Als ich mich als junger Student erstmals eingehend mit der Heiligen Schrift beschäftigte, stieß ich auf ein Wort Jesu, das mich so sehr erschütterte, daß ich es bis heute nicht vergessen habe. Jesus spricht in seinen Reden über die Endzeit vom Kommen einer unvorstellbar großen geistigen Not. Der Satz, der mich bis ins Innerste erschütterte, lautet: “Und wenn der Herr diese Zeit nicht verkürzen würde, dann würde kein Mensch gerettet." (Mk 13,20).
Welch schaudererregende Zeit muß das sein, dachte ich, wenn niemand mehr das Heil erlangen könnte, nicht einmal der Papst? Die Unterwanderung der Kirche muß einmal so raffiniert und perfekt vor sich gehen, daß diese Situation nur mehr von den “Auserwählten" heil überstanden werden kann. Und selbst die Auserwählten schaffen dies nur, weil diese Zeit, wie Markus weiter schreibt, verkürzt wird.
Am 11. September 2001 ist die geistige Zerstörungsmacht auch materiell sichtbar geworden; Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen sprachen von einem apokalyptischen Ereignis. Wenn besonders radikale Moslems westliche Zentren der Wirtschaft, des Militärs und der Politik zerstören wollen, dann gilt ihr Kampf auch dem Christentum. Die italienische Öffentlichkeit ist alarmiert, denn auch der Petersdom ist unter den Angriffszielen der Terroristen.
Um zu erkennen, daß diese Anschläge böse sind, braucht es für Christen nicht die Gabe der Unterscheidung der Geister. Auch bei der Christenverfolgung durch fundamentalistische und kommunistische Regierungen, die im letzten Jahr 165.000 Opfer forderte, muß das Böse nicht mit der Lupe gesucht werden, es ist offenbar. Durch Folter und Tod wird das irdische Leben, aber nicht das Heil der Christen gefährdet. All dies sind Anschläge von außen, sie treffen den Leib der Kirche von außen und können daher von jedem Christen leicht als Angriff erkannt werden.
Es gibt jedoch auch Anschläge von innen, vergleichbar dem Krebs, der sich meist unerkannt ausbreitet und zum Tod führen kann. Der Ursprung dieser Anschläge liegt heute oft innerhalb der Kirche. Diese Anschläge sind Attacken gegen den Glauben, vergleichbar mit einer Krankheit, die um sich frißt “wie ein Krebsgeschwür" (2 Tim 2,17).
Daß diese Gefahr nicht nur hypothetisch ist, habe ich in meinem Buch “Diagnose Krebs" (siehe Kasten) ausführlich dargelegt und durch praktische Beispiele untermauert.
Ohne die Gabe der Unterscheidung der Geister ist heute jeder gefährdet, selbst an geistigem Krebs zu erkranken. Wir müssen daher wie die klugen Jungfrauen handeln und danach trachten, “unsere Lampen" immer mit gesunder Lehre gefüllt zu haben. Dazu drei einfache Tipps:
* Wachen und beten. Der Aufruf zur Wachsamkeit und zum Gebet stammt von Jesus selbst. Lukas überliefert uns die Worte: “Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt." (Lk 21,36). Ähnliche Stellen finden sich bei Matthäus (Mt 24,42) und Markus (13,35). Die Wachsamkeit, von der Jesus spricht, hat nichts mit übertriebener Ängstlichkeit oder Pedanterie zu tun. Wenn wir wachsam sein wollen, dann müssen wir unser Denken (Röm 12,2), unseren Glauben (2 Kor 13,5), unser Tun (Gal 6,4) und damit eigentlich alles prüfen (1 Thess 5,21), um zu erkennen, “was der Wille Gottes ist" (Röm 12,2), um schließlich das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,21).
Wenn ich den Heiligen Geist um die Gabe der Unterscheidung der Geister bitte, dann könnte es sein, daß mir plötzlich Dinge auffallen, die ich bisher überhört oder übersehen habe. Ich merke zum Beispiel, daß ein Kirchenbesucher beim Beten des Glaubensbekenntnisses immer die Passage “auferstanden von den Toten" ausläßt. Oder es fällt mir auf, daß der Priester beim Schuldbekenntnis nie von Schuld oder Sünde sondern nur von Schwächen und Unvollkommenheiten spricht.
