Vor dem Genozid habe ich eigentlich immer die Liebe gepredigt, während der Tragödie in unserem Land dann aber schrecklich viel Haß geerntet. Es war wirklich furchtbar. Nachdem das Massenmorden zu Ende war, konnte ich nicht schlafen, hatte schlaflose Nächte, habe viel geweint und mir immer gesagt: „Ubald, du bist gescheitert. Wozu noch Priester sein?“
Mittlerweile habe ich erkannt: Der Priester muß immer wieder mit der Gesellschaft neu beginnen, den ersten Schritt zu setzen. Auch Jesus vergibt uns immer wieder, beginnt stets wieder neu mit uns.
Wie oft habe ich selbst im Beichtstuhl schon um Vergebung gebeten und gesagt: Diese oder jene Sünde will ich nicht mehr begehen - und dann habe ich doch wieder so gesündigt. So ist das eben mit Sündern. Jesus vergibt uns immer wieder. Der Priester muß wie Jesus in dieser Welt sein: Die Menschen sind Sünder und du beginnst wieder neu mit ihnen, predigst wieder über die Liebe, über die Vergebung.
Das Problem ist, daß die Menschen keine Erfahrung mit der Liebe Gottes haben. Wenn du dich aber selbst geliebt weißt, mußt auch du die anderen lieben. Das ist es, was ich als Priester tue. Es geht immer um die Liebe Gottes. Mach dir bewußt, daß du von Gott geliebt wirst - und liebe du die Menschen! 15 Jahren nach dem Genozid erkenne ich nun, daß die Menschen auf diesem Weg zu vergeben lernen. Daß einer, dessen Familie ermordet wurde, dem Mörder vergeben kann. Aber das hat 15 Jahre gebraucht.
Natürlich braucht es da viel Gebet, viel Heilungsgebet. Wenn die Herzen heilen, können sich die Menschen einander wieder annähern. Jeden ersten Sonntag im Monat gibt es ein Heilungsgebet. Da erleben wir äußere, vor allem aber innere Heilungen. Das ist eine großartige Sache.
Das Gebet allein genügt aber nicht. Man muß die Probleme anpacken. Man muß die schwierigen Probleme ansprechen. Viele trauen sich das nicht, haben Angst davor. Ich bin immer die schwierigen Probleme angegangen. Als ich den Mördern gesagt habe, daß sie nicht einfach wieder zur Kommunion gehen können, weil ihre Schuld zu ungeheuerlich ist, da haben viele Leute gemeint: Was werden da die anderen sagen, die Pfarrer, der Bischof…?
Ähnlich ist es mit der Abtreibung, ein Skandal. Sie verursacht viele innere Verletzungen. Viele Frauen kommen weinend zu mir: Mein Kind wäre jetzt 10 Jahre alt. Ich habe das schon gebeichtet, aber es quält mich nach wie vor. Was kann ich tun? Die Frauen glauben zu_nächst, daß mit der Abtreibung alles erledigt ist. Aber dann wird das Kind der Freundin 10 Jahre alt und da fällt der anderen ein, daß ihr Kind nun auch 10 wäre…
Solche Fragen muß der Priester ansprechen, er muß Prophet sein. Wer das Evangelium in die Tat umzusetzen versucht, muß Schwierigkeiten mit der Gesellschaft bekommen. Es ist unmöglich, nach dem Evangelium zu leben, ohne Probleme mit der Gesellschaft zu haben. Wenn du keine Probleme mit der Welt hast, so heißt das, daß du nicht wirklich das Evangelium umsetzt. Wenn ich Schwierigkeiten mit Leuten bekomme wegen dem, was ich predige, sage ich: „Danke, Herr! Offenbar habe ich ins Schwarze getroffen.“ Der Herr mildert dann allerdings meistens den Schock. Aber das muß man wissen: Wer das Evangelium lebt, bekommt Schwierigkeiten mit der Welt.
P. Ubald Rugirangoga
Siehe auch Portrait VISION 2/08