Wenn in der Messe von Mächten und Gewalten die Rede ist, von Cherubim und Seraphim, rauscht das nicht irgendwie an einem vorbei? Eine Welt der Geister, personaler Wesen, die Einfluß auf das Geschick des Universums nehmen, ja auf unser persönliches Leben - ist das noch zeitgemäß?
Wir sind heute nüchtern. Uns interessieren beinharte Realitäten, das, was wissenschaftlich erfaßbar ist. Alles andere erscheint mythisch, aus längst vergangener Vorzeit. Der aufgeklärte Mensch hat das hinter sich gelassen. Über dieses Weltbild sei die Entwicklung hinweggegangen, denken viele.
Diese Sichtweise ist auch an uns Christen nicht spurlos vorbeigegangen: Über Schutzengel spricht man bestenfalls mit Kindern, von bösen Geistern am besten gar nicht und den Teufel haben die Theologen einfach abgeschafft. Nun ist es sicher gut, den Mächten der Finsternis nicht nachzuspüren, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Davor wird zurecht gewarnt. Aber von ihrer Existenz sollten wir wenigstens wissen, um ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Der Apostel Paulus ermahnt uns dazu: “Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs." (Eph 6,12)
Daher ist für Christen auch heute wichtig, sich für die Einsicht zu öffnen: Es geht um einen gewaltigen geistigen Kampf gegen Geister, die uns davon abhalten wollen, Tempel des Heiligen Geistes zu sein. Denn das ist unsere eigentliche Bestimmung - nur haben wir das leider etwas aus den Augen verloren.
Christen folgen nämlich nicht einfach nur den Geboten einer Religion, einer Lehre, sondern sie sind dazu berufen, Tempel des Heiligen Geistes zu werden. Und deswegen ist es von so entscheidender Bedeutung, die Geister zu unterscheiden, stehen wir doch vor der Frage: Welchem Geist geben wir Raum in uns? Dem Heiligen Geist oder dem Geist des Widersachers?
Nun werden Sie, liebe Leser, vielleicht einwenden, ich möge die Dinge nicht so dramatisieren. Im Alltag müsse man eben die täglich auf uns zukommenden Aufgaben erledigen. Da gehe es nicht fortgesetzt um Grundsatzentscheidungen. Wo käme man denn hin, wenn man dauernd so herausgefordert wäre!
Zugegeben, es ist gerade heute schwer, zu erkennen, daß wir in einem geistigen Kampf stehen. Wir leben nämlich in einem Umfeld, in dem so vieles selbstverständlich erscheint, getan und gedacht wird, damit der Alltag seinen Lauf nimmt: Klar, daß der Beruf Vorrang hat, daß er immer fordernder wird, weil der Wohlstand steigen muß, klar, daß man die Kinder, den Urlaub, die Freizeit plant, sich beim Fernsehen entspannt, die Medien konsumiert - und daß nur wenig Zeit für Gebet und Stille bleibt. Aber immerhin...
Übersehen wird dabei, daß hinter dem uns nahegelegten Lebensstil des dauernd mehr Leistens und Konsumierens ein gottloses Konzept vom Leben steht. Gott wird bei der Gestaltung der modernen, westlichen Welt nicht in die Überlegungen einbezogen. Und je komplexer die gesellschaftliche Maschinerie wird, je mehr die Selbstverständlichkeiten das Leben prägen, umso mehr läuft es auf Schienen dahin, die von einer materialistischen Weltsicht geprägt sind: Menschen als Rädchen im Getriebe, gut geölt, genährt, unterhalten und am neuesten Stand der Technik - eine geistig keineswegs neutrale Sichtweise. Da ist der Geist der Welt am Werk.
Wer die Entwicklung mit etwas Abstand beobachtet, erkennt: Die moderne Gesellschaft unternimmt alles, um Gottes Schöpfung in den Griff zu bekommen. Und die Biotechnik liebäugelt sogar mit dem Gedanken, die menschliche Substanz zu “verbessern", den Menschen selbst neu zu konzipieren. Vielleicht gelingt es, den Tod zu besiegen, wird angedeutet. “Ihr werdet sein wie Gott!" - ist das nicht die Verheißung, die uns die Ideologie des grenzenlosen Fortschritts suggeriert?
