Das Schweizer Minarettverbot ist zunächst Ausdruck des weitverbreiteten Unbehagens der Europäer in der Begegnung mit dem Islam. Eine gewisse Besorgnis ist ja auch keineswegs unbegründet…
Es genügt, an die laufenden Meldungen zu denken: an Drohungen, Attentate (zuletzt der Versuch, den dänischen Mohammed-Karikaturisten zu ermorden) und Christenverfolgungen (sechs koptische Christen wurden nach der Weihnachtsmesse in Ägypten erschossen). Aufschlußreich ist auch ein Blick auf den „Weltverfolgungsindex 2009“, der die Länder nach dem Ausmaß, in dem sie Christen benachteiligen und verfolgen, bewertet. Die Liste führt zwar das kommunistische Nordkorea an, aber unter den ärgsten zehn Ländern befinden sich acht muslimische und 22 unter den ersten 30. Aus dem Irak, dem Libanon und Palästina gibt es seit Jahren einen Massenexodus von Christen.
Soll man sich da nicht Gedanken über die fortschreitende Islamisierung Europas machen dürfen? Und ist das Schweizer Minarettverbot nicht Ausdruck einer weitverbreiteten Sorge über diese Entwicklung? Immerhin war es das erste Mal, daß sich ein Volk in Europa zu dieser brennend aktuellen Frage äußern durfte.
Daß die Schweizer von weiten Kreisen der Verantwortlichen in Politik und Medien für ihre Entscheidung verurteilt wurden, setzt allerdings die bisher geübte Praktik fort, die mit der Masseneinwanderung von Muslimen nach Europa verbundenen Probleme zu negieren.
Die Immigration hat aber Ausmaße erreicht, die eine weitere Verdrängung nicht gestatten. Derzeit dürften in der EU rund 16 Millionen Muslime leben, davon sechs Millionen in Frankreich, mehr als vier Millionen in Deutschland. In Österreich liegt die Zahl zwischen 400.000 und 500.000. Wie sich die weitere Entwicklung darstellen könnte, hat die „Österreichische Akademie der Wissenschaften“ untersucht. Sie „prognostiziert für das Jahr 2051 den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung - je nach Zuwanderung und Zahl der Kinder - zwischen 14 und 18%. Im extremsten und (…) kaum realistischen Szenario könnten es 26% sein.“ (Die Presse v. 9.12.09) Bis zur Jahrhundertmitte könnte „jeder dritte oder sogar jeder zweite Besucher einer Pflichtschule Moslem sein.“
Sich dieser Gegebenheit zu stellen, ist ein Gebot der Stunde. Da geht es nicht um Panikmache oder Verteufelung, sondern darum, die bisher geübte Praxis aufzugeben, alles, was mit Glaube zu tun hat, aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Die säkulare Gesellschaft entzieht sich so nämlich der Einsicht, daß es sich bei Glaubensentscheidungen um eine das ganze Leben bestimmende Option handelt, die sich nicht nur auf die private Lebensgestaltung auswirkt, sondern danach verlangt, das gesellschaftliche Zusammenleben mitzugestalten.
Unter Muslimen ist dieses Bewußtsein besonders stark ausgeprägt. Sie verstehen sich als dem Gesetz des Schöpfers unterworfene Wesen. Dieses Gesetz, die Scharia, wird von Koran und Sunna (der islamischen Tradition) bestimmt. Muslimisches Recht ist also unmittelbar umgesetzte „Offenbarung“.
Das wird auch im Umgang der islamischen Staaten mit der UNO-Menschenrechtserklä_rung deutlich. Diese Länder haben diese Erklärung zwar unterschrieben, parallel dazu aber eigene, an die Scharia angepaßte Satzungen veröffentlicht. Durch sie gelten die eigentlich für alle Menschen gültigen Prinzipien tatsächlich nur für die muslimische Glaubensgemeinschaft.
