VISION 20006/2009
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Den Weg zum Himmel weisen

Artikel drucken Über die besondere Berufung des Priessters (Von Kardinal Christoph Schönborn)

Das Konzil hat das alllgemeine Priestertum der Laien betont. Die Folge: große Verunsicherung. Wozu überhaupt noch geweihte Priester? Im folgenden eine Klärung, worin die besondere Berufung des Priesters besteht.
Wenn wir eine kurze Definition dessen geben wollen, was unsere Berufung, unsere Mission und daher unsere Identität als Priester ist, so können wir mit dem Pfarrer von Ars sagen: „Der Priester ist die Liebe des Herzens Jesu.“ Warum? Weil er berufen ist, der Liebe des Herzens Jesu zu dienen. Der Priester, Diener des Liebesplanes Gottes! Hören wir, was der Weltkatechismus dazu in Nr. 2 sagt:
„Damit dieser Ruf an alle Welt ergehe, sandte Christus die von ihm erwählten Apostel und gab ihnen den Auftrag, das Evangelium zu verkünden: „Darum geht hin und macht alle Völker zu Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20). Mit diesem Auftrag versehen, zogen die Apostel „aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung durch die Zeichen, die er geschehen ließ.“ (Mk 16,20)
„Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20.21): Dieser am Abend des Ostertages vom auferstandenen Herrn empfangene Auftrag ist das alle Zeiten überdauernde Fundament der Mission der Kirche - damit auch des apostolischen Dienstes sowie dem der Geweihten.
Da stellt sich allerdings sofort die Frage: Wird der Auftrag, „das Evangelium zu verkünden“ nur den Geweihten erteilt, jenen, die in apostolischen Sukzession stehen? Natürlich nicht! Dazu ist jeder getaufte Christ berufen. Das sagt die Nr. 3 des Weltkatechismus ausdrücklich:
„Wer mit der Hilfe Gottes den Ruf Christi angenommen und ihm in Freiheit entsprochen hatte, wurde durch die Liebe zu Christus gedrängt, die Frohbotschaft auf der ganzen Welt zu verkünden. (…) Alle an Christus Glaubenden sind berufen, es von Generation zu Generation weiterzugeben, indem sie den Glauben verkünden, ihn in brüderlicher Gemeinschaft leben und in der Liturgie und im Gebet feiern.“
Alle Gläubigen sind also berufen, den Glauben durch ihr Leben, ihr Wort sowie durch die Liturgie und das Gebet zu verkünden. Wenn dies so ist: Wozu dann der besondere Dienst des Priesters, des Bischofs?
Diese Frage hat die nachkonziliare Zeit auf dramatische Weise bewegt. Die Älteren unter uns werden sich daran erinnern. Bei einigen hat das zu einer radikalen Infragestellung des besonderen Dienstes des Priesters geführt. Alles wurde infragegestellt: Jesus habe kein Priestertum gewollt! Das Neue Testament sage nichts von Priestern für den Neuen Bund. Das „Priesterliche“ am Priester wurde infrage gestellt. Dafür gebe es keine neutestamentliche Begründung.
(…)
Das Konzil spricht, wenn es um das hierarchische Priestertum geht, von einer Unterscheidung „essentia et non gradu tantum“, also im Wesen und nicht einfach nur einem graduellen Unterschied nach. Ich erinnere mich an die Spötteleien unter Klerikern und Laien über diese wesensmäßige Differenz, als habe das Konzil damit aus den Priestern Wesen einer anderen Gattung gemacht, wesentlich anders als die „Einfachsterblichen“.
Dazu kam die Diskussion über den sakramentalen Charakter, den die Weihe verleiht. Die Tradition sieht darin ein Merkmal, das tatsächlich das Wesen des Geweihten berührt. Der Priester also als ein abgesondertes Wesen? Wesenhaft vom Laien unterschieden? Ein höheres Wesen, über den Normalsterblichen hinausgehoben? War das die Sichtweise, die uns das Konzil vorgestellt hatte?
Hören wir zunächst, was Lumen Gentium sagt (…): „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.“
Das Weihepriestertum wird also nüchtern, wie folgt, beschrieben: „Das priesterliche Volk zu bilden und zu leiten.“ Mit den Worten des hl. Pfarrers von Ars können wir sagen: „Den Weg zum Himmel weisen.“ Im Zentrum dieser Aufgabe, zu bilden und zu leiten, befindet sich „das eucharistische Opfer“, das die Priester „in der Person Christi“ im Namen des ganzen Volkes darbringen. Diese Aufgabe zu bilden, zu leiten und das eucharistische Opfer darzubringen ist somit dem Amtspriestertum eigen. Diese „heilige Vollmacht“ wird durch das Sakrament der Priesterweihe vermittelt.
