Zur Kommunion gehen viele, zur Beichte wenige. Es gibt Pfarren, die meinen, man könne Kindern keine Beichte vor der Erstkommunion zumuten. Bußandachten ersetzen die Einzelbeichte. Was läuft da falsch? Gespräch mit einem gesuchten, erfahrenen Beichtvater:
Warum wird heute im allgemeinen so wenig gebeichtet?
P. Bernhard Vosicky OCist: Ich beginne vielleicht humorvoll: Vor Jahren war ich in Annaberg, einem nationalen Heiligtum in Schlesien. Dorthin kommen im Juli viele Leute beichten: junge, alte, Polizisten, Soldaten, Priester stehen vor den Beichtstühlen Schlange. Einer der dortigen Franziskaner zeigt dann auf diese Leute und sagt: „In Polen sündigt man noch, also gehen die Leute beichten. Bei euch sündigt man offenbar nicht mehr.“ Da ist das Problem: Die Leute bei uns sündigen zwar auch, gehen aber nicht beichten, weil sie die Sünde nicht erkennen. Man hat sich daran gewöhnt, die Sünde als Kavaliersdelikt anzusehen oder sie einfach zu verdrängen. Schlechtes Gewissen hat man zwar, aber dann verdrängt man es auch wieder leicht. Und je mehr man abstumpft, umso schwieriger wird es. Mangelndes Sündenbewußtsein ist unser Problem.
Wie erkennt man die Sünde?
P. Vosicky: Das Wesen der Sünde ist ein eklatanter Bruch mit Gott, ein bewußtes, freiwilliges Verstoßen gegen ein Gebot Gottes. Aber wer kennt schon die Gebote Gottes? Etwa das dritte: Du sollst den Tag des Herrn heiligen? Der Sonntag war immer mit der Feier der Eucharistie verbunden, um dem Auferstandenen zu begegnen, damit Er uns in Sein Leben, Sterben und Auferstehen hineinzieht. Viele Menschen gehen diese Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit Christus nicht mehr ein. Sie sehen es nicht mehr als Sünde an, nicht in die Messe zu gehen, haben sich vom Du Christi distanziert. Dieses Abstandnehmen läßt auch die Sün?de nicht mehr erkennen. Sie besteht ja darin, Christus nicht als Sohn des lebendigen Gottes, als den Retter zu erkennen.
Es gibt aber auch viele, die regelmäßig sonntags in die Kirche gehen, aber so gut wie nie zur Beichte: Was läuft da falsch?
P. Vosicky: Auch hier fehlt das Sündenbewußtsein. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Selig, die ein reines Herz haben, sie werden Gott schauen.“ Auf diese Reinheit der Gesinnung legen viele heute nicht mehr so viel Gewicht. Sie meinen, Gott sei ohnehin barmherzig. In Seiner Güte werde er ein Auge zudrücken, meine Sünden und Schwächen nicht so tragisch nehmen. Daher fassen sie etwa Sätze wie: „Wenn einer eine Frau nur lüstern anschaut, hat er in seinem Herzen Ehebruch begangen…“ als Zumutung auf. Wie kann Jesus so etwas sagen! Oder ein anderes Wort: „Wenn einer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, begeht er Ehebruch…“ – da heißt es dann, das könne man heute nicht mehr sagen. Manche Forderungen, die ausdrücklich in der Heiligen Schrift als ureigenstes Wort Jesu verankert sind, werden als Zumutungen angesehen. Das sei nicht zeitgemäß. Da ist der Bruch: Man kennt Christus nicht und Seine moralischen Auffassungen.
Meinen nicht viele: Läßliche Sünden – das schon. Aber bewußt gegen Christus – das nicht!
P. Vosicky: Das Sündenbewußtsein muß eben wachsen. Wie das geschieht? Indem ich bete und intensiv die Heilige Schrift lese. Sobald ich bete, fließt der Heilige Geist in mein Herz ein. Er ist es, der uns der Sünde überführt. Er läßt uns erkennen, daß unser Herz nicht rein ist: Du denkst nicht, was Gott denkt. Du entsprichst nicht dem Willen Gottes… Und dann die Schriftlesung: Je mehr einer die Schrift kennt, umso besser kennt er Christus. Wer die Schrift nicht kennt, erkennt auch die Sünde nicht. Und wer nicht betet, läßt den Heiligen Geist nicht einfließen.
