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Wenn du die ganze Bibel und alle Philosophen auswendig wüßtest - was nützte alles ohne Gottes Liebe und Gnade“ (Nachfolge Christi). Wenn Sie, liebe Leser, hier in Klammer „Nachfolge Christi“ lesen, dann wissen Sie - oder doch viele von Ihnen - wahrscheinlich, was damit gemeint ist. Es ist ein Zitat aus dem klassischen Werk der geistlichen Literatur vom Augustiner-Chorherrn Thomas von Kempen aus dem 15. Jahrhundert. Die Nachfolge Christi gilt, nach der Heiligen Schrift, als das weltweit verbreitetste christliche Buch und zählt zu den zentralen Schriften des Christentums. Der hl. Franz von Sales sagt von ihm: „Dieses Buch hat mehr Menschen geheiligt als es Buchstaben hat.“ An anderer Stelle sagt er: „Solange du dieses Buch liebst, liebt dich Gott.“ Ungezählten Heiligen bis auf den heutigen Tag diente die Nachfolge Christi als geistliche Lektüre schlechthin, auch Papst Johannes Paul II. Ich war erstaunt, als mich neulich ein junger Religionslehrer fragte, was mit Nachfolge Christi gemeint sei, als ich diese zitierte. Er kannte das Buch nicht. Und so wird es heute vielen jüngeren Christen ergehen, selbst wenn sie Theologie studiert haben. Es hat mich sehr gefreut, als ich in einem Rundbrief der „Missionare Diener der Armen der Dritten Welt“ vom Gründer, Pater Giovanni Salerno, las, daß er die Nachfolge Christi zur „Geistlichen Regel“ für seine Bewegung gemacht hat. Er schreibt: „Dieses Buch ist unsere geistige Regel. Aus ihr wollen wir ständig in vollen Zügen das frische Wasser trinken, das uns ermöglicht, mit Sicherheit das Ziel der Heiligkeit zu erreichen. Dies ist nur möglich, wenn jemand sich mit allem Ernst täglich auf den Weg ständiger Umkehr begibt.“ Damit ist der Kern dieses wunderbaren Buches erfaßt: Es will uns den Weg zur Heiligkeit weisen. Als Christen sind wir ständig in Gefahr, den inneren Menschen: die ernste tägliche Umkehr (Buße), das Wachsen in der Liebe auf Gott hin zu vernachlässigen. Es genügt nicht, ein aktiver Christ zu sein: vieles zu lesen und zu tun, überall dabei zu sein, täglich die Messe zu besuchen. Nein, es muß auch die innere, die oft so mühsame Kleinarbeit getan werden: die tägliche Selbst_überwindung in der Liebe, die Übung in den christlichen Tugenden, die Treue im Kleinen, die unbedingte Wahrhaftigkeit im Reden und Tun, das immer neu gesetzte Hören und Vertrauen in den lebendigen Gott - eben die unverzagte innere Knochenarbeit, die meist kein Mensch sieht, um die auch nur Gott wissen soll und unser Beichtvater. Dieses beharrliche und geduldige Streben ist es, das die wahre Sonne in unseren Herzen aufgehen läßt: Wir „werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn“ (2 Kor 3,18). Und eben dazu will die Nachfolge Christi helfen. Wenn wir heute von Neuevangelisierung sprechen und sie auch wirklich tun wollen, geht es nicht darum, Neues zu erfinden, Neues auszuprobieren, ein Heil zu verkünden oder zu erträumen, das es in der Bibel gar nicht gibt, sondern es geht darum, zu den einfachen und ewig gültigen Elementen des christlichen Heils_weges zurückzufinden, wie sie uns in einzigartiger Weise in der Nachfolge Christi vorgegeben sind. Wir erleben heute in der Seel_sorge eine bedrückende Not: Die Menschen haben Gott verloren, ihre wahre Heimat, die Ewigkeit. Wir - ich meine uns Christen - haben die vergangenen 40, 50 Jahre viel zu sehr den Versprechungen der Welt geglaubt. Wir haben geglaubt, daß es ein Leben gibt ohne Kreuz: das heißt ohne tägliches und beharrliches Gebet, ohne Selbstüberwindung, ohne Tugend, ohne Schmerz, Krankheit und Altwerden. Wir haben geglaubt, daß wir im Grunde Christus für unser Leben nicht mehr brauchen, daß uns das Leben auch gut gelingt ohne Ihn, wenn nur alle Schleusen der Sinnesfreuden für uns offen stehen. Nun stehen wir ohne Haus da, ohne Herberge für unsere Seele. Es sinkt die Sonne in unserem Leben, und es ist uns keine neue aufgegangen: die ewige Sonne Jesus Christus, „die Hoffnung auf Herrlichkeit“ (vgl Kol 1,27). Und „es wird Nacht und mehr Nacht“, wie Nietzsche es beschrieb und im eigenen Leben erfahren hat. Und in dieser angstdurchwirkten Verlorenheit, in diesem Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens, der Vergeblichkeit und Täuschung alles Gelebten und Zeitlichen (wir nennen es Frustration, frustratio=Täuschung), führen