Eine Biographie von Jesus Christus? Noch ein Jesus-Buch? Und das 703 Seiten stark! Peter Seewald traut sich was. Macht es Sinn, so relativ knapp nach dem Erscheinen des hervorragenden Buches von Benedikt XVI. Jesus von Nazareth ein weiteres Werk über den Retter der Welt zu veröffentlichen? Ja. Seewalds Jesus-Biographie ist lesenswert.
Was mich besonders angesprochen hat? Am meisten wohl, daß Seewald selbst spürbar von Jesus Christus fasziniert ist. Hier spricht ein Heimkehrer in die Kirche, einer, der aus ihr ausgetreten war, der als Journalist bei Stern, Spiegel und Süddeutscher Zeitung im Zentrum der glaubenskritischen Meinungsmache gewirkt hat. Der aber - unter anderem beeindruckt von ausführlichen Interviews mit Kardinal Joseph Ratzinger - heimgefunden hat. Seewald hat die gängigen Klischees, die heute von allen Seiten gegen den Glauben der Katholischen Kirche ins Treffen geführt werden, hinter sich gelassen - und er widerlegt sie Stück für Stück.
Damit bin ich auch schon beim nächsten Punkt, der das Lesen von Jesus Christus - Die Biografie empfehlenswert macht: Der Leser erfährt den derzeitigen Stand der Forschung, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der biblischen Berichte bedeutsam ist. Im Lichte dieser Erkenntnisse wird deutlich, was jeder bei unvoreingenommenem Lesen des Neuen Testaments ohnedies im Herzen gewußt hat: Alles ist wahr. Wir haben es bei den Evangelien mit Berichten zu tun, die von Augenzeugen oder von Personen, die ihrerseits von Augenzeugen informiert wurden, stammen. Schluß mit den weitverbreiteten Theorien der Theologen, die Evangelien seien spät verfaßte Texte, die den Glauben der frühen Christengemeinden auf einen Jesus des Glaubens projizieren, einen Jesus, der kaum etwas mit der geschichtlichen Gestalt zu tun hat. „Auch wenn Medien unverdrossen einen überholten Stand verbreiten, gilt heute in der Wissenschaft als weitgehend anerkannt, daß die synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) zwischen Anfang der vierziger und Ende der sechziger Jahre entstanden“, faßt der Autor den Stand der Dinge zusammen.
Seewald zeigt Jesus als den von den Propheten vorhergesagten Messias, hat keine Probleme mit Engelserscheinungen und mit den von Jesus gewirkten Wundern, er betrachtet staunend den Stern von Bethlehem, die hellleuchtende Konjunktion von Jupiter und Saturn, die im Jahr 7 vor Christus - paradoxerweise das Geburtsjahr des Herrn - außergewöhnlicherweise dreimal zustande kam und das dritte Mal am 5. Dezember „um 16.38 Uhr Ortszeit über Bethlehem stand - und zwar so, daß sie von den Weisen „auf dem Weg von Jerusalem nach Bethlehem auch gesehen werden“ konnten.
Eingebettet ist die Biographie des Herrn in den Bericht einer Reise des Autors ins Heilige Land. Seewald führt den Leser an die Stätten, die uns aus der Heiligen Schrift vertraut sind: Nazareth, Bethlehem, Jerusalem natürlich, Kafarnaum, an den Jordan… Er läßt diese Orte auf sich wirken und lädt den Leser zu einer Zeitreise ein, läßt vor dessen Augen die Herrschaft der Römer, die Prachtbauten des Herodes, das einfache Leben der Galiläer vor 2000 Jahren, das Erstaunen der Samariterin, die Massen, die sich zur Taufe des Johannes am Jordan drängen, das von Pilgern überfüllte Jerusalem in den Tagen vor Jesu Tod… erstehen.
Gemeinsam mit dem Autor erlebt der Leser die unfaßbare Souveränität des Herrn in allen Lebenslagen, Sein selbstverständliches Wissen davon, daß Er der Sohn des Vaters im Himmel ist, schon als 12jähriger im Tempel und erst recht als Angeklagter vor dem Hohen Rat, der mit Vollmacht spricht: „Ich aber sage euch…“.
Nachdem ich etwa 100 Seiten gelesen hatte - der Anfang des Buches ist übrigens meinem Geschmack nach etwas langatmig geraten -, las ich den Verriß von Seewalds Jesus-Biographie durch einen Theologen und war zunächst verunsichert. Dann aber hat mich diese vernichtende Kritik angespornt, erst recht weiterzulesen. Dabei ist mir dann auch die eine oder andere Schwäche aufgefallen. Nicht nachvollziehen konnte ich etwa das häufig vorkommende Zahlendeuten oder das Aufteilen der letzten Stunden des Herrn nach dem Letzten Abendmahl auf mehrere Tage.
Aber insgesamt darf ich dankbar feststellen: Ich habe Seewalds leicht lesbares und passagenweise sehr spannend geschriebenes Buch mit großem Gewinn gelesen und vor allem: Jesus Christus, der Herr, ist mir in diesen Tagen wieder etwas nähergekommen.
Christof Gaspari
Jesus Christus - Die Biografie. Von Peter Seewald. Pattloch Verlag, 703 Seiten, 24,95 Euro.