Mein Blick fällt auf die Titelseite der Tagespost Anfang Oktober: ein Foto der neuen deutschen Regierungsspitze, Bundeskanzlerin und Vizekanzler, beide mit „Lebenspartnern“ - eine Frau und drei Männer! Dieses Bild wird mir in Erinnerung bleiben. Es sagt mehr als 1.000 Worte. Die Homobewegung ist in der Zielgeraden - auch in Österreich. Demnächst wird hier ein Gesetz beschlossen, das homosexuellen Paaren einen eheänlichen Status einräumt. Gestritten wird noch, ob sich der feierliche Akt auf dem Standesamt oder auf der Bezirkshauptmannschaft abspielen soll - ein lächerlicher Streit der höchstens vom fundamentalen Bruch in unserem Rechtsverständnis ablenkt. Der nächste Schritt ist vorgezeichnet: Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare (wer fragt da die Kinder?). Es ist ein ganz einfacher Hebel, mit Hilfe dessen unser tradiertes, aus der Botschaft Christi hergeleitetes Menschenbild und der daraus abgeleiteten Gesellschaftsordnung von Grund auf umgestaltet wird: die Nichtdiskriminierung. Dieses Wortungetüm bezeichnet eine Sichtweise, die es verbietet, scheinbar Gleiches ungleich zu behandeln. Mit diesem Instrument läßt sich auch die Sonderstellung des christlichen Glaubens in Europa aushebeln: keine Bevorzugung religiöser Symbole. Kürzlich geschehen durch ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Er gab einer Klägerin recht, die sich in Italien darüber beschwert hatte, daß in der Klasse ihrer Kinder ein Kruzifix hängt. Das oberste italienische Verwaltungsgericht hatte die Beschwerde abgewiesen. Das europäische Gericht ergriff hingegen einstimmig (!) Partei für die Beschwerdeführerin. Diese Entscheidung wird Folgen haben: Schon äußert die Sozialistische Jugend in Österreich, sie werde Klage gegen die Kreuze in österreichischen Klassenzimmern einbringen. Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, findet die Idee unterstützenswert. (Der Standard v. 5.11.09) Um das Bild abzurunden, sei noch erwähnt, daß die Grünen vor ein paar Wochen einen Antrag im Parlament eingebracht haben, der vorsieht, daß Lebensschützer, die Frauen vor den Abtreibungskliniken vor ihrem fatalen Schritt bewahren wollen, und dabei „unangemessenen Druck“ ausüben (wie herrlich vage ausgedrückt), mit „Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen“ seien. Und geht es nach den Vorstellungen des Gesundheitsministers, soll in Österreich die „Pille danach“ demnächst rezeptfrei abgegeben werden dürfen - also uneingeschränkte Frühabtreibung im trauten Heim (das Präparat verhindert nämlich nicht nur den Eisprung, sondern auch die Einnistung des Kindes in der Gebärmutter). Das sind viele Alarmmeldungen innerhalb von nur vier bis fünf Wochen. Sie machen deutlich, daß wir uns in einem rapiden, ja, sich beschleunigenden Umbau unserer Gesellschaftsordnung befinden. Weil sich vieles von all dem schon seit Jahren abzeichnet und Gegenstand wiederkehrender Pressemeldungen ist, fällt es uns schwer, die Tragweite der Entwicklung ins Auge zu fassen. Für uns Christen ist dieser Vorgang von weitreichender Bedeutung. Daher komme ich wieder auf das schon in der letzten Nummer (VISION 5/09, S. 10-11) angeschnittene Thema zurück: Wie verhalten wir uns in dieser Situation? Ich denke, es gibt mehrere Stoßrichtungen: Zunächst gilt es, sich nicht selbst vom Zeitgeist anstecken zu lassen, zu meinen, unsere Gesetzgeber handelten schon im Interesse der Allgemeinheit. Angesagt ist eine nüchterne Zurkenntnisnahme und eine kritische Bewertung aus der Sicht des Glaubens. Das Lehramt der Kirche ist diesbezüglich als unbestechlicher Zeuge eine wunderbare Hilfe. Die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwinden. Auf diese Zusage können wir bauen. Weiters sind kritische Stellung_nahmen notwendig. Die Leute rund um uns müssen mitbekommen, was dem Menschen zuträglich ist und was ihn langfristig ruiniert. Und die politisch Verantwortlichen brauchen die Rückmeldung, daß es in unserem Land Männer und Frauen gibt, die nicht bereit sind, diesen Gesellschaftsumbau schweigend hinzunehmen. Wir äußern uns nicht, um unseren Ärger zu artikulieren, sondern um rechtzeitig (?) davor zu warnen, daß ein fundamentaler kultureller Bruch letztlich im Chaos enden muß. Noch ein Punkt ist mir wichtig: Wir müssen uns darauf einstellen, als Christen in einem noch viel stärker heidnisch geprägten Umfeld zu leben. Papst Benedikt XVI. macht die Welt in seiner Enzyklika Caritas in veritate eindringlich darauf aufmerksam, daß alles gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische Geschehen letztlich von den moralischen Grundentscheidungen, vom Menschenbild geprägt ist. Und weil dieses Menschenbild heute - trotz mancher Sonntagsreden - neuheidnisch, dem Christentum gegenüber ablehnend ist, werden sich die gesellschaftlichen Spielregeln und Verhaltensweisen dementsprechend entwickeln. Wir treten damit in eine Phase der Geschichte ein, die jener der ersten Christen ähneln wird. Was war deren „Erfolgsgeheimnis“? Ihre tiefsitzende Überzeugung, daß Jesus Christus, der Herr der Geschichte, mächtiger ist als jede Widrigkeit, die ihnen begegnet. Auf Ihn haben sie in allen Lebenslagen ihre Hoffnung gesetzt, wissend: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Die eingangs erwähnten Alarmsignale sollten uns daher nicht zu ängstlicher Resignation, sondern zur Erneuerung unserer wahren Existenz als Getaufte ermutigen: Wir haben durch Jesu Tod und Auferstehung neues Leben geschenkt bekommen, dessen Gelingen von der Nähe zu Ihm und nicht so sehr von den äußeren Umständen abhängt.
Christof Gaspari
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