Mit dieser Vorstellung, daß ihr Glaube das gesamte Leben zu bestimmen habe, kommen Muslime nach Europa. Sie sind daher auch bemüht, ihr kulturelles Umfeld, so gut es geht, hierher zu importieren. Daher ist es ihnen auch so wichtig Großmoscheen, sogenannte Freitagsmoscheen, in Europa zu errichten. Sie sind hier Stützpunkte des Islam, muslimische Enklaven in der säkularen Gesellschaft Europas. P. Joseph Herget, Islamexperte und Missionar unter Muslimen, erklärt das, wie folgt: „In der Freitagsmoschee findet man alles, was ein Muslim zum Leben brauchen kann: ein Reisebüro, einen Gemüseladen, Kleider- und Schuhgeschäfte… Wenn ich an die schöne große Moschee in Ankara denke, so ist das einfach auch ein tolles Kaufhaus. Nur der obere Teil ist Gebetsraum.“
Daher fördern und finanzieren islamische Staaten auch die Errichtung solcher Zentren. Sie tragen wesentlich dazu bei, daß sich Muslime hier im Westen in einem eigenen Lebensraum - wo auch islamisches Recht gesprochen wird - bewegen können. Als sich der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan 2008 bei einer Rede in Köln an 16.000 versammelte Landsleute wandte, warnte er seine Zuhörer ausdrücklich davor, sich anzupassen: „Sie haben sich bemüht, Ihre Identität, Ihre Kultur, Ihre Traditionen zu bewahren. Ihre Augen und Ihre Ohren waren immer auf die Türkei gerichtet. Die Tatsache, daß Sie seit 47 Jahren Ihre Sprache, Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt haben, vor allem aber, daß Sie sich gegenseitig stets unterstützt haben, diese Tatsache liegt jenseits aller Anerkennung. (…) Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, daß Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Sie sollten sich dessen bewußt sein.“
Mit dieser Sichtweise muß sich die westliche Gesellschaft auseinandersetzen: Bei gläubigen Muslimen haben wir es mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die ihr Leben nach den Geboten Gottes ausrichten wollen, nicht nur zu Hause, in den eigenen vier Wänden, sondern langfristig in ihrem gesamten gesellschaftlichen Umfeld. Das ist die Herausforderung, vor der Europa steht.
Was ist da zu tun? Wir müssen uns der Frage stellen, wie wir die zugewanderten Muslime für unsere Lebensweise gewinnen können. Aber wie sind Muslime zu integrieren? Wer diese Frage stellt, muß wissen, was er den Zuwanderern zu bieten hat. Daher findet derzeit in Frankreich, dem Land mit dem höchsten Muslim_anteil, eine breit angelegte Debatte über die französische Identität statt. Was bedeutet es überhaupt, Franzose zu sein?
Im Zuge dieser Gewissenserforschung stellt sich allerdings heraus, daß dies gar nicht leicht zu beantworten ist. Sicher, da gibt es die Annehmlichkeiten, die ein Industrieland zu bieten hat: Wohlstand, Mindestlöhne, ein soziales Netz, Gesundheitsversorgung für jedermann… Keine Frage, all das lockt die Menschen aus armen Ländern an - aber reicht es? Ist zu erwarten, daß mehr Einkommen, soziale Sicherheit und längere Schulbildung gläubige Muslime zum agnostischen Wohlstandsbürgertum bekehren? Und ist das überhaupt erstrebenswert?
Durchaus nicht. Wirklich integriert werden können Muslime in Europa nur, wenn man sie mit den Wurzeln unserer Kultur vertraut macht, mit der befreienden Botschaft des Evangeliums. Sie müssen eine attraktive Alternative zu ihrem Glauben kennenlernen und dem wahren, lebendigen, wirklich barmherzigen Jesus Christus, dem menschgewordenen Gott, begegnen. Muslime, denen diese Begegnung geschenkt wird, erleben eine enorme Befreiung (Seite 12).
Sich dieser Aufgabe zu stellen, ist die große Herausforderung für die Kirche heute. Da sind wir Christen, jeder einzelne, jede Pfarre, jede Diözese gefordert.
Christof Gaspari