericht Gottes“ ansprechen. Und wenn doch, dann nur, um zu sagen, dass man „früher“ aus dem Evangelium eben eine „Drohbotschaft“ gemacht habe und jetzt alles anders sei.
Das Thema „Gericht“ ist aus der kirchlichen Verkündigung weitgehend verschwunden. Es wird weithin als Fehlentwicklung und „falsches Gottesbild“ abgetan, dem man dann den Gott der „bedingungslosen Liebe“ als das eigentlich „christliche Got­tesbild“ entgegenstellt. In der Weihnachtsbotschaft 2010 eines deutschsprachigen Bischofs hieß es peinlicherweise: Durch die Zustimmung Gottes zum Leben würden „sämtliche Gottesbilder von einem großen Herrscher oder einem strafenden Richter umgeworfen“.
Und in dem Heft einer modernen geistlichen Bewegung schrieb kürzlich ein bekannter Autor: „Nicht alle Religionen sind tauglich, denn sie sprechen von schrecklichen Göttern. Zum Beispiel spricht das Alte Testament von Gott, von Jahwe, der straft und verurteilt. Während der philosophische Begriff Got­tes bedeutet, dass Gott nur absolut gut sein kann, nur absolute Liebe und Wahrheit ist.“
Zu reden wäre mit dem Schreiber dieser Zeilen über seine – hoffentlich unbeabsichtigte – Zuordnung des Alten Testamentes zu den „anderen Religionen“ und darüber, welche Philosophie er denn meine, die über Gott überhaupt noch redet und in ihm die „absolute Liebe“ sieht?
Aber davon einmal abgesehen: Ist es wahr, dass, wie behauptet wird, der Gott, den Jesus verkündet hat und den die Kirche lehrt, nicht „richtet und verurteilt“? Dann wäre die theologische Fachliteratur, die bestätigt, dass Christen, Juden und sogar der Islam diesbezüglich dasselbe sagen, völlig falsch.
Dabei braucht es kein Fachwissen, denn es genügt zu lesen: Wie sollen Juden und Christen die unzähligen Stellen der Bibel über Gericht und Strafe verstehen? Wozu lesen wir sie und warum bekennen die Christen im Glaubensbekenntnis ohne mit der Wimper zu zucken Jesus als den, „der kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten“? Wozu betet man für die Verstorbenen? Wozu geht man zur Beichte?
Es stehen sich, so scheint es, zwei Positionen diametral gegenüber, und die Mehrheit der Christen scheint diesen Dissens kaum wahrzunehmen, geschweige denn, dass er sie beunruhigen würde. Aus dem Gesagten ergibt sich, so scheint es, ein unlösbares Dilemma: Ist ein strafender und richtender Gott ipso facto ein „schrecklicher Gott“, an den man nicht glauben kann? Kann man leichter an einen „Gott mit Alzheimer“, der nur schweigt, nicht eingreift und dann vergisst, glauben? Oder kann man, im Gegenteil, gerade an einen solchen Gott erst recht nicht glauben?
Es mag überraschen, aber auch die Idee, dass Gott nicht straft, ist tatsächlich ein Glaubenshindernis. Leiden nicht zu allen Zeiten die Gläubigen unter der Erfahrung, dass Gott Unbegreifliches scheinbar gleichgültig zulässt? Kämpfen nicht auch sie unter dem Eindruck bestimmter Ereignisse mit der Versuchung des Unglaubens?
Auf der anderen Seite: Führen nicht die Atheisten eben dies als Grund ihres Unglaubens an mit dem Argument: Einen allmächtigen Gott, der gut sein soll, aber soviel Unrecht duldet, kann es nicht geben! Man denke an Elie Wiesel, der angesichts der Hinrichtung eines jüdischen Kindes seinen Gottesglauben verlor!
Diese Frage greift Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika über die Hoffnung, Spe salvi (44), auf und beantwortet sie so: „Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus. Sie macht das Unrecht nicht zu Recht. Sie ist nicht ein Schwamm, der alles wegwischt, sodass am Ende dann eben doch alles gleichgültig wird, was einer auf Erden getan hat. Gegen eine solche Art von Himmel und von Gnade hat zum Beispiel Dostojewski in seinen Brüdern Karamasow mit Recht Protest eingelegt. Die Missetäter sitzen am Ende nicht neben den Opfern in gleicher Weise an der Tafel des ewigen Hochzeitsmahls, als ob nichts gewesen wäre.“
Aber nicht erst der Papst, schon das Alte Testament löst an vielen Stellen dieses Dilemma auf, und es ist wichtig, diese Antwort an sich heranzulassen. Dann nämlich zeigt sich, dass auch die Botschaft vom Gericht Gottes eine „gute Nachricht“ ist und ganz zum Evangelium gehört. Im Psalm 67 heißt es: „Die Nationen sollen sich freuen und jubeln. Denn du richtest den Erdkreis gerecht. Du richtest die Völker nach Recht und regierst die Nationen auf Erden. Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.“ Gericht wird hier also als Grund zur Freude dargestellt, und zwar aus dem Grund, weil es gerecht ist und endlich Gerechtigkeit herstellen wird.