In diesem geistigen Spannungsfeld stehen wir. Da gibt es keine Neutralität. Der Herr macht uns immer wieder darauf aufmerksam, daß es zwischen Ihm und allen anderen geistigen Angeboten zu wählen gilt: “Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut," heißt es bei Lukas (11,23). Und: “Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon" (Lk 16,13). Oder: “Denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen." (Joh 15,5)
Für Christen ist es daher eine Überlebensfrage, eine große Sensibilität für die Unterscheidung der Geister zu entwickeln. Denn es ist unsere Berufung, uns für den Geist des Herrn zu öffnen, den Heiligen Geist, im Wissen, daß es mächtigen Widerstand gegen diese lebensrettende Entscheidung gibt. Der Apostel Paulus weist eindringlich darauf hin: “Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr." (1Kor 3,16f)
Welch herrliche Botschaft! Jeder ist zu etwas ganz Großem berufen: Gott selbst will in ihm und durch ihn das Heil der Welt wirken!
Wer sich für das Wirken des Heiligen Geistes öffnet, entdeckt bald, daß Gott geheimnisvoll in seinem Leben anwesend ist und wirkt. In guten Tagen und bei positiven Erfahrungen wird einem das leicht und schnell bewußt. Bei den harten Erfahrungen fällt es schwer. Aber auch da schenkt der Herr - oft erst nach langer Durststrecke - immer wieder die Erfahrung, daß sich in Seinen Händen gerade Leid und beschwerliche Umwege zum Heil wandeln.
Bevor man Gott auf diese Weise in sein Leben einläßt, sich Ihm überantwortet, taucht leicht die Frage auf: Ja, und wo bleibe denn dann ich? Habe ich dann gar keine Freiheit mehr? Was bleibt noch von mir über, wenn ich Gott das Ruder auf so radikale Weise übergebe? Wer weiß, was dann alles geschieht? Berechtigte Fragen.
Ja, Gott das Leben zu übergeben ist ein Wagnis, aber ein wichtiger Schritt im Glaubensleben jedes Christen. Ihn kann ich nur setzen, wenn ich davon überzeugt bin, daß da jemand das Ruder übernimmt, der es wirklich gut mit mir meint, und darauf vertraue, daß der Heilige Geist besser als ich weiß, was mir gut tut.
Schwierig wird es, zu dieser Entscheidung auch dann zu stehen, wenn ich in Situationen gerate, in die ich mich aus freien Stücken nicht selbst begeben hätte. Das ist dann die Nagelprobe für mein Gottvertrauen. Will ich wirklich - wie es im Vaterunser heißt -, daß Sein Wille geschieht? Im Himmel und auf Erden? Und nicht irgendwie im allgemeinen, sondern konkret hier und jetzt in meinem Leben?
Letztlich geht es um die Frage der Macht: Wer soll Macht haben über mein Leben? Gott schlägt vor, Ihm das Ruder zu übergeben. “Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir." (Offb 3,20) Wer sich auf das Abenteuer einläßt, gelangt zu jener Selbstverwirklichung, die heute so viele vergeblich suchen. Denn nur der Schöpfer des Lebens kennt unsere eigentliche Berufung, weiß, was in uns steckt, was uns Erfüllung schenkt.
Daß wir dieses Angebot nur zögernd annehmen, diese Führung immer wieder aus den Augen verlieren, ist Folge des geistigen Ringens, in das wir gestellt sind. Es erwächst aus der immer wieder neu an uns herangetragenen Versuchung, uns abzusichern gegen den, der das Leben ist. Denn auf subtile Weise und auf verschiedensten Wegen suggeriert uns der Widersacher, wir stiegen besser aus, wenn wir unser Leben selber in die Hand nehmen.
Auf diesem Hintergrund ist es von so großer Bedeutung, die Geister unterscheiden zu lernen. Anregungen, wie das geschehen kann, finden Sie, liebe Leser, in den folgenden Beiträgen.