wir einen verzweifelten Krieg nach allen Seiten. Krieg mit den Menschen, Krieg in den Familien, Krieg mit der Kirche, Krieg mit Gott. Denn wir sind uns selbst zur größten Last geworden. „Die selbst keinen Frieden haben, lassen auch ihre Mitmenschen nicht in Frieden leben. Sie fallen anderen zur Last - sich selbst jedoch am meisten“ (Nachfolge Christi). Ich danke Gott fast jeden Tag dafür, daß ich in meiner Jugend und auch später immer wieder von Menschen auf gute Bücher aufmerksam gemacht worden bin, die mir den Weg zur Begegnung mit dem lebendigen, dem herrlichen Christus gewiesen haben, so auch auf die Nachfolge Christi. Darum habe ich mir vorgenommen, das in Zukunft noch mehr als bisher auch zu tun: die Menschen auf gute Bücher aufmerksam zu machen. Ich möchte Sie darum, lieber Leser, herzlich bitten: Empfehlen Sie die wirklich guten Bücher weiter, die Sie selber gelesen haben, auch wenn sie älteren Datums sind und ihre Autoren vielleicht auch kaum bekannt sind. „Das Ansehen des Verfassers soll dich nicht stören, ob er etwa unter die Großen oder Geringeren zähle, vielmehr leite dich beim Lesen die Liebe zur lauteren Wahrheit“ (Nachfolge Christi). Es erfüllte mich mit Freude und Dankbarkeit, als letztes Jahr die Nachfolge Christi von Pfarrer Peter Dyckhoff, einem bekannten geistlichen Schriftsteller unserer Tage, bereits in der 5. Auflage erschienen ist, und zwar unter dem Titel: Auf dem Weg in die Nachfolge Christi - Geistlich leben nach Thomas von Kempen. Dyckhoff hat die Bedeutung dieses Buch für unsere Zeit erkannt, aber auch die Schwierigkeiten, die für manche Leser in der „alten Sprache“ solcher Bücher besteht. Dyckhoff schreibt in der Einführung zum Buch: „Um diese in ‚alter' Sprache formulierten kostbaren christlichen Weisheiten und Hinweise zum Umgang mit sich, mit andern und mit Gott auch heute leichter zugänglich und nachvollziehbar zu machen, habe ich versucht, die Nachfolge Christi in das heutige Verständnis zu übertragen.“ Gerade dieses Hindernis der „alten Sprache“ hat bei vielen dazu geführt, daß sie das Buch ungelesen zur Seite gelegt haben. So sind viele an einer Goldgrube vorbeigegangen. Es besteht kein Zweifel, daß es Peter Dyckhoff gelungen ist, dieses Hindernis zu beseitigen, ohne den geistlichen Inhalt des Buches abzuschwächen. Er sagt: „Diese Übertragung soll nicht als wissenschaftlich genaue Uebersetzung gelten. Sie versucht, in einer einfachen und heute verständlichen Sprache - ohne religiöse Überfrachtung - das so überaus kostbare Gedankengut und die Glaubenserfahrungen des Thomas von Kempen zu vermitteln.“ Ich möchte - gerade auch jüngeren Lesern - als Einstieg in die Nachfolge Christi diese Ausgabe wärmstens empfehlen. Ich möchte ihnen mit den Worten P. Giovanni Salernos zurufen: „Ganz besonders möchte ich Euch, liebe Jugendliche, einladen, unter der Anleitung dieses Buches, einen Weg der radikalen Nachfolge Christi zu befolgen - und so bereitet Ihr Euch für die Gnade der Totalhingabe Euer selbst vor.“ Es kann gar nicht eindringlich genug gesagt werden, wie wichtig die tägliche Geistliche Lesung für uns Christen ist, ohne die wir im Christsein, in der lebendigen Gotteserkenntnis und in der tätigen Liebe und Selbstüberwindung gar nicht richtig vorankommen können, vor allem heute, wo wir von einer Legion von Versuchungen umgeben sind, die uns von Gott wegziehen wollen. „Unser erstes Bestreben sei, uns in das Leben Jesu zu versenken“ (Nachfolge Christi). Wie notwendig diese tägliche geistliche Vertiefung ist, sagen uns ein paar Sätze aus Briefen des heiligen Franz von Sales - dieses großen geistlichen Lehrers: „Lassen Sie keinen Tag vorüber gehen, ohne ein wenig in einem geistlichen Buch zu lesen; so wenig es auch sein mag, sofern Sie es mit Andacht und Aufmerksamkeit lesen, wird der Gewinn daraus recht groß sein... Lesen Sie, ich bitte Sie, im Namen Gottes alle Tage ein wenig... Halten Sie Ihren Geist fest in Gott; lesen Sie so oft Sie können, aber wenig auf einmal und mit Andacht... Lesen Sie alle Tage ein bis zwei Seiten eines geistlichen Buches, um sich in der Freude daran und für die Frömmigkeit wach zu halten...“
Urs Keusch Auf dem Weg in die Nachfolge Christi - Geistlich leben nach Thomas von Kempen. Von Peter Dyckhoff. Herder-Verlag, ISBN 978-3-451-28502-8
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