VISION 20006/2009
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Die selige Mirjam Baouardy

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Helmut Hubeny)
 

Schon einmal wurde die selige Mirjam Baouardy, die „kleine Araberin“, hier vorgestellt (Karl-Heinz Fleckenstein, Vision 3/04). Der heutige Beitrag ist eine sehr persönliche „Fortschreibung“ des damaligen Porträts, am Österreichischen Nationalfeiertag 2009 nach einem Wiener Vernetzungs- und Informationsforum „Aktive Gewaltfreiheit als Perspektive im Nahostkonflikt“, einer Initiative der Evangelischen Akademie Wien, in den PC getippt. Zur Erinnerung sei hier noch einmal die ungewöhnliche Lebensgeschichte dieser großen arabischen Mystikerin zusammengefaßt. Mirjam wird am 5. Jänner 1846 als Kind einer katholischen Familie des griechisch-melkitischen Ritus geboren. Zwölf ältere Brüder sterben alle kurz nach der Geburt, lediglich ihr jüngerer Bruder Bulos, geboren 1848, überlebt.
Drei Jahre später sterben die Eltern, beide Kinder werden von Verwandten übernommen. Mirjam findet ein gutes Verhältnis zu ihrem Onkel aus Alexandrien, der liebevoll für sie sorgt. Als er aber nach orientalischem Brauch für die 13jährige eine Hochzeit mit einem Verwandten arrangiert, bietet das Mädchen ihre gesamte Widerstandkraft auf und läßt die Hochzeit platzen. Kraft dazu gibt ihr die innere Stimme: „Alles vergeht. Gib mir dein Herz und ich werde dir gehören“.
Der Onkel versucht es mit Härte. In seinen Augen erscheint ihm Mirjam als das undankbarste Wesen der Welt. Hilflos wendet sich Mirjam an einen früheren Angestellten ihres Onkels. Er als Muslim ist über den Onkel empört, überträgt diese Empörung auf ihren christlichen Glauben, bedroht Mirjam und verletzt sie in seiner Raserei beinahe tödlich. Mirjam erlebt ihre Rettung als wunderbaren Eingriff Mariens.
Abenteuerliche Wege führen sie über Jerusalem und Beirut nach Marseille, wo sie eine Stelle als Köchin annimmt. Erstmals erlebt sie mystische Zustände, die sie „einen sonderbaren Schlaf“ nennt. Sie verspürt den Wunsch nach Eintritt in einen Orden, findet sich aber weder bei den Vinzentinerinnen noch bei den Schwestern des heiligen Josef zurecht. Erst als sie im Juni 1867 die Schwelle des Karmels von Pau überschreitet, fühlt sie sich als zu Hause angekommen und nimmt den Namen „Mirjam von Jesus dem Gekreuzigten“ an.
Das Lesen des Breviers beschreibt sie als Kampf, die lateinischen und französischen Vokabeln werden ihr zur Allergie. Immer wieder bittet sie, Laienschwester bleiben zu dürfen. Vier Jahre später erhält sie endlich die Erlaubnis dazu. Ihr stürmisches orientalisches Tem_perament macht ihr zu schaffen.
Im August 1870 unternimmt sie mit fünf weiteren Karmelitinnen eine Schiffsreise nach Indien, um dort in Mangalore ein neues Kloster zu gründen. Während der Vorbereitung auf die ewigen Ordensgelübde empfängt sie die Wundmale Christi und erlebt ekstatische Zustände. Der Ortsbischof hält sie für das Opfer einer schweren Täuschung und schickt sie nach Frankreich zurück.
Um die Jahreswende 1872/73 spricht Mirjam das erste Mal mit ihren Vorgesetzten über die Gründung eines Karmels in Bethlehem. Wegen des „Mißerfolges“ in Mangalore reagieren diese zurückhaltend. Doch Mirjam ist gewiß, daß Christus diesen Dienst von ihr verlangt, sie sieht das Kloster vor ihrem geistigen Auge. Bertha Darthigaux, Tochter des Polizeipräsidenten von Pau, stellt großzügig ihr Vermögen zur Verfügung, Pfarrer Lacroix, Abbé Bordachar und schließlich Papst Pius IX stimmen zu. Da Mirjam als einzige arabisch spricht, überträgt man ihr die Bauaufsicht. Am 25. November 1876 wird das Kloster auf dem Davidshügel eingeweiht, dort, wo der junge David Schafe gehütet hatte.
Anfang 1878 verspürt Mirjam den Auftrag, in Nazareth ein weiteres Karmelitinnenkloster entstehen zu lassen. Auf dem Weg dorthin entdeckt sie durch innere Eingebung den Ort, „wo unser Herr mit seinen Jüngern in Emmaus gegessen hat“. Das Grundstück wird von Bertha Darthigaux gekauft und den Karmelitinnen in Bethlehem geschenkt - es ist Emmaus-Nikopolis.
Und dann darf Mirjam heimgehen. Nach einem Sturz bricht sie sich den linken Arm, rasch breitet sich der Wundbrand aus. Am 24. August 1878 stirbt sie mit den Worten des Psalms: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele nach Dir“. Am 13. November 1983 wird sie von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen und zur Patronin des Friedens für den Mittleren Osten erklärt.
Nun darf ich meine persönliche Geschichte mit Mirjam Baouardy fortsetzen. Am Gründonnerstag 2006 bin ich ihr im Karmel von Bethlehem „begegnet“. Unserer Pilgergruppe waren dort Stunden tiefer Innerlichkeit geschenkt worden, hinter uns der blühende Ginsterstrauch mit Blick auf Bethlehem, seitlich vor uns Mirjams Schrein. Jeder durfte sich unter Mirjams Mantel ihrer freundschaftlichen Fürsprache überlassen.
Seither treffen sich einige von uns monatlich zum Gebet für einen gerechten Frieden im „Heiligen Land“. Nach menschlichem Ermessen erscheint die Situation zwar aussichtslos, in unseren Gebeten aber vertrauen wir dem Himmel, denn „bei Gott ist nichts unmöglich“.
Wir wollen es mit dem galiläischen Erzbischof Elias Chacour halten, der in Ibellin, Mirjams Geburtsort, das Projekt einer Friedensuni_ver_sität verwirklicht hat und es auf einen Campus in Nazareth ausdehnen wird: „Wenn Sie jüdische Freunde haben - wunderbar. Aber bitte: Das heißt nicht automatisch Feindschaft mit den Palästinensern! Und wenn Sie für uns Partei ergreifen, weil sie die Flüchtlingslager gesehen haben, so sind wir dafür dankbar. Wenn Sie uns aber ermutigen wollten, uns gegen unsere jüdischen Brüder zu wenden, dann brauchen wir Ihre Freundschaft nicht. Wir brauchen Brückenbauer.“
Unlängst erlebten wir in Wien ein gemeinsames Gebet mit einem palästinensischen christlichen Ehepaar, das in Beit Shala, Bethlehems Nachbarstadt, einen Mirjam-Gebetskreis eingerichtet hat. Ein Anliegen unserer Gebete ist es, unsere Mitchristen wider alle Hoffnung zum Verbleib in ihrer Heimat zu ermutigen und ihnen durch Begegnung (siehe Reiseankündigung Seite 32) und Unterstützung zu helfen, dort lebendige Steine der Kirche Christi zu bleiben.