Mangelt es nicht auch an einer ansprechenden Beichthinführung durch die Kirche?
P. Vosicky: Ganz sicher. Wenn mir jemand sagt, er wisse nicht, was er beichten soll (uns das sind recht viele), drücke ich ihm einen Gewissensspiegel in die Hand: er solle ihn, vor allem die 10 Gebote, 10 Minuten lang auf sich wirken lassen. Dann kommt es oft zur Reaktion: „Das habe ich ja alles als Sünde!“ Andere sagen, das sei zu plakativ. Ihnen gebe ich die Heilige Schrift, die Stelle 1Kor 13 über die Liebe: sie trägt alles, duldet alles, hört niemals auf… Da kann man sich die Frage stellen: Bin ich so, daß ich alles ertrage? Mich nicht aufblähe? Gut erkennt man sich auch anhand der Bergpredigt: Richtet nicht, segnet, die euch verfluchen, betet für die, die euch Böses antun, entferne den Balken aus deinem Auge… Oder: Über jedes unnütze Wort, müßt ihr Rechenschaft ablegen – gilt übrigens auch für Journalisten, Priester. Wer sein Leben damit konfrontiert, wird in der Beichte etwas zu sagen haben.
Was kennzeichnet eine gute Beichte?
P. Vosicky: Viele glauben, sie müßten viele Sünden möglichst genau aufzählen – und dann sei die Sache erledigt. Das wichtigste bei der Beichte ist die Reue. Es kann einer wunderbar Sünden aufzählen, bereut sie aber nicht. Beispiel: Ein Ehemann, 30 Jahre verheiratet, hat eine andere Frau kennengelernt, große spirituelle Affinität – und dann „ergibt sich halt manchmal eine sexuelle Beziehung. Aber was soll ich da bereuen, wo die Partnerschaft spirituell so gut ist?“ Daß die Person spirituell ist, daß man sie gern hat, das ist keine Sünde. Wohl aber der Ehebruch! Der Bruch des Versprechens, lebenslänglich treu zu bleiben. Das gilt es zu bereuen.
Muß man zur Reue eine tiefe Gefühlsbewegung empfinden?
P. Vosicky: Die Reue ist das demütige und zerknirschte Herz: Ich erkenne meine Armseligkeit und Schwäche – wie der verlorene Sohn, der sagt: „Ich habe gesündigt und bin nicht mehr wert, Dein Sohn zu sein.“ Ich erkenne an, daß das, was mich mit Gott und den Mitmenschen verbindet, in Brüche gegangen ist.
Also nicht unbedingt eine Gefühlsaufwallung?
P. Vosicky: Es kann durchaus Reuetränen geben. Bei Jugendlichen erlebe ich das oft:?echte Tränen, weil es ihnen leid tut: Ich habe die Liebe Gott und den Menschen gegenüber verletzt – durch eine eklatante Lüge, eine Verleumdung. Es tut mir leid, daß ich andere schlecht gemacht habe. Ich schäme mich. Aber entscheidend ist das nicht. Entscheidend ist: Ich will nicht mehr sündigen.
Reue und Vorsatz also eng verknüpft?
P. Vosicky: Ja. Je bewußter ich diesen Willensakt setze, umso besser. Die beste Form der Reue ist es, einen festen Glaubensakt zu setzen: Nichts soll künftig zwischen Christus und mir stehen. Man kann das auch konkret tun: ein Kreuz in die Hand nehmen, sich vor das Bild des barmherzigen Jesus stellen: Jesus, ich vertraue auf Dich. Ich glaube, daß Du mich wirklich erfüllen und glücklich machen kannst. Alles andere, dem ich vorher den Vorzug gegeben habe, war keine Erfüllung. Das ist die Reue: Das nicht Erfüllende beichten und sich zu dem Erfüllenden bekennen. Beichte ist also ein Bekenntnis: einerseits der Sünden, andererseits zu Christus, dem einzigen Erlöse, weil ich mich selber nicht aus der Sünde herauskatapultieren kann.
Wie steht es mit der Buße?
