„Was uns von Gott trennt, ist weniger die Sünde als der Wunsch, sie zu rechtfertigen“, schreibt der kolumbianische Philosoph Nicolás Dávila. Mit der Frage des Umgangs mit den eigenen Sünden und der Notwendigkeit der Selbsterkenntnis setzt sich Gabriele Kuby in ihrem neuen Buch Selbsterkenntnis – der Weg zum Herzen Jesu auseinander. Im folgenden Kernsätze daraus.
Wer wünscht sich nicht eine bessere Welt? Damit „die Welt“ besser wird, müssen sich Menschen ändern, müssen einzelne Menschen umkehren und sich neu an der Wahrheit und der Liebe ausrichten. Wir leben in dem Bewußtsein, daß es andere sind, die für das Böse in der Welt verantwortlich sind. Sie und ich würden es bestimmt besser machen, wenn wir nur die Macht dazu hätten. Wirklich?
Vom Bösen in der eigenen Person nichts wissen zu wollen, ist ein Urtrieb des Menschen, der in Gläubigen ebenso virulent ist wie in Atheisten. Wir wollen gut sein und wir wollen gut dastehen, vor uns selbst, vor den Mitmenschen, vor Gott. Noch jede diabolische Ideologie wurde und wird mit „Werten“ gerechtfertigt. Vielleicht spiegelt sich in dem Streben, das Böse mit dem Schein des Guten zu verhüllen, ein Abglanz der Existenz Gottes.
Die Zeitgeist-Christen wollen die Kirche vom schmalen auf den breiten Weg führen durch Widerstand gegen das Lehramt, Anpassung der christlichen Sexualmoral an deren faktische Auflösung bis hin zum kirchlichen Segen für die „Homoehe“, Akzeptanz des alltäglichen Massenmords an ungeborenen Kindern. Sie ecken nicht an, sie sind getragen vom Mainstream, von den Medien, von den meisten ihrer Zeitgenossen und bestärken sich beständig darin, daß sie mündige, mutige, moderne Christen seien, berufen, die mittelalterlichen Zöpfe der Kirche abzuschneiden. All dies wird mit „Liebe“ gerechtfertigt, aber Liebe, die nicht in der Wahrheit wurzelt, ist keine Liebe. Wird die Liebe aus der Wahrheit entwurzelt, wird sie zu einem Ohrenschmeichler, der den Weg zur Liebe Jesu verbaut (vgl. 2 Tim 4,1-5).
Eine andere Strategie im Umgang mit dem Bösen besteht darin, von sich und anderen zu fordern, alle Gesetze und Gebote akribisch einzuhalten, wodurch man gleichzeitig zum Gefangenen und zum Wächter seiner selbst wird. Zur Zeit Jesu kannte man 613 Vorschriften, die ein gläubiger Jude einzuhalten hatte. Keiner war dazu fähig. Je schärfer der Wächter und Ankläger im Inneren, umso schärfer auch nach außen. Wie ein roter Faden zieht es sich durchs Evangelium, daß es um die Liebe zu Gott und den Nächsten geht und nicht um die Einhaltung von Vorschriften um ihrer selbst willen.
Beiden Seiten ist gemeinsam, daß sie den Weg der Selbsterkenntnis nicht gehen. Selbsterkenntnis ist eine Fähigkeit des Menschen, die kein anderes Geschöpf besitzt. Wir können geistig aus uns heraustreten und in den Spiegel schauen, den wir uns selbst vorhalten. Dabei Objektivität zu gewinnen, ist schwer, zu leicht wird der Spiegel durch Wünsche, Leidenschaften, Anpassungsdruck, Sünden, Selbstrechtfertigung verzerrt.
Aber Gott kann den Menschen immer und unter allen Umständen so berühren, daß er plötzlich erfährt: Es gibt Gott. Er kennt mich. Er schaut mich an mit einem liebenden Blick, so wie ich bin. In diesem Licht wird plötzlich der Blick in die Tiefe frei. Der Name dieser Erfahrung ist Bekehrung.
Diese Phase der ersten Bekehrung hat viel Ähnlichkeit mit dem machtvollen Einbruch einer großen Liebe ins menschliche Leben. Es ist ja eine große Liebe, nur mit dem Unterschied, daß der Bräutigam Jesus Christus ist, der nicht mit den Sinnen umarmt werden kann, sondern nur im Geist.
Was ist die Hoffnung, was die Illusion nach der ersten Bekehrung? Im Geiste sieht man eine Treppe der Heiligkeit vor sich, die nach oben führt. Seht, Jesus macht aus mir einen neuen Menschen! – bis zu dem Augenblick, an dem ich mich über einen anderen heftig ärgere und mir ein böses Wort entfährt.
Nach und nach werde ich mir schmerzhaft bewußt, daß der alte Adam keineswegs gestorben ist, sondern fast unbeeinträchtigt von meiner Bekehrung weiter am Ruder ist. Wie reagiere ich darauf? So wie früher?
Genau hier ist die Weichenstellung, ob wir wirklich Christen werden. Hier beginnt die zweite Bekehrung und diese dauert ein Leben lang, ist immer wieder neu zu vollziehen. Nur der eigene Stolz türmt sich vor uns auf, Gott selbst sichert uns seine barmherzige Vergebung immer wieder zu. Es wäre so einfach, wenn wir nur glauben könnten, was Johannes schreibt: Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht (1 Joh 1,9). Wenn wir diesen Weg gehen, dann begeben wir uns auf eine Treppe, die nach unten führt. Es ist der Weg in die Wahrheit der eigenen Existenz. Es ist der einzige Weg zu Gott. Daran werden wir erkennen, daß wir aus der Wahrheit sind, und werden unser Herz in seiner Gegenwart beruhigen. Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles (1 Joh 3,19-20).
Hier, in der Tiefe, wenn wir die Treppe hinabgestiegen sind, hier unten in der Armseligkeit unserer menschlichen Existenz begegnen wir dem Herrn am Kreuz. Dort vernehmen wir: Ich habe hier auf dich gewartet. Sieh, ich habe deine Sünden auf mich genommen, ich habe deine Schuld bezahlt. Hier unten wird wahr, was wir so oft gehört haben und doch nicht glauben konnten: Gott ist die Liebe und er liebt mich, so wie ich bin.
Selbsterkenntnis – der Weg zum Herzen Jesu.
Von Gabriele Kuby. Fe-Medien,Verlag, 48 Seiten, gebunden, 5 Euro