Im Jahr 2008 war ich wieder im Karmel von Bethlehem. Diesmal „beauftragte“ uns Mirjam, unseren Reiseleiter Karl-Heinz Fleckenstein bei der Neuauflage seiner Mirjam-Biografie zu unterstützen. Nun ist das lesenswerte Buch erschienen. In Form eines fiktiven Interviews mit der Seligen entwirft der Autor im ersten Teil ein überaus lebendiges, persönliches „Lebensbild der kleinen Araberin“, das auch ihre erstaunlichsten Erlebnisse locker, zwanglos wiedergibt. So wird glaubwürdig, was sie für ihre Umwelt war - eine Ikone der Liebenswürdigkeit, der Menschenfreundlichkeit Gottes.
Der zweite Teil geht dem Wirken der kleinen Araberin durch die Zeit nach. In lebendigem Stil rekonstruiert Fleckenstein die Gründungsgeschichte des Karmels von Bethlehem und erzählt, wie Mirjam dort durch ihr Vorbild und durch ihren Geist weiterlebt, belegt mit Fotos von Besuchen der Lokalchristen und von Pilgergruppen. Hier fließen für mich wieder Bericht und eigenes Erleben zusammen, entdecke ich doch im Buch ein Foto „unseres“ Gründonnerstags 2006. Ein anderes berührendes Bild zeigt, wie Papst Johannes Paul II während der Feierlichkeiten zu Mirjams Seligsprechung in Rom die kleinste Pilgerin küßt: die sechs Monate alte Mirjam aus Jerusalem. Karl-Heinz verrät dem Leser nicht, daß sie seine Tochter ist.
Der dritte Teil bringt „Gedanken der kleinen Araberin“. Mirjam, das „Kleine Nichts“, besaß weder schulische noch kulturelle Bildung, sie hatte schon Mühe, den eigenen Namen zu schreiben. Ihr geistliches Vermächtnis ist festgehalten dank der Klugheit und Bewunderung ihrer Mitschwestern.
Im Rahmen unseres monatlichen Gebetskreises wurde ich angeregt, in einer „Mirjamkreis-Chronik“ für Israel/Palästina grundlegende politische Dokumente, konstruktive Stellungnahmen, konkrete Friedensbemühungen und kirchliche Projekte zu sammeln. Das Gebet mit Mirjam, der palästinensischen „Friedens-Expertin“, ermutigt uns, neue Zusammenhänge zu entdecken und aufzuzeigen.

Helmut Hubeny
Mirjam Baouardy - Palästinenserin und Friedensbotschafterin für das Heilige Land. Von Karl-Heinz Fleckenstein, Novum-Verlag, 17,90 Euro.

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