P. Vosicky: Ich gebe gern Tatbußen auf. Bei Ordensleute etwa: den Kuß des Altares und des Evangelienbuches bewußt zu vollziehen und nicht als Ritual. Du küßt den Mund des Herrn. Tatbuße wäre auch: Personen, mit denen ich Probleme habe, nicht zu meiden, sondern sie bewußt zu segnen (nicht mit der Hand, wohl aber mit dem Herzen, den Augen). Wünsche dieser Person noch mehr Gnaden, als Du erhalten hast. So wird eine Abneigung überwunden. Die Wirkung ist oft frappierend: Beziehungen ändern sich. Als Tatbußen, etwa auch vor dem Kreuz aussprechen: Im Namen Jesu verzeihe ich diesem oder jenem – und zwar 7 x 70mal. Oder: Eine Person um Vergebung bitten, eventuell auch nur im Angesicht Gottes. Umkehr ist nicht nur Sache eines Augenblicks, sie ist ein Prozeß.
Gehen Menschen dann von der Beichte befreit weg?
P. Vosicky: Sehr oft höre ich: „Jetzt ist viel von mir abgefallen.“ Das passiert oft bei schweren Tatsünden: Abtreibung, schweren Lieblosigkeiten, Haß, Selbsthaß… In letzterem Fall fordere ich Leute auf: Sagen Sie: „Ich mag mich wieder.“ Dann lachen sie, merken aber, wie dabei etwas von ihnen abfällt. Jesus hat gefragt: Willst Du geheilt werden? Daher auch die Frage: Glaubst Du, daß Gott Dir vergeben hat? Manche tun sich damit schwer. Wo es aber gelingt, kann es zu einem freudigen Aufschrei kommen. Es kann passieren, daß man umarmt wird.
Braucht die Kirche zu ihrer Erneuerung eine Belebung des Bußsakraments?
P. Vosicky: Unbedingt. Es ist der einzige Weg. Die Barrieren, die in der Kirche zwischen uns bestehen, sind sündhaft. Sie müssen wir vor Gott bringen. Was uns trennt, ist immer die Sünde: der Egoismus, die Arroganz, die Eigenwilligkeit. Und was uns verbindet ist der Heilige Geist.
Wie kann man die Attraktivität dieses Sakraments fördern?
P. Vosicky: Die Menschen würden vermehrt zur Beichte kommen, wenn sie sehen, daß viele Möglichkeiten angeboten – und auch genutzt werden. Wir sehen das hier in Heiligenkreuz bei Jugendvigilien, zu denen 200 bis 300 junge Leute kommen. Da sind mehrere Beichtstühle besetzt, mit den Namen der Patres, die Beichte hören. Es ist gut zu wissen, mit wem man spricht, obwohl man im Bewußtsein beichten soll, daß ich mich dort eigentlich an Christus wende. Er verzeiht, Er erlöst, Er kennt Dich durch und durch. Wo es viel Angebot gibt, zieht das die Menschen an. Sieht man, daß andere beichten, kommt man auf die Idee, daß man selbst auch gehen könnte. Konkret etwa bei einer Hauptschulbeichte: Während die Schüler sich auf die Beichte vorbereiten, sehen sie wie zuerst die drei Beichtväter beichten, dann beichten der Direktor, ein gläubiger Mann, und der Religionslehrer (wichtig!). Auf diese Weise kommt es dazu, daß dann alle Schüler bechten gehen. Die Beispielswirkung läßt sich auch in Medjugorje beobachten. Also: anziehende Angebote erhöhen.
Wie erlebt der Priester das Beichtehören?
P. Vosicky: Als eines der schönsten Dinge, die es gibt. Ich habe den schönsten Beruf. Andere haben große irdische Macht, aber die Seele des Menschen mit Gott verbinden, das darf nur der Priester – und das ist wohl das Größte. Und diese Vollmacht trage ich immer mit mir herum. Wohin ich auch komme: Es fliegen die Tauben zu. Überall erlebe ich, daß Leute mich fragen: Darf ich beichten? Darf ich mich zur Beichte anmelden? Wenn man in dieser Bereitschaft lebt, sprechen einen die Leute an.
Mit P. Dr. Bernhard Vosicky OCist, Professor für Liturgiewissenschaft an der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz, sprach CG.