Welcher wesentliche Unterschied besteht nun zwischen den beiden Weisen, dem einmaligen Priestertum Christi zu dienen? Hören wir dazu die authentische Interpretation, die der Weltkatechismus gibt.
„Das amtliche oder hierarchische Priestertum der Bischöfe und Priester und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen nehmen ,auf je besondere Weise am einen Priestertum Christi teil und sind ,einander zugeordnet', unterscheiden sich aber doch ,dem Wesen nach' (LG 10). Inwiefern? Während das gemeinsame Priestertum der Gläubigen sich in der Entfaltung der Taufgnade, im Leben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, im Leben gemäß dem Heiligen Geist vollzieht, steht das Amtspriestertum im Dienst dieses gemeinsamen Priestertums. Es bezieht sich auf die Entfaltung der Taufgnade aller Christen. Es ist eines der Mittel, durch die Christus seine Kirche unablässig aufbaut und leitet. Deshalb wird es durch ein eigenes Sakrament übertragen, durch das Sakrament der Weihe.“ (1547)
(…)
Warum nun diese Unterscheidung, nicht so sehr des Grades als des Wesens zwischen diesen beiden Formen der Teilhabe am einzigartigen Priestertum Christi? Um diese wichtige Lehre des 2. Vaticanums besser zu erfassen, schlage ich drei Richtungen vor, um die Frage zu vertiefen:
n Wären die beiden Formen der Teilhabe am Priestertum Christi graduell unterschieden, so wäre der Dienst des Priesters so etwas wie eine höhere Form der Vollkommenheit. Als Priester wäre man dann ein höherwertiger Christ. Die Weihe würde damit dem Priester die Zugehörigkeit zu einer christlichen Elite vermitteln, ihn zu einem im Vergleich zum „einfachen Gläubigen“ höheren Wesen machen.
Davon kann keine Rede sein! Es gibt nur eine Dimension, bei der man von Graden der Vollkommenheit sprechen kann: die Heiligkeit. Diese Karriere kennt keine Grenzen. Da gibt es grenzenlosen Aufstieg zu den Gipfeln der Heiligkeit. Nicht weil einer Priester oder Bischof ist, ist er „automatisch“ heiliger.
(…)
n Man wirft uns vor, jene zu diskriminieren, die keinen Zugang zum Weiheamt haben, insbesondere die Frauen. Wäre der priesterliche Dienst tatsächlich eine höhere Form christlichen Lebens, wäre dieser Ausschluß tatsächlich eine Diskriminierung, weil sie den Frauen den Weg zu dieser höheren Form verwehren würde. Aber es gibt keine höhere Form als die Heiligkeit. Keine Frau ist von diesen höheren Graden christlichen Lebens, nämlich der Heiligkeit, ausgeschlossen.
n Eine dritte Bemerkung: Auch wenn wir als Priester Instrumente Christi sind, in der Person Christi, Haupt des Leibes, der die Kirche ist, handeln, so bedeutet das nicht, daß alles, was wir tun, auch die Garantie birgt, nicht armselig zu sein oder sogar fehler- und sündenfrei.
(…) Christus sagt uns zu, daß unsere sakramentalen Handlungen wirklich die Seinen sind. Er bürgt nicht dafür, daß mein gan_zes Leben christusförmig ist. Tief in meinem Herzen hatte ich gedacht, daß wenigstens die Bischofsweihe - sie ist ja die Fülle der Weihe - mich von meinen Fehlern und Sünden freimachen würde. Mir ist bewußt, daß es eine unerhörte Gnade ist, Nachfolger der Apostel zu sein, aber ich mußte zur Kenntnis nehmen, daß ich diesen Schatz in einem zerbrechlichen Gefäß ohne großen Wert trage. Je mehr wir uns dessen bewußt sind, umso weniger laufen wir Gefahr, der Versuchung des Klerikalismus zu unterliegen.
Um das zu illustrieren, erzähle ich eine unvergeßliche Erinnerung: Vor 10 Jahren besuchte ich auf Einladung von Malcolm Ranjith, damals Bischof von Ratnapura, jetzt Erzbischof von Colombo, Sri Lanka. Er hat mich in ein kleines Dorf mit armen Arbeitern einer Teeplantage geführt. Die Leute hatten einen Riesenaufwand betrieben, um erstmals einen Kardinal zu empfangen. Auf einer Strecke von 500 Metern hatten sie frischen Sand auf den Weg zum Dorf gestreut. Entlang des Weges kleine Fahnen. Und während ich auf dem frisch gerechten Sand schritt, legten sie für den Ehrengast Teppiche unter meine Füße.
Als ich bei der ärmlichen Kirche angelangt war, flüsterte mir der alte Jesuitenpater Fernando, ein hochkultivierter Mann, der 40 Jahre unter diesen ganz armen Leuten gelebt hatte, ins Ohr: „Eminenz, glauben Sie nicht, die Leute hätten das für Christoph Schönborn getan! Sie taten es für Christus!“
Auszug aus dem 1. Vortrag des Kardinals bei den Priesterexerzitien vom 27. 9 bis zum 3. 10 in Ars.

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