Im gleichen Sinn lässt Jesaja 26 den Gerechten beten: „Herr, auf das Kommen deines Gerichts vertrauen wir, meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, auch mein Geist ist voll Sehnsucht nach dir. Denn dein Gericht ist ein Licht für die Welt.“
Gibt es das Gericht Gottes? Ja, aber es ist nicht Anlass zu Angst und Schrecken, sondern ein Gegenstand der Sehnsucht! Warum? Dadurch, so Jesaja weiter, „lernen die Bewohner der Erde deine Gerechtigkeit.“ Das also ist die Antwort: Das Gericht ist nicht willkürlich, sondern gerecht. Und weil es gerecht ist, darum ist es eine gute Botschaft: Freilich ohne dass wir Menschen die Frage „Wie ist das möglich?“, beantworten könnten. Gott hat eine Antwort und zwar eine Antwort der Gerechtigkeit. Er schweigt nicht für immer, das kommt uns Menschen nur so vor, und Seine Antwort wird Sein Gericht sein, und auf dieses darf sich der Gerechte freuen und sich überraschen lassen!
Aus dieser Gerechtigkeit ergibt sich auch die Warnung und die berechtigte Furcht des Sünders, dessen Verstocktheit Jesaja beklagt: „Der Frevler lernt nie, was gerecht ist, auch wenn du ihm Gnade erweist. Selbst im Land der Gerechtigkeit tut er noch Unrecht, doch er wird den erhabenen Glanz des Herrn nicht erblicken. Herr, deine Hand ist erhoben, doch deine Gegner sehen es nicht; aber sie werden es sehen, und sie werden beschämt sein von deiner leidenschaftlichen Liebe zu deinem Volk; ja, Feuer wird sie verzehren.“
Ist das zu hart? Wer das meint, möge in den Psalmen lesen. Denn dort (Psalm 89,33-34) ist zwar von Strafe und Schlägen für das Nicht-Halten der Gebote Gottes die Rede, aber dann heißt es sofort wieder: „Doch ich entziehe ihm nicht meine Huld, breche ihm nicht die Treue.“
Und dieses Thema, nämlich Schuld und Strafe, aber dann sofort wieder Verzeihen, Festhalten am Bund und sogar neuer Bund, zieht sich durch das ganze Alte und Neue Testament! Weil die Menschheit aber nicht nur aus Heiligen oder Frevlern besteht, sondern die meisten Menschen des Mittelmaßes sind, sollte man auch noch im Buch der Weisheit (Kapitel 12) lesen, wie Gott richtet und wie dieses Richten Gottes zum Vorbild für die Menschen werden sollte. Da heißt es nämlich: „Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst.“
Daraus ergibt sich auch eine Lehre für die Menschen: „Durch solches Handeln hast du dein Volk gelehrt, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss, und hast deinen Söhnen die Hoffnung geschenkt, dass du den Sündern die Umkehr gewährst.“ Was Papst Benedikt XVI. wiederum in seiner Enzyklika über die christliche Hoffnung schreibt, liest sich wie eine Zusammenfassung dieser biblischen Lehren über das Gericht Gottes: „Das Gericht Gottes ist Hoffnung, sowohl weil es Gerechtigkeit, wiewohl weil es Gnade ist. Wäre es bloß Gnade, die alles Irdische vergleichgültigt, würde uns Gott die Frage nach der Gerechtigkeit schuldig bleiben – die für uns entscheidende Frage an die Geschichte und an Gott selbst. Wäre es bloße Gerechtigkeit, würde es für uns alle am Ende nur Furcht sein können. Die Menschwerdung Gottes in Christus hat beides – Gericht und Gnade – so ineinandergefügt, dass Gerechtigkeit hergestellt wird: Wir alle wirken unser Heil ,mit Furcht und Zittern’ (Phil 2,12). Dennoch lässt die Gnade uns alle hoffen und zuversichtlich auf den Richter zugehen!“

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