Das könnten Indizien dafür sein, daß genau diese Auslassungen Schwachstellen im Glauben bezeichnen. Vielleicht sitzt der Priester auch nie im Beichtstuhl oder Aussprachezimmer.
Wenn ich wachsam bin, dann werde ich mich nicht vom Unglauben dieser Menschen anstecken lassen, um womöglich selbst an der Auferstehung von den Toten oder an der eigenen Sündhaftigkeit zu zweifeln.
Wenn ich sensibel geworden bin, werde ich viele problematische Sonderrituale oder Auslassungen entdecken. Es wird mir auffallen, wenn beim Trauungsritus die Formel “bis der Tod der Liebe uns scheidet" verwendet wird. Nur die zwei zusätzlichen Worte “der Liebe" machen die Trauung ungültig und zeigen mir, daß wahrscheinlich Priester und Brautleute nicht an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten wollen.
Jesus ermahnt uns nicht nur zur Wachsamkeit, sondern er fordert immer wieder unser Gebet! Ohne das inständige Gespräch mit Gott, das Gebet, werden wir mit der Zeit die Wahrheit nicht mehr erkennen. Jesus ermahnt daher seine Jünger eindringlich mit den Worten: “wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet" (Mk 14,38). Nach Lukas sollen wir dies sogar “allezeit" (Lk 21,36) tun!
Wachen und Beten sind die Ratschläge Jesu für jeden, der nicht Lehrern aufsitzen will, “die den Ohren schmeicheln ... der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken (und) sich Fabeleien zuwenden." (2 Tim 4,3-4).
* Einen sicheren Standort wählen: Will ich einen Berg besteigen, dann muß ich einen geeigneten Standort wählen, von dem aus ich zu meinem Ziel gelangen kann. Dieser Standort wird nicht 100 Kilometer entfernt sein, sondern sich am Fuß des Berges befinden. Ich werde daher auch die Kirche und ihre Lehre nicht mit der Brille eines Buddhisten, Atheisten oder Moslem betrachten, sondern mich wie Maria Magdalene mit Maria und Johannes unter das Kreuz stellen. Wenn ich das tue, dann stelle ich mich mitten in die Kirche, die aus der Seite Jesu geboren ist.
Diesen Standort zu beziehen heißt für den Katholiken dreierlei: Treue zum Papst und zum Lehramt der Kirche, Liebe zu Maria, der Mutter Jesu und Hochschätzung der Heiligen Eucharistie. Im berühmten Traum von Don Bosco führt der Papst das verfolgte Schiff der Kirche zwischen zwei Säulen sicher vor Anker. Auf der kleineren Säule steht Maria, die Mutter der Kirche und auf der großen Säule erstrahlt Jesus in der Eucharistie.
Papst, Maria und Eucharistie sind der sichere Standort des Katholiken. Wer diesen Standort bezieht, befindet sich mitten im Herzen der Kirche, wer zusätzlich wachsam ist und betet, dem wird der Herr immer zur Seite stehen und ihn vor gefährlichem Irrtum verschonen.
* Die geistlichen Regeln der Unterscheidung der Geister beachten: Während der langen kirchlichen Tradition haben Kirchenlehrer, Heilige und Theologen eine Fülle von Kennzeichen erarbeitet, um zu erkennen, was vom Geist Gottes und was vom Geist der Täuschung kommt.
Der Palottinerpater Hans Buob hat daraus zehn Ratschläge zur Unterscheidung der Geister formuliert. Diese einfachen Regeln können im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter ausgeführt werden, sie sprechen aber für sich selbst.
Der Geist Gottes ...
* verstößt nie gegen die Liebe,
* schenkt innere Ruhe, Kraft und Sicherheit,
* führt einen geraden, einsichtigen Weg,
* handelt nie gegen die göttlichen oder die Naturgesetze,
* läßt reifen und wachsen,
* gibt uns Anstöße zum Tätigwerden,
* macht uns hellhörig für jede Sünde,
* führt zu Jesus hin,
* führt zur Vergebung und Versöhnung,
* führt zum Wesentlichen hin.
Horst Obereder
Der Autor war Direktor der Höheren Technischen Lehranstalt in Linz und viele Jahre hindurch gemeinsam mit seiner Frau verantwortlich für die “Charismatische Erneuerung" in dieser Diözese. Ein Portrait der beiden ist im Buch “Die den Sprung wagen" von Alexa Gaspari zu finden.