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Galileo Galilei

Artikel drucken Zur Geschichte eines Falles (Von P. Sebastian Hacker)

So mancher meint heute noch, der Fall Galileo Galilei sei der Beweis für einen unlösbaren Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft. Der Astrophysikerin und Ordensschwester Sr. Lydia la Dous gelingt es, fernab jeder Polemik das historische Geschehen rund um die Forschungen und Erkenntnisse Galileis darzustellen. Was ist der Hintergrund? Der heidnische Philosoph Aristoteles war bis in die Neuzeit eine hochgeachtete Autorität. Seine Philosophie diente gerade im theologischen Konflikt mit den Reformatoren als unverzichtbares Werkzeug. Wenn aber, so meinte man, die Philosophie des Aristoteles nützlich war, um die Wahrheit des Glaubens mit der Vernunft nachzuvollziehen, dann musste wohl auch seine Erklärung der Natur richtig sein. Aristoteles war eine Autorität für alle Wissensgebiete geworden.
Genau das stellte Galilei nun infrage - und die Aristoteliker, Philosophieprofessoren an den Universitäten, fürchteten, daß zusammen mit dem aristotelischen Welt_bild auch sie selbst für die Philosophie überflüssig werden könnten. Deshalb konstruierten sie einen künstlichen Widerspruch zwischen Galileis Erkenntnissen und scheinbar naturwissenschaftlichen Aussagen in der Bibel. Der Konflikt um das wahre Weltbild also ein Streit der Philosophen. Die Bibel aber ist weder ein Beweis für das geozentrische noch das heliozentrische Weltbild, wie Galilei betonte: „Die Intention des Heiligen Geistes ist es, uns zu lehren, wie man in den Himmel kommt, und nicht, wie sich der Himmel bewegt.“
Vertreter der Kirche jedoch ließen sich in den Konflikt der Philosophen hineinziehen. Die Schriften Galileis, die das heliozentrische Weltbild nicht als Hypothese, sondern als bewiesen darstellten, durften nicht mehr veröffentlicht werden.
Das geozentrische Weltbild blieb deshalb lange vorherrschend, weil es als einziges einen mathematischen Formalismus bot, die Position der Sterne für Schifffahrt und Astrologie zu berechnen. Erst Nikolaus Kopernikus entwickelte hundert Jahre vor Galilei ein einfacheres Verfahren auf der Grundlage des heliozentrischen Weltbildes. Galilei wurde durch seine astronomischen Entdeckungen mit dem Fernrohr zum Wegbereiter moderner Naturwissenschaft, weil er seine Annahmen durch Experimente überprüfte und mathematisch darstellte. Aber er handelte vorschnell. So hielt er seine Erklärung des Phänomens von Ebbe und Flut für einen Beweis für das heliozentrische Weltbild, was sie tatsächlich nicht war.
Es hält sich noch immer der Mythos, Galilei sei von der Inquisition gefoltert und seine Bücher seien von der Kirche verbrannt worden. Diese Ansicht ist historisch nachweislich nicht haltbar.
Man spricht von zwei Prozessen des Galilei. Bei dem ersten (1616) ging es um die theologische Relevanz des heliozentrischen Weltbildes, aber nicht um Galilei selbst. Weder er noch seine Schriften wurden verurteilt. Beim zweiten Prozess 1633 stand Galilei selbst vor dem Tribunal der Inquisition. Auslöser war nicht eigentlich seine Lehre, sondern daß er die Kirche und Papst Urban VIII. hintergangen hatte.
Obwohl er ursprünglich das Vertrauen des Papstes genoß, machte er sich indirekt über die Vertreter des geozentrischen Weltbildes und die Argumente des Papstes lustig. Die Situation wurde dadurch aufgeheizt, daß ein nach dem heutigen Stand der Forschung höchstwahrscheinlich gefälschtes Dokument auftauchte, wonach Galilei nicht den früheren Anweisungen der Inquisition gefolgt wäre.
So gilt der zweite Prozeß heute als problematisch. Galilei wurde verurteilt, mußte seiner Lehre abschwören. Das Urteil wäre aber zu hinterfragen, denn Galilei hatte sich nie über eine Glaubenswahrheit hinweggesetzt, er konnte also nicht als „Häretiker“ bezeichnet werden. Weder das geozentrische noch das heliozentrische Weltbild galten jemals als Glaubenssatz. Auf Seiten der Inquisition und auf Seiten Galileis lag ungeschicktes Verhalten vor.
In seinem Enthusiasmus hatte Galileo vor Provokationen nicht zurückgeschreckt, blieb aber immer gläubiger Katholik. Seine zwei Töchter lebten im Kloster, zu seinen Freunden zählten Vertreter der hohen Geistlichkeit. Er war nach dem Urteil zwar in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, konnte aber weiter ungehindert forschen, hatte Assistenten und wurde vom Erzherzog der Toskana unterstützt.
Seit der Aufklärung gilt Galilei weithin als Vorkämpfer für die Freiheit der Wissenschaft von der Kirche, obwohl diese Sicht historisch nicht nachvollziehbar ist. Dieser Mythos wurde später gezielt durch das kirchenkritische Bühnenstück Berthold Brechts „Galileo Galilei“ verbreitet, das in der Sowjetunion regelmäßig aufgeführt werden mußte. Kirchlicherseits ist der Fall inzwischen abgeschlossen und sollte das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft nicht mehr belasten - vor allem seit der Erklärung Papst Johannes Pauls II. (1992).
Sr. Lydias Buch ist nicht nur für Fachleute, sondern für jeden Interessierten überschaubar und lesenswert, besonders geeignet für den Unterricht in der Schule und an der Hochschule.

Galileo Galilei. Von Sr. Lydia la Dous Topos plus, 173 Seiten,9,90 Euro

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