Apostelgeschichte 2010: Ein Projekt der Wiener Erzdiözese, das den missionarischen Elan der Christen in Wien stärken soll. Bei der Eröffnung der 1. Versammlung rief der Wiener Erzbischof die Anwesenden zu einem fünffachen Ja auf:
Erstens: Ja sagen zu unserer Zeit, zum Heute, in der wir leben. Gott liebt diese Zeit, die Menschen heute. Mein täglicher Lieblingspsalm ist der Psalm 95: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht…“ Und dieses Lieblingswort meiner Lieblingsheiligen, Thérèse v. Lisieux: „Pour t'aimer je n'ai que aujourd'hui“ (um dich zu lieben habe ich nur heute).
Lassen wir die Nostalgie: wir leben nicht in den kirchenboomenden 50er Jahren, in den konzilsbegeisterten 60ern, in den stürmischen 68er Jahren. Wir leben heute. Sehen wir mit Jesu Augen diese Zeit. Lieben wir sie im Heute Jesu!
Zweitens: Ja sagen zu unserer Situation. Wir sind, besonders in Wien, gewaltig geschrumpft. Wir werden weiter schrumpfen (schon rein aus demographischen Gründen). Wir müssen Abschied nehmen von vielem, das uns lieb, wichtig, heilig war. Es wird vieles sterben. Wir müssen manches loslassen, was uns unersetzlich scheint. Gott liebt uns in dieser unserer Situation. Ja sagen auch zu dem, was wächst, was Förderung braucht, und was uns Gottes Weg in dieser Zeit zeigt. Trauen wir uns, gemeinsam hinzuschauen auf das, was wir loslassen müssen und das, was der Geist des Herrn uns für heute als neue Chancen zeigt.
Drittens: Ja sagen zu unserer gemeinsamen Berufung als Getaufte und Gefirmte. Das wollte das II. Vatikanische Konzil allen bewußt machen: das tragende gemeinsame Fundament der Taufe, das uns verbindet und das unser gemeinsamer Auftrag ist. Der erste Satz der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ des Konzils ist mir dazu besonders wichtig: „Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit zu erleuchten, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint. Deshalb verkündet sie allen Geschöpfen das Evangelium“ (LG 1). Hier ist der ganze Missionsauftrag der Kirche angesprochen.
Mich berührt dabei immer dieses „auf dem Antlitz der Kirche“: Die Kirche hat ein Antlitz. Sie hat mein Antlitz. Ich bin immer auch ein Gesicht der Kirche. Jede und jeder von uns ist so Gesicht der Kirche, auf dem Christus, das Licht der Menschen, leuchtet. Und es leuchtet wirklich. Nicht immer ganz hell, aber doch. Wir alle sind Antlitz der Kirche für das Licht Christi. Daher ist der „Sendungsauftrag“ aller Getauften zuerst ein persönlicher. „Face to face“, von Angesicht zu Angesicht, so geht Mission. So ging es immer. So, und nur so geht es heute: persönlich, „von Mensch zu Mensch“; „face to face“. So soll auch unsere Diözesanversammlung verstanden werden: nicht zuerst Papiere produzieren, sondern einander „face to face“ begegnen. Auch ein „Face book“ kann das nicht ersetzen. Alle die Strukturfragen, die uns zu Recht bewegen, die institutionellen Entwicklungen, gehen von da aus und bekommen von daher ihren Sinn: Wie können wir „nahe bei den Menschen“ bleiben bzw. näherkommen. Wie bleibt die Kirche „auf Rufweite“? Wie können wir „face to face“ die erreichen, die der Herr mit seinem Evangelium erreichen will?
Das 4. und 5. „Ja“ dienen dieser Nähe zu den Menschen aus der Nähe zu Jesus.
Viertens: Ja zur Stellvertretung. Daß wir wenige sind, soll uns nicht schrecken. Jeder, der glaubt, steht für viele. Niemand glaubt für sich alleine, wie auch niemand für sich alleine lebt. Als aktive Minderheit in unserer Gesellschaft (und selbst unter den treu ihren Kirchenbeitrag leistenden Getauften), wird es immer wichtiger, daß wir das Prinzip „Stellvertretung“ leben und annehmen: Wir tragen im Glauben, in unserem Beten und Feiern viele andere mit: Sagen wir es ihnen auch gelegentlich! Wenn Du am Sonntag in die Kirche gehst und der Nachbar gerade Rasen mäht, sag' ihm: „Ich bete auch für dich!“ „Ich nehme deine Sorgen und Anliegen mit in die Messe!“ „Ich gehe für dich!“ Mission heißt immer auch Stellvertretung: Einer für den anderen!
Fünftens: Ja zum gesellschaftlichen Auftrag: Unsere Pfarren, Gemeinden, Gemeinschaften und kirchlichen Einrichtungen bilden ein großes Netzwerk der Nächstenliebe! Wir sind in einer spannungsreichen Situation: einerseits werden unsere Mittel und Möglichkeiten weniger, andererseits werden die Nöte und Herausforderungen größer. Je dünner die sozialen Netze werden, desto mehr ist unsere Phantasie der Nächstenliebe gefordert. Es ist beeindruckend, was hier in unseren kirchlichen Einrichtungen geleistet wird, von Ihnen allen! Die vielen kleinen Dinge, unscheinbare, gelebte Nächstenliebe. Und die großen Einsätze für Menschen in den verschiedenen Nöten. Das Ja zu unserem gesellschaftlichen Auftrag ist ein wesentlicher Teil unserer Mission.
Aus der Eröffnungsansprache des Wiener Erzbischofs bei der 1. Diözesanversammlung der Erzdiözese - „Apostelgeschichte 2010“ am 22. Oktober 2009 im Stephansdom.